Mehr Integrationsarbeit nötig

 

tachles vom 03.12.2010

Rassismus im Stadion

Rassismus und Rechtsextremismus sind in europäischen Fussballstadien weit verbreitet. Ein Blick auf die Situation in der Schweiz.

 

Daniel Zuber

Fussball ist eine der beliebtesten und verbreitetsten Sportarten der Welt.

Es wird nicht nur auf der ganzen Welt Fussball gespielt, Millionen von Menschen besuchen auch regelmässig die Stadien ihrer bevorzugten Mannschaft und verfolgen die Spiele am TV. Das Spiel hat ein gewaltiges integratives Potenzial, wie immer wieder betont wird, es baut jedoch auch auf Rivalität, Abgrenzung und loka-1er Identität auf, weshalb Fussball stets auch von Herabwürdigungen, Konflikten und Gewalttätigkeiten begleitet wird.

Rechtsextremismus im europäischen Fussball

In den vergangenen Jahren machten gewalttätige Fussballfans, die oft der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind, immer wieder Schlagzeilen. 2005 wurde etwa der ehemalige Kapitän des italienischen Vereins Lazio Rom, Paolo Di Canio, von der Disziplinarkommission des italienischen Fussballverbands FIGC zur Zahlung einer Geldstrafe von 10000 Euro verurteilt, weil er beim Stadt-Derby gegen die AS Roma seine Anhänger mit dem faschistischen römischen Gruss, welcher damals Benito Mussolini galt, salutiert hatte. Anfang Februar 2007 kam auf Sizilien ein 38-jähriger Polizist bei heftigen Fussballkrawallen ums Leben und mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der getötete Polizist hatte zuvor in einem Prozess gegen rechtsradikale Fans ausgesagt. Auch beim kürzlich ausgetragenen EM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Serbien in Genua kam es zu wüsten Ausschreitungen, die den vorzeitigen Abbruch des Spiels herbeiführten. Bilder von serbischen Hooligans mit ausgestrecktem rechtem Armen gingen durch die Medien und es wird darüber spekuliert, ob besagte Hooligans Handlanger rechter Kräfte in Belgrad seien. In Frankreich machten Ende November 2006 nach einem Spiel zwischen Paris St-Germain (PSG) und Hapoel Tel Aviv etwa 150 PSG-Fans Jagd auf Anhänger des israelischen Vereins. Nachdem ein dunkelhäutiger Zivilpolizist einen jüdischen Fan beschützen wollte, wurde auch dieser attackiert. worauf er sich mit zwei Schüssen gewehrt hat, welche einen jugendlichen PSG-Fan töteten und einen anderen schwer verletzten. Diese Aufzählung könnte lange weitergeführt werden.

Rassismus im Schweizer Fussball

Auch in der Schweiz machten Rassismus und rechte Gewalt auf und neben dem Fussballfeld bereits Schlagzeilen. So musste etwa ein vermeintlich jüdischer Fussballtrainer im November 2008 nach einer Schlägerei ins Spital eingeliefert werden (vgl. tachles 45/08) und es kam in einem Extrazug des FC Basel (FCB) Ende August 2007 zu rassistischen Ausschreitungen, woraufhin der Fussballverein eine Fachgruppe gegen Antisemitismus und Rassismus gründete (vgl. tachles 38/07 und 39/07), welche laut dem Mediensprecher des FCB, Josef Zindel, die Ergebnisse ihrer Arbeit voraussichtlich nächsten Frühling öffentlich kommunizieren wird.

Nicht selten treten latent in der Bevölkerung vorhandene Vorurteile und Einstellungen gerade bei emotional geladenen Fussballspielen zum Vorschein. Rassismus und Fremdenfeindlichkeiten beginnen dabei schon etwa bei herablassenden Kommentaren über die deutsche Nationalelf, welche dann mit einer generellen Voreingenommenheit gegen die Deutschen per se begründet werden. Michael Chiller-Glaus, Leiter der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA), bezeichnet den Fussball im Gespräch mit radio tacliles als «das fast grösste Ausdrucksfeld des Rassismus in der Schweiz». Rassismus, Antisemitismus und Homophobie seien in Schweizer Stadien verbreitet, wenn auch nicht virulent. Das Problem wurde auch in der Schweiz schon länger erkannt und verschiedene Organisationen und Projekte versuchen dem Rassismus in Schweizer Stadien entgegenzutreten.

Im Kampf gegen den Rassismus

Die GRA sei in Zusammenarbeit mit anderen NGOs an verschiedenen Projekten gegen Rassismus im Fussball beteiligt, so Chiller-Glaus weiter. Zum Rückrundenstart will etwa die Schweizer Sektion des Netzwerks Football Against Racism in Europe (FARE) eine Meldestelle für rassistische Vorfälle im Fussballstadion lancieren.

