Liechtensteiner Vaterland vom 03.03.2011
Zum ersten Mal liegt ein Bericht vor, in dem alle Vorfälle, welche der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind, dokumentiert werden. Der Monitoringbericht zeigt klar auf, dass es eine aktive, rechte Szene gibt und stellt für die Zukunft ein wertvolles Instrument dar.
Desirée Vogt
«Hinschauen – nicht wegschauen!» Die Botschaft der Regierung und aller involvierten Stellen in Sachen Rechtsextremismus ist klar und deutlich. Seit der Massenschlägerei auf dem Oktoberfest in Mauren im Jahr 2008 beschäftigt sich Liechtenstein mehr denn je zuvor mit dem Phänomen Rechtsextremismus, hat sich klar positioniert und aktive Massnahmen entwickelt, um der Thematik offensiv entgegenzuwirken. Nachdem im April 2010 ein Massnahmenkatalog gegen Rechtsextremismus – kurz MAX – vorgestellt worden ist, sind bis Ende 2010 bereits einige Massnahmen umgesetzt worden. Mit der Erstellung und Präsentation des ersten Monitoringberichts konnte nun ein weiterer, vor allem für die Zukunft wichtiger Schritt gegangen werden. War die Datenlage über Rechtsradikalismus in Liechtenstein bisher sehr dünn, kann nun das Gegenteil behauptet werden. Bis ins Detail hat das Liechtenstein-Institut im Auftrag der Regierung und der Gewaltschutzkommission Informationen, Berichte und Fakten rund um das Thema gesammelt und zusammengefasst.
Thema an der Oberfläche behalten
«Ziel des aktuellen Monitorings ist es, eine Gesamtschau der spezifischen Ereignisse zu ermöglichen», so Innenminister Hugo Quaderer gestern anlässlich der Präsentation des Berichtes. So könnten Tendenzen und Entwicklungen frühzeitig erkannt werden.«Wir wollen eine offene und tolerante Gesellschaft, in der Konflikte mit Worten und nicht mit Gewalt gelöst werden. Und wir wollen das Thema an der Oberfläche behalten und nicht nur dann darüber sprechen, wenn etwas geschehen ist», so Quaderer.
Wie ernst es der Regierung und allen involvierten Stellen damit ist, in Sachen Rechtsextremismus hart durchzugreifen, zeigen nicht nur die hartnäckigen Ermittlungen der Landespolizei in Sachen Brandanschläge in Nendeln. Mit dem Monitoringbericht wurde eine weitere, wichtige Massnahme umgesetzt, wie auch Jules Hoch, Kripo-Chef und Vorsitzender der Gewaltschutzkommission betonte. «Bisher gab es keine Übersicht – das war ein grosses Manko. Auch ausländische Experten haben darauf hingewiesen, dass es schwierig ist, sich in Sachen Rechtsextremismus über Liechtenstein zu äussern», so Hoch. Mit diesem Bericht, der zum ersten Mal vorgelegt werde, habe sich die Situation nun massiv verbessert. Vor allem für die Forschung und Wissenschaft liege nun ein wichtiges Dokument vor.
Wichtig sei der Bericht aber auch für die Gewaltschutzkommission, die sich nun darauf stützen und Vorschläge ausarbeiten könne, wenn Handlungsbedarf gegeben sei.
Gleich die Nazi-Keule schwingen?
Diese erste Dokumentation deckt den Zeitraum zwischen März 2009 und Ende 2010 ab. Verantwortlich dafür zeichnet Wilfried Marxer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Liechtenstein-Institut, der darauf hinwies, dass es sich um keine Studie, sondern um eine reine Dokumentation handelt. Auf den ersten Seiten liefert ein zusammenfassender Bericht eine Übersicht über alle markanten, öffentlich gewordenen Ereignisse. Zudem werden die Ergebnisse von Interviews mit Vertretern von Jugendtreffs zusammengefasst. Angehängt sind umfangreiche Dokumentationen über «Presseberichte», «Online-Beiträge», «Kampagnen, Behördenaktivitäten, Statements» und «Szeneaktivitäten». Obwohl der Bericht in weiten Teilen erst längerfristig gesehen eine spannende Grundlage für die Wissenschaft bietet und Tendenzen sichtbar gemacht werden können, so bietet er doch schon heute Fakten und zeigt Ereignisse auf, die bis dato unbekannt waren (siehe gelber Kasten). Interessant sind auch die Aussagen von Vertretern von Jugendtreffs zum Verhalten von Jugendlichen. Diese vertreten etwa die Meinung, dass man rechtsradikale Tendenzen in Liechtenstein als einen extrem starken Ausdruck des Patriotismus sehen könne. Rechte Tendenzen sollten nüchtern betrachtet, es sollte kein allzu grosses Drama daraus gemacht und nicht gleich die «Nazi-Keule» geschwungen werden. Die Befragten stellten fest, dass sich die Tendenzen nicht verschlimmert haben, vieles laufe zurzeit aber im «Untergrund» ab. Dies, weil sich die rechte Szene durch die vielen Repressionsmassnahmen nicht mehr öffentlich präsentieren könne. Zudem werde das Thema grösser gemacht, als es tatsächlich sei. Insgesamt stelle der Rechtsextremismus kein grosses Gefahrenpotenzial dar, da keine politisch rechtsextreme oder rechtspopulistische Partei vorhanden sei – das wird als entscheidend angesehen.
