Basler Zeitung vom 03.07.2012
Für Soziologe Imhof fehlt es an Sensibilität – SVP hält rassistische Aufrufe für nicht tolerierbar
Von Thomas Lüthi
Bern. «In der SVP gab und gibt es solche Fälle», schreibt Generalsekretär Martin Baltisser in einem Editorial. Er meint damit «rassistische und fremdenfeindliche Aufrufe,wie sie in den letzten Tagen von SVP-Mitgliedern in Zürich und Solothurn bekannt geworden sind. Der Zürcher forderte per Twitter eine «Kristallnacht» für Moscheen; der Solothurner rief in Facebook dazu auf, Asylbewerberheime in die Luft zu sprengen; Asylbewerber seien zu internieren und militärisch zu bewachen «mit Schiessbefehl». Die beiden Rassisten sind mittlerweile aus der SVP ausgetreten und kamen damit ihrem ziemlich sicheren Ausschluss zuvor.
«Solche Leute haben in der SVP nichts zu suchen», schreibt Baltisser. Rassistisches und fremdenfeindliches Verhalten sei nicht tolerierbar. Baltisser ruft die Sektionen in der ganzen Schweiz auf, ihre «Verantwortung» wahrzunehmen und zu handeln,wenn es zu Verfehlungen komme. Der Generalsekretär versucht mit seinem Schreiben, den Imageschaden für seine Partei zu begrenzen. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass sich «solche Fälle» in einer «offenen Volkspartei auch in Zukunft nicht gänzlich ausschliessen lassen». Gleiches gelte für andere Parteien. Baltisser spricht damit ein allgemeines Phänomen an. Eine Partei müsse damit rechnen, meint er gegenüber der BaZ, dass sich «auch Leute mit extremistischem Gedankengut» von ihr angesprochen fühlten. «Das ist auch bei anderen Parteien so.» Es gebe kein Patentrezept, dies zu verhindern, sagt Baltisser. Wichtig sei, dass eine Partei bei Verfehlungen etwas dagegen unternehme. Er bezeichnet es als Verdienst der schweizerischen Parteienlandschaft, dass es «rechts der SVP und links der SP» nur wenige relevante Extremistengruppen gebe.
«Dumme Menschen»
Die SVP kommt nicht zum ersten Mal in die Schlagzeilen, weil sich unter ihnen Rassisten und Rechtsextremisten tummeln. Bücher und Internetplattformen dazu gibt es viele. Aber auch gestandene Amtsträger stehen in der Kritik. Etwa SVP-Nationalrat Oskar Freysinger aus dem Wallis, der schon wiederholt an Anlässen rechtspopulistischer Parteien und islamophober Gruppen im Ausland aufgetreten ist. Er habe nichts mit Rechtsextremismus am Hut, hat Freysinger wiederholt versichert. Die beiden ehemaligen SVP-Mitglieder aus Zürich und Solothurn bezeichnet er als «dumme Menschen», die Hassgefühlte gegenüber anderen ausgedrückt hätten. Dass es in der SVP Rechtsextremisten gibt, streitet Freysinger nicht ab. Die SVP «sozialisiere» diese Leute aber und zwinge sie, das Spiel nach rechtsstaatlichen Regeln zu spielen, hatte er letzten August dem «Sonntag» gesagt.
«Blood and Honour»
Gegenüber der BaZ bekräftigte Freysinger diese Äusserungen. Sie hätten in der SVP Unterwallis, die er präsidiert, ein paar «Mitglieder, die in einer rechtsextremen Gruppe waren» – Neonazis des Netzwerkes «Blood and Honour». Diese Leute, die als Jugendliche abgedriftet seien, hätten sich «gemausert» und Familien gegründet. Einer von ihnen habe einmal für ein öffentliches Amt kandidiert, erzählt Freysinger. Er habe aber aufgrund seiner Vergangenheit von der Liste gestrichen werden müssen. Mitglieder mit «Neonazi-Allüren» habe er aber auch schon aus der Partei geworfen. Nicht alle beurteilen den angeblich positiven Effekt der SVP für Rechtsextremisten so wie Oskar Freysinger. «Blood and Honour» sei ein Jugendphänomen, sagt der Soziologe Kurt Imhof von der Universität Zürich. Deren Läuterung habe mit dem Erwachsenwerden zu tun, mit einem wachsenden Verantwortungsgefühl oder, wie es Imhof ausdrückt, «mit einer lebensbiografischen Durchgangsphase». Tatsächlich würden diese Leute in der SVP viel zu wenig diszipliniert.
Der SVP fehlt ein Sensorium
Die «interne Seismographie» der SVP für rechtsextremes Gedankengut ist laut Imhof «völlig unterentwickelt». Das heisst: Die Partei spürt nicht, wenn sich wieder ein parteischädigendes Erdbeben wie in den letzten Tagen ankündigt. Die SVP grenze sich viel zu wenig nach rechts ab, ist der Politologe Andreas Ladner überzeugt. Aufgrund einer kompromisslosen Politik und fremdenfeindlichen Rhetorik durch die SVP ist es für Extremisten nicht immer klar, so Ladner, «was von der SVP toleriert wird und was nicht».
Klare Regeln für die Aufnahme von Mitgliedern gibt es bei der SVP nicht. Das ist Sache der Ortssektionen, die zuerst in der Pflicht stehen.