Die Ligue internationale contre le racisme et l‘antisémitisme ist dabei als Partner des FARE-Netzwerks Schweiz für die Romandie zuständig, während für die Deutschschweiz das Projekt gggfon die Meldestelle betreut. Diese «Rassismus-Hotline» dient auch der statistischen Erfassung rassistischer Zwischenfälle beim Fussball, zumal heute dazu noch keine verlässlichen Daten existieren. Kürzlich sind zudem die FARE-Aktionswochen zu Ende gegangen. Europaweit wurden mehr als 2000 Aktionen gegen Rassismus im Fussball durchgeführt. Lukas Meier, Geschäftsführer der Schweizer Sektion des FARE-Netzwerks und Fanarbeiter bei den Berner Young Boys, unterstreicht die Wirksamkeit und die Wichtigkeit solcher Aktionen. So machten in den neunziger Jahren vermehrt rassistische und neonazistische Hooligans das Berner Wankdorfstadion unsicher. Dunkelhäutige Spieler wurden systematisch beleidigt und Fans trugen teilweise gar Hakenkreuzsymbole zur Schau. Im März 1996 trat daraufhin der Verein Gemeinsam gegen Rassismus erstmals an die Öffentlichkeit und stieg als Trikotsponsor bei den BSC Young Boys ein. Durch Aktionen wie Podiumsgespräche, Publikationen in der Stadionzeitung, Medienauftritte und Lautsprecherdurchsagen gelang es den Initianten von Gemeinsam gegen Rassismus, die verschiedenen Formen von Fremdenfeindlichkeit intensiv zu thematisieren. Die Situation habe sich daraufhin in Bern sta rk verändert, wie Meier betont. Rassistische Äusserungen würden heute in den Fankurven nicht mehr geduldet. Dabei sei die Situation in den neunziger Jahren tatsächlich auf der Kippe gewesen, man habe aber noch rechtzeitig Gegensteuer gegeben.

Hin zur Ultrà-Bewegung

Heute orientierten sich die radikalen Fans in der Schweiz eher an der Ultrà-Bewe-gung, welche ihre Wurzeln in Italien habe, so Meier weiter. Bei den Ulträs handelt es sich um fanatische Anhänger, deren Ziel es ist, ihren Verein bestmöglich zu unterstützen. Neben akustischen Einlagen geschieht dies auch durch optische Hilfsmittel wie Konfettiregen, bengalisches Feuer, Fahnenmeere und aufwändige Choreografien.

Fankultur und Identität stehen im Mittelpunkt, Protest gegen die Kommerzialisierung des Sports und gegen das Vorgehen von Polizei und Ordnungskräften wird oft laut. Ultràs sind oft apolitisch, es existieren jedoch betont linksextreme Ultrà-Gruppen, wie etwa die mittlerweile aufgelösten Brigate Autonome Livornesi des AS Livorno Calcio, das antifaschistisch eingestellte Commando Ultrà 84 und die South Winners 87 aus Marseilles aber auch betont rechtsextreme Fangruppen wie die Irriducibili Lazio des ehemaligen Lieblingsvereins von Benito Mussolini.

Thomas Gander, Geschäftsführer von Fanarlenient beit Schweiz, dem Dachverband für sozioprofessi-onelle Fanarbeit in der Schweiz, unterstreicht ebenfalls das Erstarken der Ultrà-Bewegung in den letzten Jahren. Wert-vorstellungen und Begrifflichkeiten in den Schweizer Fankurven widerspiegelten dabei jedoch vermehrt linkes Gedankengut. Dies zeige sich etwa an der antiautoritären Ein-stellung und dem Konfrontationskurs mit der Polizei. Josef Zindel stellt weiter Folgendes fest: «Im St. Jakob-Park, im Fansektor des FCB (Muttenzerkurve) hat der Ras-sismus in den letzten Jahren sehr deutlich abgenommen, er ist für uns nicht mehr sichtbar — gemäss unseren Beobachtungen die Folge intensiver Fanarbeit und einer fortgeschrittenen Selbstregulierung innerhalb einer Fankurve, die sich selbst vom Rassimus distanziert.» Wichtige Integrationsarbeit Rassismus und Rechtsextremismus beim Fussball bleiben trotz allem ein aktuelles Thema, welches sich nicht ignorieren lässt.

Die Ereignisse am EM-Qualiflkationsspiel zwischen Italien und Serbien in Genua vom 12. Oktober haben dies eindringlich verdeutlicht. Dabei scheint sich der Rechtsextremismus in verschiedenen Ländern Europas als festes Element in der Fankultur verankert zu haben. Was Fanarbeiter Thomas Gander jedoch mit Sicherheit verneinen kann, ist, dass es in Schweizer Stadien ideologischen Rechtsextremismus gibt, welchen politische Parteien zu instrumentalisieren versuchten. Auch im Rahmen des Nationalen Forschungsprojekts NFP4O+ «Das Fussballstadion als Treffpunkt und als Ort der Rekrutierung und der Geselligkeit der extremen Rechten?», wurde unter der Leitung des Sozialwissenschaftlers Thomas Busset die vermehrte Identifikation mit der Ulträ-Bewegung der radikalen Fans in der Schweiz festgestellt.

Dabei ist den Beobachtungen des Forschungsteams zufolge das rechtsextreme Element seit Beginn des neuen Jahrtausends rückläufig. Der Sport sei jedoch dennoch anfällig für extremistische Aktivitä-ten und gerade präventive Massnahmen würden in der Schweiz viel zu wenig durchgeführt. Fanarbeiter Lukas Meier sieht dabei vor allem in den unteren Ligen die wirklichen Brennpunkte. Hier komme es immer wieder zu rassistisch motivierten Konflikten (vgl. tachles 45/08) und es müsste mehr Integrationsarbeit geleistet werden.

 

IN KÜRZE

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Das von der Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) auf ihrer Website veröffentlichte Nachschlagewerk zu historisch belasteten und vermeintlich belasteten Begriffen wächst weiter. Das positive Echo aus den Medien (vgl. auch tachles 8/10) stellt einen weiteren Anreiz für die GRA dar, die hohe Qualität der Einträge im GRA-Glossar aufrecht zu erhalten. Diese sind kurz und bündig gehalten, gut zu lesen und ermöglichen eine schnelle und fundierte Vertiefung zu zahlreichen Begriffen. Das Glossar richtet sich an Journalisten, Lehrkräfte, Schüler, Studierende, Politiker und historisch Interessierte, die auf diese Weise die aktuelle Bedeutung und Konnotationen ausgewählter Wörter schnell und einfach abfragen können.