«Jeder Einzelne ist gefordert»
Das Liechtenstein-Institut zieht im Monitoringbericht hingegen das Fazit, dass Rechtsextremismus auch hierzulande ein Problem darstellt. Durch die spezielle geographische Gegebenheit und durch den Faktor, dass «jeder jeden kennt» falle dieser aber schneller als in anderen Ländern auf, da die Anonymität nicht gegeben sei. «Jeder Einzelne ist gefordert und sollte nicht wegschauen, wenn Diskriminierungen jedweder Art geschehen. Die Politik und auch das Fürstenhaus sollten zur aktiven Sensibilisierung aufrufen, klare Position gegen den Rechtsextremismus einnehmen und die Bevölkerung unterstützen und ermutigen, die sich gegen den Rechtsextremismus auflehnt und diesen in jeglicher Form bekämpft», so die erste Empfehlung. Aber auch Eltern und Schule seien gefordert, mit gutem Beispiel voranzugehen. Diese Empfehlungen stossen bei der Regierung natürlich auf offene Ohren. «Toleranz und Weltoffenheit sind Markenzeichen unseres Landes», betonte Innenminister Hugo Quaderer noch einmal. «Extremismus, Rassismus und Antisemitismus dürfen in Liechtenstein keine Chance haben.»
MAX 2010 bis 2015
Die vorgesehenen und teilweise bereits umgesetzten Massnahmen des Massnahmenkatalogs:
• Gesamtbevölkerung sensibilisieren, politische Akteure ermutigen
• Fachpersonen weiterbilden und vernetzen: Es werden Fachpersonen gezielt imUmgang mit rechtsextremen Personen geschult.
• Fach- und Bezugspersonen beraten: Im Juni 2010 wurde eine interdisziplinäre Fachgruppe gegen Rechtsextremismus (FGR) errichtet. Sie unterstützt und berät Personen im Umfeld von Rechtsextremismus. Familien, Freunde, aber auch Fachleutewerden imUmgang mit dem Phänomen individuell beraten.
• Täter verfolgen, Ausstiegswillige unterstützen: Straffällige Personen werden über die gesellschaftlichen Konsequenzen ihres Handelns aufgeklärt. Sozialpädagogische und resozialisierendeAngebote werden zur Verfügung gestellt.
• Situation dokumentieren und analysieren, rechte Tendenzen frühzeitig erkennen: Monitoringbericht. Auf der Basis einer Leistungsvereinbarung mit der Regierung dokumentiert das Liechtenstein- Institut alleVorfälle oder Ereignisse im Zusammenhang mit Rechtsextremismus oder dessen Bekämpfung.
Chronologie der Ereignisse
16. Mai 2009 Anhänger der rechten Szene attackieren einen türkischen Imbissbudenbesitzer im Dorfzentrum von Eschen (Quelle: «Beobachter»).
9. September 2009 Eine unbekannte Täterschaft sprengt den Briefkasteneines inTriesen wohnhaften Ehepaars und legt einen abgetrennten Schafskopf davor (rechtsextremer Hintergrund unsicher). 10. Oktober 2009 In Eschen wird ein Zaun auf einer Länge von rund 20 Metern mit Hakenkreuzen beschmiert.
Anfang November 2009 AmWochenende des 14./15.Novembers werden anonyme Flugblätter verteilt, die der rechten Szene zuzuordnen sind. In diesen werden Tendenzen wie «fehlende Heimatkunde und Traditionsbewusststsein», «Umerziehung durch Politik» und die «Einwanderung» kritisiert.
