Basler Zeitung vom 02.08.2011
Von Daniel Vischer
Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Herzlichkeit der Anteilnahme Einheimische und Zuwanderer gemeinsam in Norwegen den ungeheuerlichen und immer noch unerklärlichen Massenmord zu bewältigen versuchen. Der norwegische Parlamentspräsident fragt: «Finden Sie uns Norweger eigentlich seltsam?» – und spielt dabei darauf an, dass nicht sofort Polizeistaat-Massnahmen ausgerufen worden sind. Seltsam nicht, aber in der heutigen Zeit bestimmt aussergewöhnlich.
Dazu gehört auch das energische, konsequente, aber unaufdringliche, nicht vorrangig auf die Bedürfnisse der Medien ausgerichtete Vorgehen der Justizbehörden. Es wäre auch hierzulande ratsam, vom immer nach einem solchen schlimmen Ereignis unvermeidlicherweise aufkommenden Verlangen nach neuen Staatsschutzbefugnissen wieder abzukommen. Das nicht besser wird, wenn es nun auch von Leuten aus der Linken artikuliert wird. Es deutet nämlich nichts darauf hin, dass die Tat mit Überwachungsmassnahmen im Vorfeld hätte verhindert werden können.
Längst ist die Zugehörigkeit von Breivik zum rechtsextremen Umfeld erwiesen. Dass seine Persönlichkeit – als glücklich bezeichnete Jugend, Elitestudent, eher unerwarteter intellektueller Hintergrund, der vordergründig keineswegs in das rechtsextreme Umfeld passt – zusätzliche Fragen aufwirft, ändert daran nichts. Fest steht: Es war eine gezielte politische, wenn auch individuelle Tat, die Wahl der Opfer und die Eigenverlautbarungen des Täters lassen daran keinen Zweifel offen. Im Visier standen die moderne Zuwanderungsgesellschaft und jene Personen, die im Zusammenleben mit Muslimen etwas Normales sehen. Es gibt gute Gründe, bezüglich der direkten Mitverantwortung an der Tat von rechten Parteien zurückhaltend zu sein. Und dabei genau das Vorgehen der SVP, das mit dem «Messerstecherinserat» in den Neunzigerjahren seinen unrühmlichen Anfang nahm, nicht zu kopieren.
Nicht auszudenken freilich, was sich nicht nur hierzulande politisch und in den Medien abgespielt hätte, hätte es sich um eine «islamistische» Tat gehandelt. Die SVP wird allerdings aus ihren Verstrickungen mit rechtsextremen Milieus nicht mehr rauskommen. Genau deshalb erklärt sie den Täter vorschnell als Irren. Toni Brunner moniert zudem, in der Schweiz hätten wir für solche Leute das Ventil der direkten Demokratie, als ob in der Schweiz eine solche Tat undenkbar wäre. Nach Christoph Blocher wiederum ist das politische Klima in Norwegen der Nährboden für die von Breivik verübten Massaker, Probleme würden verleugnet und jeder, der sie anspreche, verunglimpft. Damit übernimmt er in einem entscheidenden Punkt haargenau die ideologische Sichtweise von Breivik. Das Übel an der norwegischen Gesellschaft liegt mithin bei all jenen, die Fremdenhass bekämpfen und deren Urheber kritisieren. Es fragt sich, wer hier «intellektueller Terrorist» ist. So bezeichnet nämlich Blocher jene, die Fragen bezüglich des Zusammenhangs zwischen SVP, Rechtsextremismus und der Tat stellen.