SonntagsZeitung vom 20.11.2011
Geheime Liste des Schweizer Nachrichtendienstes zeigt Mängel im Kampf gegen Rechtsextremismus
von Denis von Burg und Pascal Tischhauser
BERN Immer deutlicher werden die Verbindungen der deutschen Neonazi-Szene zum Schweizer Rechtsextremismus. Jetzt lässt die streng geheime «Beobachtungs liste» des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) vermuten, dass der Schweizer Staatsschutz auf dem rechten Auge blind ist und die rechtsextremistische Szene nur unzureichend überwacht wird.
Die «Liste der zu beobachtenden Organisationen und Gruppierungen 2011», die der SonntagsZeitung vorliegt, definiert jene Organisationen, die auch geheim ausspioniert werden dürfen und müssen. Die Liste umfasst insgesamt 23 Organisationen, dem Rechtsextremismus wird kaum Platz eingeräumt. Die rechte Szene wird in gerade mal 19 Zeilen des über 20-seitigen Dokuments abgehandelt und undifferenziert unter «Skins» subsumiert.
Die Fokussierung auf die Skins «ist realitätsfremd und unzureichend», sagt der Rechtsextremismusexperte Hans Stutz und liefert eine Analyse der gewaltbereiten und rassistischen Rechten, die weit über die Skins hinausgeht (vergleiche Interview). Die Staatsschützer dagegen bleiben in der Liste im Ungefähren und sprechen vage von «30 rechtsextremen Skinhead-Gruppen», die das «gesamte Spektrum des gewalttätigen Rechtsextremismus» abdecke.
Selbst Sicherheitsdirektoren zweifeln am Staatsschutz
Die Staatsschützer stellen in der «Beobachtungsliste» sogar selbst fest, dass sie Mühe hätten, die rechte Szene adäquat zu beobachten, da diese vermehrt «konspirativ» vorgehe. Nachrichtendienstchef Markus Seiler äusserte sich an der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) ähnlich. Anwesende Regierungsräte, welche die Liste kennen, warfen danach die Frage auf, ob der Staatsschutz die extreme Rechte wirklich adäquat beobachten will und kann.
Offensichtlich ist: Die Liste widmet dem islamistischen Fundamentalismus, aber vor allem dem Linksextremismus wesentlich mehr Aufmerksamkeit: So wird die Rolle des Revolutionären Aufbaus Zürich als zentraler Organisation der militanten Linken mitsamt seinen zahlreichen Umfeldorganisationen detailliert beschrieben. Sogar Gruppen wie die deutsche Rote Armee Fraktion, die sich nach Einschätzung des Staatsschutzes schon längst aufgelöst haben, sind zur Beobachtung ausgeschrieben.
Der grüne Nationalrat und Nachrichtendienst-Spezialist Daniel Vischer ortet «offensichtliche Mängel des Nachrichtendienstes im Umgang mit dem Rechtsextremismus». Und Vischer «zweifelt am Willen und der Fähigkeit des NDB, die extreme Rechte wirkungsvoll zu überwachen».
Die Zweifel kommen aber längst nicht nur aus dem linken Lager. Der freisinnige Präsident der Antirassismuskommission, Georg Kreis, sagt: «Die Rechte wird offensichtlich defizitär beobachtet.» Sicher nehme man sie zu wenig ernst, um auch mit den Mitteln des Staatsschutzes gegen sie vorzugehen. «Dieser Zustand ist umso inakzeptabler, als in der Vergangenheit der Aufwand des Staatsschutzes immer mit der Gefahr des Rechtsextremismus gerechtfertigt wurde», kritisiert Kreis. Und Vischer fordert, dass die Geschäftsprüfungsdelegation, die im Parlament den NDB überwacht, dessen Arbeit hinterfragt. Dort wollte niemand Stellung nehmen.
Deutsche Grüne wollen Klarheit über Schweiz-Connection
WIESBADEN D Die hessischen Grünen verlangen eine Untersuchung über die Schweizer Verbindungen der Neonazi-Killer vom Nationalsozialistischen Untergrund. Hintergrund sind Berichte, wonach die Tatwaffe der «Döner-Mörder» in der Schweiz erworben wurde und hessische Neonazis im Aargau Schiesstrainings absolvierten. Jürgen Frömmrich von der Grünen-Fraktion im hessischen Landtag kritisiert, dass die Schweiz über kein zentrales Waffenregister verfügt: «Im Zusammenhang mit der Tatwaffe ist es nicht sehr hilfreich, wenn die Schweizer Behörden den Weg dieser Waffen nicht genau zurückverfolgen können.» Er plädiert dafür, «die Waffengesetze im Schengen-Raum anzugleichen».