22. November 2009 Kurz nach Mitternacht werfen Anhänger der rechten Szene Brandsätze gegen ein Haus in Nendeln. Diese entzünden sich an der Hauswand. Am frühen Morgen desselben Tages wird ein weiterer Brandsatz auf einen Balkon geworfen. Mehrere Objekte brennen ab. Verletzt wird niemand, da der Brand rechtzeitig von den Bewohnern entdeckt wird. Der mutmassliche Täter, ein 22-jähriger Liechtensteiner, sitzt seit Mitte Mai 2010 in Untersuchungshaft. Er war auch an der Flugblattaktion der Völkischen Erneuerungsbewegung Liechtenstein imNovember 2009 beteiligt. Im Juli 2010 wird die U-Haft um zwei Monate verlängert. Kurz darauf wird ein weiterer mutmasslicher Täter gefasst. Am 5. Oktober 2010 wird ein Urteil gegenden 22-jährigen Angeklagten gefällt.
Januar 2010 Laut «Eurorex-Watchblog» wird eine Kundendatenbank von Vorarlberger und Liechtensteiner Kunden des OnlineshopsThor- Steinar veröffentlicht. Diese Bekleidungsmarke gilt in der neonazistischen Szene als Erkennungsmerkmal. Die Kundendatenliste ist auf der Homepage von Indymedia einsehbar. Laut dieser Liste sind verhältnismässig viele Einwohner aus Liechtenstein Kunden bei Thor Steinar. 17 Personen aus dem Unterland und 16 Personen aus dem Oberland sollen Bestellungen getätigt haben. DieseThor-Steinar-Kunden müssen allerdings nicht zwingend der rechtsextremen Szene angehören – das Tragen der Kleidungsstücke ist auch eine Modeerscheinung bzw. wird von Jugendlichen getragen, die auffallen wollen.
Februar 2010 Sieben Liechtensteiner und ein Österreicher (21 bis 28 Jahrealt) werden vor dem Schöffengericht Vaduz zu drei bis sieben Monate Haftstrafe verurteilt. Ihr Vergehen: Die Gründung eines Clublokals im Jahr 2007 im Industriegebiet Triesen, das «Amalek-Liechtenstein» hiess. Dieses diente einerseits als Versammlungsort, wo einschlägiges Material wie Hitlerbilder oder Hakenkreuze aufgehängt worden sind. Ausserdem wurde rechtsgerichtete Musik gehört. Der «Eurorex-Watchblog» berichtete, dass dieser Ort in der Zeit des Bestehens eine überregionale Bedeutung in der rechtsextremen Szene bekommen hat.
12. Februar 2010 Ein 14-jähriger türkischstämmiger Junge wird in einem Bus von einem jungen Erwachsenen, welcher der rechten Szene zuzuordnen ist,mit einer Bierflasche angegriffen. Es handelte sich umdenselbenTäter, der im Sommer 2009 den Imbissbudenbesitzer in Eschen attackiert hatte.
26. Februar 2010 Unbekannte Täter zerschlagen die Fensterscheiben der Imbissbude «Abra Kebabra» in Nendeln, der kurz vor der Eröffnung steht, und werfen Molotowcocktails in das Gebäude. Es entsteht Sachschaden. September und Oktober 2010 Am
6. September werden beim Schulzentrum Unterland Aufkleber mit der Aufschrift «Dieses System bringt uns denVolkstod! Darum: Nationalen Sozialismus durchsetzen!» gefunden. Ein Internet-Link führt zur Website der Jungen Nationaldemokraten. Am 9. September sprayt eine unbekannte Täterschaft bei einer Bushaltestellte in Gamprin mittels Schablone einen Kopf mit dem Schriftzug «Hitler 2.0» auf eine Wand. Rund dreiWochen später werden in Balzers bei einem Mehrfamilienhaus Briefkasten, Fassade und zwei Garagentoremit Hakenkreuzen beschmiert.
16./17. Oktober 2010 Wieder findet ein vierseitiges Flugblatt denWeg in die Briefkästen der Liechtensteiner. Es beschreibt einen «dritten» Weg zwischen marxistischem Kommunismus und liberalem Kapitalismus und versucht damit, das rechtsextreme Image abzustreifen.
25. November 2010 Eine unbekannte Täterschaft sprayt mit schwarzer und roter Fabe mittels einer Schablone rechtsgerichtete Parolen an Glasscheiben bei drei Buswartehäuschen an der Landstrasse zwischen Vaduz und Schaan.
27. November 2010 Rund 20 Personen aus der rechten Szene in Liechtenstein treffen sich im alten Jugendhaus in Malbun zu einem privaten Anlass. Es werden eine Holzrune, nationalsozialistische Fahnen sowieAufkleber mit rechtem Gedankengut festgestellt.
Quelle: Monitoringbericht 2010 Liechtenstein- Institut