Wochenzeitung vom 14.07.2011
12. April, 1. Mai, 1. August?
Der älteste Schweizerische Nationalfeiertag ist der 12. April. An jenem Datum wurde 1798 die «Eine und Unteilbare» Helvetische Republik proklamiert, und ein Jahr später beschlossen die helvetischen Räte, den Tag künftig mit der Errichtung von Freiheitsbäumen, vater ländischen Altären und Fahnenwäldern zu begehen.
Von dem Anlass fernhalten wollten sie per Gesetz allerdings «Männer ohne Bürgersinn», «Weiber ohne Sittsamkeit, feige Jünglinge und ungerathene Kinder». Es sollte «mit Geschmack, aber einfach, ohne grosse Unkosten, würdig und fröhlich» gefeiert werden.
Dieses Fest hat nie wirklich statt gefunden. Möglicherweise waren die Vorgaben zu streng. Einige Orte feierten stattdessen den 14. Juli – den Sturm auf die Bastille 1789 -, andere, wie Stäfa und Küsnacht am Zürichsee, sogar den 21. Januar – die Hinrichtung des französischen Königs Ludwig XVI. Schnell ging die Zeit der Helvetischen Republik mit ihren Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit vorbei. Die Schweiz blieb ohne Nationalfeiertag.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam der 1. August ins Gespräch. Zuvor hatte man, wenn überhaupt, den 8. November 1307 als Gründungs datum der Alten Eidge nossenschaft angenommen, nach der Überlieferung des Historikers Aegidius Tschudi. Der sogenannte Bundesbrief von 1291 wurde erst 1760 veröffentlicht, und seine Bedeutung war umstritten. Dass der 1. August dann erstmals 1891 begangen wird, ist auch kein Zufall: Einerseits herrscht im späten 19. Jahrhundert ein grosser Bedarf nach nationalem Pathos und romantischer Inszenierung, zu dem eine eidgenössische 600-Jahr-Feier hervorragend passt, gerade weil die Nation mit der Industrialisierung zusehends in feindliche Klassen zerfällt. Andererseits hat die Arbeiter bewegung ein Jahr zuvor, am 1. Mai 1890, einen internatio nalistischen Coup gelandet. Erstmals demonstrieren international Arbeiterinnen und Arbeiter gleichzeitig für gleiche Forderungen (den Achtstundentag, die Menschenrechte), von Sankt Peters burg über Zürich bis Chicago, solidarisch, ohne auf Herkunft oder Vaterland zu achten. Stefan Keller