Der Landbote vom 29.01.2011
Regina Speiser
Er war Skinhead und Satanist, jetzt ist Philipp Frei Sozialarbeiter. Der Weg auf der Suche nach seiner Identität hilft ihm im Beruf: Die Jungen glauben ihm, dass «Veränderung möglich ist».
Aufgewachsen ist Philipp Frei in einem Dorf in der Nähe von Olten: normale Kindheit, behütetes, linksorientiertes Elternhaus. Nach der Primarschule Übertritt ans Gymnasium. Seine Freunde kommen nicht mit. Er ist allein, will cool sein und männlich. Doch er ist «dick, brav, angepasst».
Mit 13 Jahren rasiert er seinen Kopf kahl, zieht Springerstiefel und eine Bomberjacke an. Ein Bekannter macht ihn mit der rechtsextremen Szene bekannt. Endlich hat er das Gefühl von Stärke und Zugehörigkeit. Aber auch von Gruppendruck. Nachdem er dabei ist, als seine Schulfreunde zusammengeschlagen werden, steigt der 17-Jährige aus der Skinhead-Szene aus. Er ist wieder einsam und findet zu den Satanisten. Nun trägt er schwarze Lederstiefel und einen Ledermantel. Er bekommt Depressionen, hat Suizidgedanken. Als er mit einer Alkoholvergiftung ins Spital eingeliefert wird, fragt er sich: «Wars das?»
Heute ist Philipp Frei verheiratet, Leiter der Offenen Jugendarbeit der Region Laufen, Fachstellenleiter Alkohol und Gewalt beim Blauen Kreuz und Mediensprecher der EVP des Kantons Solothurn. Der christliche Glaube war es, der ihm einst neue Ziele im Leben gegeben hat.
«Junge sind keine Monster»
Die Zuhörerinnen und Zuhörer des StadTalks lauschten am Donnerstagabend gebannt der Lebensgeschichte des jungen Mannes. Er erzählte flüssig, zuckte hin und wieder mit den Schultern, war fast schüchtern, wenn ihn Moderator Philipp Pfiffner mit einer Aussage konfrontierte.
Frei ist sich Auftritte gewohnt. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine Geschichte und vor allem seinen Ausstieg aus der Skinhead- und Satanistenszene, publik zu machen. Er referiert auch in Schulklassen. Seine wichtigste Botschaft an Jugendliche: «Veränderung ist möglich.» Seine wichtigste Botschaft an Erwachsene: «Nehmt die Jugendlichen ernst, zeigt Verständnis. Es sind keine Monster.»
Seine Eltern und sein Religionslehrer am Gymnasium hatten ihn immer «für voll genommen» und hätten ihn nie aufgegeben, sagt Frei. «Ich habe es sehr geschätzt, mit meiner Mutter über Gewalt sprechen zu können.» Seine Eltern diskutierten auch mit seinen extremen Freunden. Sie sagten ihnen, ihre Haltung mache ihnen Angst. «Meine Eltern hatten den Mut, es zu thematisieren. Wir Jungen hatten ja eigentlich keine Ahnung, was wir machen. Wir skandierten Parolen, die wir irgendwo gelesen hatten. Und dies vor allem, um zu provozieren. Doch meine Eltern antworteten reflektiert, was uns zum Denken anregte.»
Philipp Frei suchte seine Identität, wollte «normal» sein, wollte sich verändern, doch bei seinem Ruf war das irgendwann schwierig. Er beschreibt sich als Schaf im Wolfspelz. Sein Religionslehrer habe das erkannt und ihn immer wieder ermuntert, in den Jugendgottesdienst zu kommen.
Widerwillig ging er eines Tages hin und war überrascht, dass alle ihn so akzeptierten, wie er war. Genau das hatte er ja gesucht. Doch erst nach einer Alkoholvergiftung gelang ihm mit der Hilfe eines seelsorgerischen Beistandes der «Einstieg ins Leben». Ihm sei auf der Intensivstation klar geworden: «Wenn ich jetzt sterbe, hinterlasse ich nichts. Ausser meinen Eltern ist das wahrscheinlich allen egal.»