NZZ am Sonntag vom 31.07.2011
Massenmörder Anders Breivik hat vor der Tat sein «Manifest» auch an sechs Personen in der Schweiz geschickt. Eine Spur führt in die rechtsextreme Szene.
Fabian Fellmann
90 Minuten vor der Bombenexplosion in Oslo schickt Anders Behring Breivik am 22. Juli eine E-Mail an 1002 «westeuropäische Patrioten», wie er sie anschreibt. Sie seien seine Facebook-Freunde oder deren Freunde. Im Anhang ist Breiviks mehr als 1500 Seiten langes «Manifest», ein Sammelsurium wirrer Texte, mit denen er sein Weltbild darzulegen versucht.
Die E-Mail geht auch an mindestens sechs Personen in der Schweiz, wie Recherchen der «NZZ am Sonntag» zeigen. Es handelt sich nebst drei Adressen mit der Endung «.ch» um drei weitere mit der Endung «.com».
Eine Adresse weist in die rechtsextreme Szene, zu einem 22-jährigen Angestellten eines Walliser Weinhändlers. Sie ist verbunden mit einem Benutzerprofil für das Internet-Forum von «Ultras Sion». Diese Fangruppe des FC Sion musste ihr Forum vor einigen Jahren wegen rechtsextremer Einträge vorübergehend schliessen. Der Walliser benutzte die Adresse zudem gemeinsam mit Pseudonymen, die zum englischen Neonazi-Forum «Blood and Honour» («Blut und Ehre») führen.
Auf seiner Facebook-Seite bezeichnet sich der junge Weinhändler als Fan rechtsextremer Musikgruppen und des Computerspiels «Metal Gear Solid» – eines Ego-Shooters. Mit solchen Spielen will sich Anders Behring Breivik auf das Massaker vorbereitet haben. Als Inspirationsquellen nennt der Walliser auf Facebook den französischen Holocaust-Leugner Robert Faurisson und den Nazi-Mystiker Rudolf Freiherr von Sebottendorff. Anfragen per E-Mail und Telefon blieben unbeantwortet. Bei der Walliser Polizei hiess es am Freitag auf Anfrage, man habe keine Kenntnis von Breiviks E-Mail-Empfängern. Der auf Bundesebene zuständige Nachrichtendienst nahm zu entsprechenden Fragen nicht Stellung.
Vier weitere Schweizer auf Breiviks Empfängerliste distanzieren sich gegenüber der «NZZ am Sonntag» von dessen Tat. Es handelt sich dabei um einen Politiker der rechten Partei «Schweizer Demokraten», der in der Ostschweiz an nationalen Wahlen teilgenommen hat, einen Berner Arzt und Freimaurer, einen Unternehmer aus dem Wallis sowie einen Mentalcoach aus Zürich. Sie alle sagen, sie hätten Breiviks E-Mail zunächst übersehen oder für Spam gehalten und gleich gelöscht und sie besässen keinerlei Anhaltspunkte, warum sie die E-Mail erhielten. Eine Anfrage an die sechste Adresse blieb unbeantwortet. Sie gehört einem Italiener mit einer Finanzgesellschaft im Tessin und einer Postanschrift in Zürich, der auf seinem wirren Blog behauptet, er habe zuvor für diverse Universitäten, Geheimdienste und Polizeiorganisationen gearbeitet.