Neue Zürcher Zeitung vom 14.07.2012
Über die letzten zwanzig Jahre hinweg hat die SVP die rechtsnationalen Parteien integriert. Das bescherte ihr Wachstum. Die skandalösen Folgen sind nicht erst seit den neuesten Twitter-Fällen sichtbar. Grenzt sich die Partei nicht gegen rechts ab, droht Ungemach. Von Michael Schoenenberger
Was extreme Ideologien anbelangt, stehen die Polparteien von jeher unter strenger Beobachtung. Unvergessen ist die unreflektierte Bewunderung einiger Schweizer Sozialdemokraten für die kommunistischen Unrechtsregime. Genauso stossend waren und sind die halbherzigen Distanzierungen der SP von gewaltbereiten Gruppen, die alljährlich am 1. Mai durch die Strassen fegen. Nicht anders ergeht es der SVP, ungute Erinnerungen auch hier. Bereits in den späten neunziger Jahren äusserten sich SVP-Mitglieder in der vermuteten Anonymität des Internets in untolerierbarer Weise über Ausländer und Andersdenkende. Es gab grössere Krämpfe mit dem rechtsextremistischen Genfer Nationalratskandidaten und Kantonalsekretär Pascal Junod wie auch mit dem Tessiner SVP-Grossrat Roger Etter. Schon damals, vor den Wahlen 1999, musste Parteipräsident Ueli Maurer im ganzen Land klarstellen, dass die SVP keine rechtsextreme Partei sei. Wenn heute SVP-Mitglieder auf Twitter oder Facebook eine neue Kristallnacht für Moscheen erwägen oder Schiessbefehle gegen Asylbewerber fordern, schockiert das wie eh und je. Überraschen tut es nicht.
Was hat sich verändert?
Bekanntlich gibt es überall ein Wählerpotenzial am rechten, extremen Rand. In der Nachkriegszeit bedienten hierzulande einige kleine Rechtsparteien, Zirkel und Bewegungen diese Klientel – mit mehr oder weniger Erfolg und mit je eigenen Schwerpunkten: Nationale Aktion, Republikaner, Schweizer Demokraten, Autopartei, Freiheitspartei. Fast vergessen sind sie heute. Pro memoria: Bei den Nationalratswahlen 1991 kamen sie zusammen auf einen Anteil von 10,8 Prozent. Dann ging es bergab. 2007 waren es noch 2,5 Prozent, die Schweizer Demokraten verloren ihren letzten Nationalratssitz. Wissentlich und willentlich sog die SVP diesen rechten Rand in ihrer Wachstumseuphorie auf. Es hiess: Rechts von uns braucht es niemanden. Allerdings, die Menschen mit dem extremen Gedankengut sind nicht einfach verschwunden, sie tummeln sich in der SVP. Geheuchelt erscheinen deshalb die erstaunten Reaktionen in der Partei auf die Twitter-Fälle.
Die Volkspartei hat in den letzten zwanzig Jahren den ausländerfeindlichen Diskurs, das Denken in den Kategorien von Gut und Böse, von Schwarz und Weiss, von Hier und Dort und vom scheinbaren Anders- und Bessersein des Schweizers und der Schweizerin gegenüber dem Auswärtigen derart ins Zentrum ihrer Argumentationen gerückt, dass die Jünger heute glauben, was für die Vordenker Mittel zum Zweck, Instrument zur Optimierung des Wähleranteils war. Das ist es, was wirklich Sorgen macht. Allen Ernstes ist nun auf Vorschlag einer jungen SVP-Politikerin von einer Kategorisierung der Schweizer Bürger die Rede. Ein Eintrag im Schweizer Pass soll anzeigen, ob jemand von Geburt an Schweizer oder ob er ein eingebürgerter Schweizer ist. Wer nicht mehr merkt oder merken will, welche Denkschemen sich hinter solchen Regelungen verbergen, ist bereits ein weites Stück gegangen.
