Die Wochenzeitung vom 20.01.2011
Wie der Vater, so die Tochter? Marine Le Pen, die neue Vorsitzende des Front National, gibt sich sanfter und beruft sich dabei auch auf bisher verpönte Begriffe.
Bernhard Schmid
In die politische Landschaft Frankreichs ist etwas Bewegung gekommen. In Tours wurde am Wochenende Marine Le Pen zur neuen Parteivorsitzenden des 1973 gegründeten rechtsextremen Front National (FN) gekürt. Neueste Umfragen sagen ihr fünfzehn Monate vor der Präsidentschaftswahl 18 Prozent der Stimmen voraus. Zudem erklärten kürzlich 35 Prozent der AnhängerInnen der Regierungspartei UMP in einer Umfrage ihr Einverständnis mit einem möglichen Bündnis mit dem FN. Die Berührungsängste der Konservativen gegenüber den Rechtsextremen scheinen allmählich zu schwinden.
Der Führungswechsel an der Spitze des FN hat diesen Prozess zusätzlich beflügelt. Anknüpfungen an den Faschismus, offenen Antisemitismus oder geschmacklose Sprüche wie jene ihres Vaters und Vorgängers Jean-Marie Le Pen (den einstigen jüdischen Minister Michel Durafour nannte er einmal «Durafour-crématoire» – in Anspielung an Verbrennungsöfen, die four crématoires) möchte die neue Parteivorsitzende künftig vermeiden. Als Vorbild dient der neuen Parteichefin die Schweizerische Volkspartei (SVP). So sehen es auch viele ihrer AnhängerInnen. Darauf angesprochen, für welche Zeitung ich arbeite, meinten am Wochenende in Tours jüngere Delegierte: «Ah, eine Schweizer Zeitung? Vive Oskar Freysinger!»
Die 42-jährige Exanwältin Marine Le Pen hat sich in einer Abstimmung der FN-Mitglieder gegen ihren Kontrahenten, den früheren Juraprofessor Bruno Gollnisch, durchsetzen können. Marine Le Pen erhielt gut 67 Prozent der insgesamt 17 000 abgegebenen Stimmen.
Die Reden, die die beiden AnwärterInnen auf die Parteispitze am Wochenende hielten, verdeutlichten nochmals die strategischen Unterschiede zwischen den beiden: Gollnisch, der 2004 wegen Sprüchen, die hart an eine Holocaust-Leugnung grenzten, aus der Universität von Lyon entfernt worden war, gedachte in seiner Rede «unserer Toten: der Toten vom Februar 1934, des Indochina- und des Algerienkriegs». Eine klare Anknüpfung an die Geschichte der profaschistischen Rechten: Am 6. Februar 1934 hatten rechtsextreme Kampfverbände vor dem Parlament in Paris zu putschen versucht.
Davon hält Marine Le Pen nicht viel. Die neue Chefin sprach ihrerseits oft von der Republik – ein Wort, das bis im Herbst 2006, als es unter ihrem Einfluss in das Vokabular des FN aufgenommen wurde, bei der extremen Rechten tabu war. In Frankreich erinnert das Wort an eine historische Tradition, die mit der Französischen Revolution 1789 begründet wurde und gegen die sowohl der monarchistische als auch der katholisch-fundamentalistische Flügel des FN stets opponierten.
Marine Le Pen zitierte sogar die Allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 – was bis dahin in weiten Teilen der extremen Rechten ein Sakrileg darstellte -, um an das in Artikel 2 enthaltene «Recht auf Widerstand gegen politische Unterdrückung» anzuknüpfen. Der FN fordert eine Republik mit stark plebiszitären Elementen: Die Rechtsextreme beruft sich gegen die «Herrschaft der Altparteien» auf die «Bevölkerung», die sich in Volksabstimmungen äussern können müsse – am liebsten über Fragen wie Todesstrafe oder Einwanderung. Als besonders vorbildhaft gilt dabei dem FN seit einiger Zeit die Schweizer Eidgenossenschaft – aufgrund der Abstimmungen über das Minarettverbot sowie über die Ausschaffungsinitiative.
Weiter sprach Marine Le Pen vor allem über wirtschaftliche und soziale Fragen. Sie redete einem ökonomischen Protektionismus das Wort, schilderte ausführlich die negativen Auswirkungen des Euro auf Frankreich und stellte die derzeitige internationale Arbeitsteilung in Frage: Es müsse eine «Rücknahme» der (etwa nach Asien ausgelagerten) Produktion geben – was auch die ökologische Schädlichkeit der zunehmenden Transporte mindern würde. Eine Idee, die keineswegs nur von der extremen Rechten geäussert, von ihr jedoch in einen besonderen Zusammenhang gestellt wird: Dem FN geht es um eine industrielle Wiederaufrüstung Europas auf Kosten des Rests der Welt. Und um die Wiedererlangung von Frankreichs Weltmachtrang.
Die strategischen Unterschiede zwischen den beiden KandidatInnen für den Parteivorsitz sind also beträchtlich. Dennoch betonte Marine Le Pen, ab jetzt gebe es «keine Marinisten oder Gollnischianer mehr, sondern nur noch Aktivisten des FN». Sie bot ihrem unterlegenen Kandidaten sogar die «erste Vizepräsidentschaft» der Partei an, was dieser aber ausgeschlagen hat. Gollnisch bleibt jedoch Mitglied des «Politischen Büros».