SonntagsZeitung 20.05.2012
Peter Beutlers Krimi «Weissenau» über die Schweizer Rechtsextremen
von balz spörri (text) und tabea reusser (foto)
Am 27. Januar 2001 erschlugen vier junge Männer in der Burgruine Weissenau bei Unterseen/Interlaken den 19-jährigen Marcel A.. Täter wie Opfer waren Mitglieder des rechtsextremen Geheimbundes «Orden der arischen Ritter». A. musste sterben, weil er angeblich das Schweigegelübde der Gruppe gebrochen hatte. Den Leichnam warfen die Mörder in der Nähe der Beatushöhlen über eine Felswand in den Thunersee.
Vom Haus Peter Beutlers in Leissigen BE ist die Felswand am gegenüberliegenden Ufer gut sichtbar. «Ich sehe sie jeden Tag», sagt er. Die Tat lässt dem ehemaligen Gymnasiallehrer und SP-Politiker keine Ruhe. «Dieses Verbrechen ist nie aufgearbeitet worden.» Mit seinem Krimi «Weissenau», der nächste Woche in die Buchläden kommt, will Beutler, der erst spät zum Schreiben kam, eine Diskussion über das politische Klima anstossen, in dem solche Taten erst möglich werden.
Beutler hat den Mord in der Neonazi-Szene, der damals die Schweiz schockierte, literarisch verarbeitet. Realität und Fiktion mischen sich. Held ist der idealistische Polizist Beat Lauber. Er hat den brutalen Überfall auf einen Obdachlosen im Bahnhof Interlaken Ost zu klären und kämpft dabei auch gegen Kollegen, die offen mit den Skinheads im Städtchen sympathisieren.
Parallel dazu erzählt Beutler die Geschichte des Adolf Imobstgarten. Der Sohn von Freikirchlern, Waffennarr und Bewunderer von Traugott Frank, dem Führer der Schweizer Rütlipartei, bekommt in einer Disco Streit mit einem «Scheissjugo». Fortan sinnt er auf Rache. Mit drei Kollegen gründet er einen Geheimbund, gleich wie die Mörder von Marcel A. im echten Leben. Sie schiessen auf eine Unterkunft für Asylbewerber, attackieren einen dunkelhäutigen Käser und planen mehrere Mordanschläge – bis einer von ihnen aussteigen will.
Die Täter werden schliesslich gefasst und verurteilt. «Doch die eigentlichen Schuldigen laufen weiter frei herum und waschen ihre Hände in Unschuld», sinniert Fahnder Lauber am Ende. Er spricht quasi für seinen Autor. Peter Beutler ist überzeugt, dass die Propaganda der SVP massgeblich dazu beiträgt, dass Jugendliche zu Rechtsextremen werden: «Mit dem Messerstecher-Plakat oder den Inseraten gegen die Waffenschutzinitiative baut die SVP Feindbilder auf, die bei einigen auf fruchtbaren Boden fallen.»
Beutler, 69, wuchs als Sohn eines Fabrikarbeiters im nahen Zwieselberg auf. Damals seien die Leute gut miteinander ausgekommen, auch wenn sie politisch unterschiedlich dachten. Doch mit dem Aufstieg Christoph Blochers habe eine unheilvolle Radikalisierung eingesetzt.
Morddrohungen wegen eines Leserbriefs gegen Haider
Zu schreiben begann Beutler erst nach der Pensionierung. Zuvor hatte er als Chemielehrer in Luzern unterrichtet. Den Mord auf der Weissenau hat er seinerzeit in den Medien verfolgt. Doch man kennt sich hier. Der Vater eines der Täter stammt auch aus Zwieselberg. Vor kurzem besuchte Beutler mit seiner Frau die Ruine Weissenau. Plötzlich tauchten vier Skinheads auf und fotografierten alles. Beutler wurde es mulmig. Dabei lässt er sich nicht so schnell einschüchtern. Als er noch in Meggen LU wohnte, sass er zwölf Jahre lang für die SP im Kantonsparlament. Wegen eines Leserbriefs im Zusammenhang mit dem österreichischen Rechtsaussen Jörg Haider erhielt er Morddrohungen. Später wurde er erneut übel beschimpft, als er das Einbürgerungsverfahren in Emmen LU sowie das degressive Steuermodell des Kantons Obwalden bekämpfte. In beiden Fällen gab das Bundesgericht ihm und seinen Mitstreitern recht.
Und wie steht es heute mit den Rechtsradikalen? Im neuen Sicherheitsbericht des Bundes steht: «Gewaltausübung aus rechtsextremer Motivation ist derzeit selten.» Doch der Boden sei noch immer fruchtbar, sagt Beutler. Im «Bund» schilderte kürzlich eine Mutter aus Wimmis BE, wie ihr Sohn in den Bann des Rechtsextremismus geriet. Im Herbst 2011, so die Mutter, «spitzte sich alles zu». Der Sohn besuchte eine SVP-Veranstaltung mit Christoph Blocher. Er war fasziniert. «Die am Anlass geäusserte Einstellung, dass man Ausländer, ‹die hier Lämpe machen›, nicht mehr tolerieren wolle, habe ihm gezeigt, dass er selber nicht falsch liege. Wenige Tage danach habe er sich den Kopf rasiert», so die Mutter im «Bund». Die Szene könnte aus Beutlers Krimi stammen.
Peter Beutler, «Weissenau», Emons-Verlag, 272 S., 16.50 Fr.