«Que vive Genève, heil dir, Helvetia!»

Die Wochenzeitung vom 10.01.2013

Rechtsextreme Gruppen machen in Genf mit mehreren Kundgebungen auf sich aufmerksam. Sie sind klein, auffällig aktiv und gut vernetzt. Und stehen in einer unrühmlichen Tradition.

Von Hans Stutz

Das Bild zeigt acht junge Männer bei Nacht, fünf vermummt mit Schal, die anderen mit Kapuzen. Sie stehen vor dem Gedenkstein für «die Opfer des 9. November 1932», als Rekruten dreizehn Menschen erschossen, die gegen eine Saalkundgebung der faschistischen Union Nationale demonstriert hatten. In ihrem Blog berichten die bis anhin unbekannten Jeunesses Genevoises, dass sie «überzeugte Nationalisten» seien und eine «Bewegung», die die «Autonomen» ausserhalb von «offiziellen Strukturen und Parteien» zusammenführen möchte. Die Erschossenen vom November 1932, heisst es in einer Umkehrung der historischen Tatsachen, seien «Opfer der Antifaschisten». Die «linksextremen Terroristen» hätten das «Blut dieser armen Seelen» an ihren «bereits schmutzigen Händen». Der Bericht endet pathetisch: «Que vive Genève, heil dir, Helvetia.»

Der Rechtsextremismus hat in Genf eine unrühmliche Tradition: Seit den zwanziger Jahren kämpfen hier Bürgerliche und Linke (Sozialisten und Kommunisten) mit harten Bandagen um die parlamentarische Mehrheit. Viele Bürgerliche – vor allem auch aus dem Genfer Patriziat – zeigen keine Berührungsängste gegenüber den FaschistInnen, wenn ­diese den Linken die Strasse streitig machen. Die «Blutnacht von Genf» 1932 ist der tragische Höhepunkt (vgl. «Eine offene Wunde»). Seit Mitte der siebziger Jahre bilden sich in Genf immer wieder rechtsextreme Gruppierungen, zum Teil inspiriert von der französischen Nouvelle Droite, zum Teil von der Subkultur der ­Naziskinheads.

Die Versammlung am Gedenkstein ist kein Einzelfall. Nur wenige Tage später hält die Polizei neun Männer an, die gegen einen Auftritt des französischen Fernsehstar-Philosophen Bernard-Henri Lévy demonstrieren. Obwohl der Neuen Rechten zugehörig, ist Lévy bei Rechtsextremen wegen seines unkritischen Engagements für den Staat Israel umstritten. Aufgerufen hatte diesmal zuerst die Facebook-Gruppe «Dieudonnistes de Suisse». Die Gruppe hat innerhalb von drei Monaten Hunderte von Meldungen verbreitet, viele davon kritisieren die Gesetze gegen die Holocaustleugnung oder sympathisieren mit Holocaustleugnern. Der Komiker Dieudonné M’bala M’bala, nach dem sich die Gruppe benannt hat, ist in Frankreich für seine antisemitischen Äusserungen wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt ­worden.

Mit Pyros gegen Pussy Riot

Die dritte Kundgebung von Rechtsextremen im vergangenen Herbst in Genf spielt sich vor der russisch-orthodoxen Kirche ab. Sie reagieren damit auf ein Farbattentat gegen die Kirche, das sich mutmasslich gegen die Verurteilung von drei Sängerinnen der russischen Band Pussy Riot richtete. Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift «Non à la christianophobie» und brennen Pyros ab. Ein Unbekannter hält eine kurze Rede und klagt gegen «die nützlichen Idioten des Systems, die Pseudo-Antifaschisten», die das System benötige, «um die liberale Politik des Massenkonsums zu legitimieren, auf Kosten des Glaubens und der Traditionen». Auch diese Demo findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, doch die Rechtsextremen dokumentieren die Aktion umgehend im Internet.

Die Gruppen Jeunesses Identitaires, Genève Non Conforme, Artam Brotherhood, Egalité & Réconciliation, Genève Antiantifa, D­ieudonnistes de Suisse sind alle im Netz tätig, einige auch in häufig aktualisierten Facebook-Gruppen.

Jérôme Béguin, Redaktor bei der linken Wochenzeitung «Gauchebdo» und Verfasser eines Buchs über die Genfer Rechtsextremisten, erklärt denn auch, sie getrauten sich kaum in die Öffentlichkeit: «Sie haben Angst.» Nur wenige Aktivisten seien aktiv, einige von ihnen hätten einen Migrationshintergrund.

Mit dem subkulturellen Skinhead-Rechtsextremismus haben die Genfer Rechtsextremisten wenig am Hut. Eine Ausnahme sind die Recken von Artam Brotherhood, die an einem unbekannten Ort im französischen Grenzgebiet einen Treffpunkt betreiben. Sie kämpften, so erklärten sie in einem Interview, für «Blut und Boden». Sie sähen Geschichte als Kampf um die Vorherrschaft zwischen «verschiedenen Rassen und Völkern der Erde». Im Juli 2012 stach ein französischer Rechtsextremist aus dem Umfeld von Artam Brotherhood den Sänger einer Genfer Punkband nieder. An Weihnachten lud die Gruppe zum Julfest, zur Feier der Wintersonnenwende. Sie situiert sich damit in einer natio­nalsozialistischen Tradition.