Es geht in der Werbung wie in der politischen Kommunikation immer um Sprache und Bilder, mit denen die Menschen erreicht und überzeugt werden. Die SVP beherrscht die Provokation nach wie vor wie keine andere Partei. Gepaart mit einer dauerhaften Wahlkampagne, rannte die Partei von Erfolg zu Erfolg. Christoph Blocher sagte einmal, wer etwas erreichen wolle, müsse mit Worten möglichst weit gehen. Nur dann werde er gehört. Die «classe politique» mache sonst einfach weiter wie bisher. Für alle, die nur das Interesse der eigenen Partei und nur die eigenen Anliegen verfolgen, erscheint dies legitim. Ausgeblendet wird die Wirkung der Forcierung der Sprache auf die politische Meinungsbildung. Rhetorik und Manipulation sind alte Themen, doch es wäre gut, ihre Mechanismen würden, gerade im Zeitalter der neuen Medien, vermehrt thematisiert. Mit der steten Radikalisierung der Sprache geht ein Gewöhnungseffekt einher. Dies erklärt die inakzeptable Wortwahl der fehlgeleiteten SVP-Twitterer. Es greift viel zu kurz, sie einfach als Spinner abzutun. Denn sie sind gleichermassen Opfer und Täter in einem radikalisierten Diskurs. Hierin liegt die Verantwortung der SVP-Spitze und ihrer mentalen Coachs. Sie kochen mit Worten ein Menu, das von anderen nicht nur bestellt, sondern auch gegessen wird. Für die Empfänglichen wird daraus Wahrheit. Die Worte verändern das Denken.
Die Distanzierung der SVP-Führung von den rechtsextremen Parteigängern ist eine Selbstverständlichkeit. Verantwortung übernehmen wäre aber mehr, als diese aus der Partei auszuschliessen. Es würde bedeuten, sich kritisch mit der geistigen Gewalttätigkeit der letzten zwanzig Jahre auseinanderzusetzen. Es ist klar, dass dies Wunschdenken bleibt. Wenigstens darf man erwarten, dass nicht auch noch geschauspielert wird. Die geflunkerte Ahnungslosigkeit des Parteipräsidenten frappiert. Immerhin werden die modernen Kommunikationsmittel (nennen wir sie in diesem Fall «unsocial media») längst in allen Parteizentralen rege genutzt. Offenbar galten die SVP-Twitterer weitherum als «Netzfreunde». Hier gilt wie anderswo: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
Reinigung im Interesse der SVP
Strafen kann man sich einige vorstellen. Es werden sich, sollte kein reinigendes Gewitter kommen, noch mehr Menschen prinzipiell nicht vorstellen können, diese SVP je zu wählen. Kontraproduktiv für die Partei ist im Grunde, dass sie mit ihrem fremdenfeindlichen Diskurs ihren eigenen Anliegen überhaupt nicht hilft. Der rechte Sumpf, mittlerweile Teil der Partei, ist auf dem besten Weg, die Kernanliegen der SVP aufzusaugen. Eine klare Anti-EU-Politik muss nicht um das xenophobe Element ergänzt werden. Die SVP, die richtigerweise in etlichen Bereichen (nicht in allen) am konsequentesten gegen die Aufblähung des Staates und seine Kontrolle über den Bürger antritt, tut sich und der Sache durch die selbstverschuldete Isolation keinen Gefallen. Eine Abgrenzung gegen rechts tut not. Die Integration und regelmässige Deckung von Extremisten, bis es nicht mehr geht, wird weiteres Ungemach bringen.
Begünstigt worden ist das Klima der Aggression auch durch die ewige Debatte um die Oppositionsrolle der Partei. Wer heute in der SVP für eine massvolle Politik des Konsenses plädiert, darf nicht mit einer steilen Karriere rechnen. Stetig schiebt sich die SVP bei der Frage der Integration in die Regierungsverantwortung mehr ins Abseits, denn sie merkt nicht, dass sie durch ihren Diskurs in der eigenen Gefolgschaft den Sinn für die Kooperation und das Schweizer System der Konkordanz zu guten Stücken zerstört. Auch hier haben die Worte das Denken verändert, zum eigenen Schaden.
Dem berechtigten Wunsch, angemessen in Regierungen vertreten zu sein, muss ein echter Wille zur Übernahme von Verantwortung zugrunde liegen – mit den Konsequenzen, die sich in einem Konkordanzsystem daraus ergeben. Wohl würden sich rechts der SVP neue Bewegungen und Gruppierungen ihren Weg suchen. Weiter schlimm wäre das nicht. Xenophobe und rassistische Extrempositionen machen jede Partei auf Dauer kaputt. Für die SVP bleibt zu hoffen, dass sie die Geister, die sie rief, rechtzeitig wieder loswird.