Zofinger Tagblatt vom 19.5.2010
Ein 22-jähriger Neonazi musste sich vor dem Amtsgericht Solothurn-Lebern wegen einer Fülle von Delikten verantworten. Er trägt Adolf Hitler auf der Brust und neigt mit zu viel Alkohol im Blut zu Gewalt: Das Amtsgericht Solothurn-Lebern urteilt über einen jungen Rechtsextremen, dessen Biografie so viele Brüche aufweist wie sein Sündenregister Straftaten.Samuel Misteli
Es liegt Frederik S.* fern, einen Hehl aus seiner politischen Gesinnung zu machen. Deshalb hat er auf seiner Brust ein Porträt von Adolf Hitler eintätowiert, und deshalb sagt er mit einiger Gelassenheit Sätze wie diesen: «Nationalsozialist zu sein, ist in diesem Rechtsstaat kein Verbrechen.» Schwarz gekleidet erschien der blonde, hoch aufgeschossene 22-Jährige vor dem Amtsgericht Solothurn-Lebern. Nicht sein freimütiges Bekenntnis zum Nationalsozialismus wurde dem jungen Mann vorgeworfen – aber Delikte, die zum Teil in engem Zusammenhang mit seinen Ansichten stehen. Und es waren nicht wenige Delikte, die S. zur Last gelegt wurden: 42 Straftaten, verübt mitunter im Wochentakt zwischen Mitte 2005 und Mitte 2009, listet die Anklageschrift des Staatsanwaltes auf.
Fast ein Viertel der Anklagepunkte ist mittlerweile verjährt. Und glaubt man S., werden die verjährten Delikte nicht die einzigen sein, für die er nicht zur Rechenschaft gezogen wird: Es sei Tatsache, sagte er nicht prahlerisch, sondern nüchtern, dass die vorgeworfenen Straftaten lediglich einen Bruchteil dessen darstellten, was er sich habe zuschulden kommen lassen. Die Palette ist indes auch so noch überaus breit: Angriff, Körperverletzung, Raufhandel, Rassendiskriminierung, Drohung und Beschimpfung sind nur eine Auswahl der S. vorgeworfenen Tatbestände.
Hitlergruss und Propagandaparolen
Die Taten weisen oft ein ähnliches Schema auf: Der häufig stark betrunkene Frederik S. gerät sich mit Ausländern, mit Antifaschisten, mit Unbeteiligten in die Haare. Die Konfrontationen eskalieren regelmässig – meist ist es S., der Schläge austeilt. Intervenierende Polizisten sehen sich Drohungen und Beschimpfungen von S. ausgesetzt. Häufigster Tatort bei den vorgeworfenen Straftaten war Grenchen. Auch die gravierendsten Vorfälle sollen sich dort abgespielt haben: Die Attacke einer Gruppe Rechtsradikaler auf einen Jugendlichen Ende September 2006 etwa. Das Opfer kam mit Prellungen und Schürfungen und damit relativ glimpflich davon. Frederik S. soll als Teil der Gruppe den Vorfall mindestens gefilmt – und damit den Tatbestand des Angriffs erfüllt – haben. Weiter soll S. im Juli 2006 einem Albaner mit einem Schlagring eine Rissquetschwunde beigefügt haben, im Dezember 2006 einem Barkeeper mit einem Tritt einen Nasenbeinbruch, im Mai 2007 einem Kontrahenten per Kopfstoss ebenfalls eine Nasenbeinfraktur und schliesslich im Juni 2007 einem Betrunkenen mit einem Tritt ins Gesicht eine Hirnerschütterung.
Vergleichsweise harmlos nehmen sich dagegen die fünf Anklagen wegen Rassendiskriminierung aus: Wiederholt fiel S. auf, als er in der Öffentlichkeit den Hitlergruss zeigte, Nazi-Lieder sang oder Propagandaparolen schrie.
«Ein intelligenter junger Mann»
Vor den Richtern sass freilich kein grölender Wüterich, sondern ein Angeklagter, der sich zumeist sachlich und gelassen äusserte, der den Grossteil seiner Taten zugab und dem Gerichtspräsident Daniel Wormser ein «sehr korrektes» Verhalten attestierte. Als «intelligenten jungen Mann» sieht ihn der Psychiater. Als intelligenten jungen Mann mit zwei grossen Problemen: einerseits einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und anderseits einem Alkoholproblem. Dass im exzessiven Alkoholkonsum ein wesentlicher Schlüssel zu den Gewalteruptionen des Angeklagten liegt, darin sind sich Staatsanwalt und Verteidiger ebenso einig wie Richter, Psychiater und Bewährungshelfer. Staatsanwalt Martin Schneider verlieh denn auch seiner Überzeugung Ausdruck, dass sich der Angeklagte vor allem deshalb seit zwei Jahren nur noch vereinzelte Delikte hat zuschulden kommen lassen, weil er sich einer Antabus-Therapie unterzieht, die ihn am Alkoholkonsum hindert.
Als «eigentlichen Knackpunkt» bezeichnete Schneider in seinem Plädoyer die Frage, in welcher Form Frederik S. künftig therapiert werden soll. Denn S. will weder dauerhaft das Medikament Antabus einnehmen noch sich psychiatrisch behandeln lassen. «Ich glaube nicht an psychiatrischen Hokuspokus», sagt er.
Zuerst die Matura, dann studieren
Trotz der Weigerung des Angeklagten beantragte Staatsanwalt Schneider neben einer Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten, einer Geldstrafe und einer Busse die Anordnung einer stationären psychiatrischen Massnahme. Die Einweisung in eine Anstalt freilich will Frederik S. um jeden Preis verhindern. Die Abneigung gründet nicht zuletzt in seiner Biografie: In seiner Kindheit – laut Staatsanwalt Schneider eine «Kindheit, wie man sie keinem Kind wünscht» – wurde S. von Pflegefamilie zu Pflegefamilie, von Heim zu Heim weitergeschoben.
Mit neun Jahren kam S. erstmals mit der Neonazi-Szene in Kontakt. Heute nennt er sie seine Familie. Eine Berufsausbildung hat der 22-Jährige nicht absolviert. Derzeit hangelt er sich von Teilzeitjob zu Teilzeitjob und wohnt bei seiner Grossmutter im Aargau. Trotz seiner prekären Situation hat Frederik S. grosse Pläne: Er will die eidgenössische Matur absolvieren – eine ehemalige Lehrerin unterstützt ihn dabei. Danach will S. studieren: Jura – die Gesetze jenes Rechtsstaats also, der ihm zwar erlaubt, Nationalsozialist zu sein, der ihn aber nun verurteilen wird. Zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten, wenn das Amtsgericht dem Antrag des Staatsanwaltes stattgibt, zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, wenn die Richter dem Antrag des Verteidigers folgen. Gibt das Gericht den Anträgen des Verteidigers statt, bleibt S. zudem die unerwünschte Therapie erspart.
Das Gericht gibt sein Urteil noch diese Woche bekannt.