Tages-Anzeigervom 19.11.2011
Die Rechtsextremen in der Schweiz bemühen sich um ein Biedermeier-Image und schlagen weniger häufig zu. Entwicklungshilfe holen sie sich bei der deutschen NPD.
Von Dario Venutti
Der klassische Neonazi gilt als Dumpfbacke. Er trägt Kampfstiefel, Bomberjacke und Glatze. Stark fühlt er sich nur in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Unter Alkoholeinfluss schlägt er schnell einmal zu. Dieser Typ Neonazi ist nicht verschwunden. Doch er dominiert die rechtsextreme Szene der Schweiz nicht mehr. Viele haben die Bomberjacke gegen Kapuzenpullover getauscht und tragen statt Kampfstiefeln Turnschuhe. Manch einer ist Familienvater. Zu Beginn der 90er-Jahre zählte der Schweizer Geheimdienst 200 Neonazis. Wie in Deutschland verübten sie auch hierzulande zahlreiche Brandanschläge auf Flüchtlingsheime. Zwanzig Jahre später werfen Rechtsextreme nur noch vereinzelt Molotowcocktails auf Ausländerwohnungen. Hingegen hat sich ihre Zahl versechsfacht: Nach Schätzungen der Bundeskriminalpolizei gibt es heute in der Schweiz 1200 Neonazis. 600 weitere gelten als Mitläufer. Die Zahl ist seit sechs Jahren konstant.
Von der Subkultur in die Politik
Laut dem Publizisten Hans Stutz, der die Rechtsextremen in der Schweiz seit Jahrzehnten beobachtet und eine Chronologie rassistischer Vorfälle führt, hat sich die Szene stark verändert: «Heute fahren die Neonazis auf der politischen Schiene», sagt er. Die Subkultur der Hammerskins und der Gruppierung Blood and Honour ist in der Öffentlichkeit weniger sichtbar.
Deshalb ist auch die Zahl der Vorfälle zurückgegangen, bei denen Skinheads Ausländer beschimpfen, Schlägereien anzetteln und andere schwer verletzen. Der letzte krasse Fall stammt aus dem Jahr 2003, als sechs Neonazis in Frauenfeld einen Jugendlichen zum Invaliden schlugen. Sie wurden wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und schwerer Körperverletzung zu fünf bis sechseinhalb Jahre Gefängnis verurteilt.
Hingegen ist die Pnos wichtiger geworden: Die «Partei national orientierter Schweizer» wirke disziplinierend auf die Szene, vermutet Stutz. Ihr Aushängeschild Dominic Lüthard verkörpert beispielhaft den Wandel der Rechtsextremen. Lüthard stammt aus Roggwil im Oberaargau. Wie der Parteichef wohnen viele Mitglieder in ländlich-kleinstädtischen Regionen, während die Skinheads der frühen 90er-Jahre noch häufiger in grösseren Städten anzutreffen waren.Die Pnos wurde vor zehn Jahren von Mitgliedern der Blood-and-Honour-Gruppierung gegründet. Gemäss eigenen Angaben zählt sie 300 Personen. Die Bundespolizei schätzt die Zahl jedoch auf nur 100. In Langenthal hat die Partei einen Vertreter im städtischen Parlament. Auch Lüthard hat die Bomberjacke und die Kampfstiefel in der Zwischenzeit ausgezogen und gibt sich nach aussen moderat und sachlich. Im Gespräch betont der 28-Jährige, die Pnos halte sich an die demokratische Grundordnung.Die programmatischen Texte der Partei sprechen jedoch eine andere Sprache. Dort ist die Rede von einem «eidgenössischen Sozialismus». Das Vorbild ist die Frontistenbewegung aus den 30er-Jahren, die mit Hitler-Deutschland sympathisierte. Die Parteizeitschrift der Pnos heisst «Harus». So lautete der Gruss der Fröntler.
«Hitler von Köln» bei der Pnos
Lüthard, der wie andere Kadermitglieder der Pnos wegen Verstössen gegen die Rassismus-Norm verurteilt wurde, distanziert sich von den Morden der Zwickauer Terrorgruppe. Gleichwohl lädt er rechtsextreme Aktivisten aus Deutschland an Pnos-Veranstaltungen ein: Am Parteitag im Oktober an einem unbekannten Ort im Luzernischen war Axel Reitz der Hauptredner. Das wegen Verhetzung vorbestrafte NPD-Mitglied wird in deutschen Medien als «Hitler von Köln» bezeichnet, weil er sich wie sein Vorbild kleidet. Das Video vom Parteitag wurde von einem deutschen Medienbetrieb produziert, der auch NPD-Veranstaltungen, Skinheadaufmärsche und Neonazikonzerte dokumentiert.
Lüthard trat mit seiner Band Indiziert mehrmals an rechten Rockkonzerten in Deutschland auf. Gemäss seinen eigenen Angaben hat er in den letzten sieben Jahren 8000 CDs der Band verkauft, fast alle in der Schweiz. Für den Experten Stutz ist das ein starker Hinweis dafür, dass die Zahl der Neonazi-Sympathisanten in der Schweiz deutlich grösser ist, als von der Bundespolizei angegeben.
Kundschaft für Versandhäuser
Dafür spricht auch die Tatsache, dass drei Versandhäuser existieren, die rechtsextreme Literatur, Musik und Kleider in der Schweiz verkaufen. Ein Versand gehört der Pnos, die andern beiden werden von Mitgliedern geführt. Noch vor wenigen Jahren musste man die Produkte direkt in Deutschland bestellen. Die Nachfrage in der Schweiz ist offenbar genügend gross, dass es sich lohnt, einen Versand zu betreiben.
Laut einer Antifa-Quelle aus Deutschland gehen die Verbindungen zwischen Schweizer Neonazis und der NPD darüber hinaus. So sollen im August NPD-Mitglieder Schiessübungen im Luzernischen abgehalten haben, die ihnen Schweizer Rechtsextreme vermittelt haben sollen. Die Kantonspolizei Luzern weiss davon allerdings nichts. Ein Sprecher verwies auf die Tatsache, dass es heute jedem möglich ist, einen Schiessstand oder eine Halle für solche Übungen zu mieten. Pnos-Chef Lüthard sagt, seine Partei wisse nichts von einem solchen Treffen.