Rechtsextreme Hausbesetzungen

Andere Genfer RechtsextremistInnen holen sich Inspiration in den Nachbarländern, meist in Frankreich, aber nicht nur. Genève Non Conforme, gegründet im April 2010, orientiert sich an der italie­nischen Bewegung Casapound und deren Anführer Gianluca Iannone, auch Sänger der Rockband Zetazeroalfa. Casapound ist ein Häuserblock in der Nähe des Römer Hauptbahnhofs, von jungen FaschistInnen besetzt und zu einem Kulturzentrum umfunktioniert, in dem ausschliesslich Familien italienischer Staatsangehörigkeit leben dürfen. Auch Genève Non Conforme will schon zweimal Häuser besetzt haben, nur für kurze Zeit und unbemerkt von der Öffentlichkeit. Die Gruppe verbindet Kritik an den sozialen Ungerechtigkeiten mit einem rassistisch-europazentrierten Weltbild. Die Globalisierungskritik zielt mit antisemitischen Untertönen gegen die USA und gegen Israel. Im Frühling 2011 verteilte die Gruppe an der Uni Flugblätter gegen die westliche Einflussnahme in Libyen und Afrika. Das Flugblatt fordert, «USIsrael» habe sich nicht einzumischen, «weder in Afrika noch anderswo in der Welt. Afrika-Europa: Der gleiche Kampf. USIsrael go home.» Im vergangenen Herbst demonstrierten einige Genève-Non-Conforme-Männer für den syrischen Diktator Baschar al-Assad.

Ebenfalls antizionistisch und antisemitisch positioniert sich die Gruppe Égalité & Réconciliation (E & R), präsidiert von Behnam Najjari, einem jungen Genfer iranischer Herkunft. Die Genfer E & R-Sektion ist Teil der französischen Bewegung, die von Alain Soral, einem ehemaligen Kommunisten und späteren Anhänger des Front National, gegründet wurde. Sie agiert unter der Maxime «Linke der Arbeit und Rechte der Werte».

Die Gruppe sorgte im November für Aufregung, als sie für einen Vortrag von Kémi Séba warb, dem Anführer der französischen Sektion der New Black Panther Party, und zwar über «Panafrikanismus und die Verbrechen des Imperialismus». Doch die Bundespolizei verbot Séba die Einreise, da die Gefahr bestehe, dass er zum rassistischen Hass und zur Gewalt aufrufe. Séba propagiert eine strikte Trennung der Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, auch hält er «das Judentum» für verantwortlich für die Kolonialisierung, den Sklavenhandel und das heutige Elend der schwarzen Menschen. Séba ist bereits mehrmals in Frankreich wegen Aufruf zum Rassenhass verurteilt worden.

Starke Worte, beschränkte Resonanz

In den Hintergrund getreten ist die Gruppe Jeunes Identitaires Genevois, gegründet 2005. Sie hatte im März 2011 noch im Genfer Vorort Grand-Saconnex erfolglos (rund drei Prozent WählerInnenanteil) an den Wahlen teilgenommen. Ihr bekanntester Exponent, Jean-David Cattin, Oberleutnant der Schweizer Armee, ist weiterhin aktiv, allerdings in Frankreich. Anfang November trat er im südfranzösischen Orange an der «Convention Identitaire» auf. Angekündigt wurde er als Mitverantwortlicher der Genfer Kampagne für das Minarettverbot. Die französische Identitaire-Bewegung agitiert vorwiegend islamophob. Sie will das christlich geprägte Europa verteidigen, seit kurzem agieren Identitaire-Bewegte auch in Deutschland und Österreich. Mitte Oktober besetzten Identitaires in Poitiers den Bauplatz einer geplanten Moschee – in Erinnerung an die Schlacht von 732 nach Chris­tus, als die Franken unter dem Kommando von Karl Martell die Sarazenen schlugen.

In einer «Kampfansage» deklamieren sie, sie seien eine «Generation», die doppelt bestraft werde: «Verurteilt, in ein Sozialsystem einzuzahlen, das durch Zuwanderung so instabil wird, dass für uns und unsere Kinder nichts mehr übrig bleibt.»

Starke Worte, doch die Resonanz bleibt beschränkt. Die Genfer Rechtsextremen von Genève Non Conforme, E & R und der Identitaires bewegen sich zwar ausserhalb subkultureller Strukturen, trotzdem erreichen sie kaum Aufmerksamkeit über die Gruppe der Rassist­Innen, Islamophoben und Verschwörungsfantasten hinaus.


Die «Blutnacht von Genf»

Eine offene Wunde

Hans Stutz

13 Menschen erschossen, 65 verletzt – das war die tragische Bilanz der «Blutnacht von Genf» vom 9. November 1932, als AntifaschistInnen von der Armee beschossen wurden. In einer unlängst erschienenen ausführlichen Studie schildert Jean Batou, Geschichtsprofessor an der Universität Lausanne, bis anhin wenig bekannte Hintergründe über die Offiziere, welche die Schüsse auf die DemonstrantInnen ­befahlen.

Der Hauptverantwortliche, Raymond Burnat, damals Oberleutnant, später Oberstleutnant, gehörte – wie weitere mitbeteiligte Offiziere – wenig später zu den Mitbegründern der Gruppe Les Équipes. Innerhalb der bürgerlichen Parteien Genfs agitierte sie für eine a­utoritäre, ständestaatliche und föderalistische Rechte, die sich vom Liberalismus abwenden wollte. Bereits 1974 hatte der Historiker Richard Gautier, unter anderem gestützt auf Interviews mit mehreren Équipes-Mitgliedern, das Wirken dieses Genfer Rechtsaussenklüngels dargestellt. Doch seine Arbeit war an der Uni weggeschlossen worden, wohl weil Professor Bernard Gagnebin, damaliger Doye­n der Fakultät, in seiner Jugend selbst den Équipe­s angehört hatte. Hans Stutz

 

Jean Batou: «Quand l’esprit de Genève s’embrase. Au-delà de la fusillade du 9 novembre 1932». Éditions d’en bas. Lausanne 2012. 560 Seiten. 34 Franken.