«Es ist mir ein Ehre»

 

Die Wochenzeitung vom 10.12.2009

Dominique Baettig-Der jurassische SVP-Nationalrat trat vor kurzem an einem rechtsextremen Kongress in Frankreich auf. Baettig hat eine rechtsextreme Vergangenheit, an die er sich nicht erinnern will. Eine Spurensuche.

 

Hans Stutz

Die Stadt Orange in der Provence, an einem Samstag Mitte Oktober 2009. Rund 600 Leute, meist Männer, klatschen und johlen. Die Begeisterung gilt Dominique Baettig, SVP-Nationalrat aus dem Kanton Jura. In seiner Rede bedient er die Aversionen der versammelten RechtsextremistInnen: Minarette seien phallische Symbole und ein Zeichen männlicher Potenz.

Der Menge gefällts, doch der Schweizer SVP-Exponent sitzt in der Klemme: Eine Kamera des Westschweizer Fernsehens beobachtet ihn. Sie dokumentiert seine Zufriedenheit beim Auftritt und einen schnellen Stimmungsumschwung danach. Kurze Zeit später verlässt der SVP-Nationalrat die rechtsextreme Convention Identitaire demonstrativ. Ein spanischer Diskussionsredner hatte ein Europa «ohne Neger und Mauren» verlangt.

Biedermann in der Falle?

Er sei hereingelegt worden, behauptet Baettig nun plötzlich. Unbestritten ist, dass er von den Jeunes Identitaires de Genève nach Orange eingeladen wurde. Deren Vertreter Jean-David Cattin besteht aber darauf: Sie hätten Baettig ausführlich, ja stundenlang über die Convention vorinformiert. Das lässt sich nicht überprüfen – dass das Westschweizer Fernsehen Baettig bereits Mitte Juli mit der rechtsextremen Ausrichtung der Veranstaltung konfrontiert hatte, hingegen schon. Baettig erklärte im Sommer, er teile einen Teil der Anliegen der Organisatoren. Er nannte Einwanderung, Unabhängigkeit, Islamisierung, die unkontrollierte Zirkulation von Menschen und Waren. Im Klartext: Baettig grenzte sich nicht ab, sondern betonte Übereinstimmungen und schloss mit der Bemerkung, es sei ihm eine «Ehre und ein Vergnügen», am Kongress aufzutreten.

Nun ist Baettig nicht der erste SVP-Exponent, der rechtsextreme Veranstalter mit einem Auftritt beehrt und nachher den hereingelegten Biedermann mimt. Doch einige Tage nach dem Auftritt in Orange schreibt «Le Quotidien Jurassien» die Geschichte weiter: Baettig sei Ende der siebziger Jahre verantwortlicher Herausgeber («éditeur responsable») der rechtsextremen Zeitschrift «Avant-Garde» gewesen und habe in Genf die «nazimaoistische» Gruppe Lutte du peuple gegründet. Nazi maoist? Der italienische Neofaschist Franco Freda hatte 1969 eine strategische Zusammenarbeit der extremen Rechten mit der extremen Linken zur Überwindung des Kapitalismus propagiert. Nach der sozialen Revolution wollte Freda einen «Volksstaat» schaffen, der die traditionellen Rangordnungen und Strukturen wieder errichten sollte. Oder anders ausgedrückt: zuerst soziale Revolution, dann politische und gesellschaftliche Res tauration.

Baettig bestätigt die Parteigründung und die Redaktorentätigkeit, widerspricht aber der Einschätzung «nazi maoistisch». Im Jura sorgt die Enthüllung für politisches Aufsehen. Baettig war 2007 überraschend in das eidgenössische Parlament gewählt worden, ohne dass seine – an sich bekannte – rechts extreme Vergangenheit thematisiert worden war. «Le Quotidien Jurassien» stützt sich nämlich auf das Buch «Les Ultras» von Claude Cantini, veröffent licht bereits 1992. Cantini, engagierter Chronist der rechtextremen Tendenzen in der Westschweiz, erwähnt noch, dass Lutte du peuple sich 1975 mit der Gruppe Nouvel Ordre Social (NOS) zusammengetan hat und daraus Nouvel Ordre So cial – Groupe de base nationaliste-révolutionnaire suis se geworden ist. Zwischen 1977 und 1979 gibt die NOS acht Nummern ihrer Zeitschrift «Avant-Garde» heraus. Cantini berichtet der WOZ, Anfang der neunziger Jahre habe er Baettig schriftlich Fragen gestellt, jedoch von diesem nie eine Antwort erhalten.

Pubertäre Romantik?

Seine rechtsextreme Tätigkeit damals sei «vor- oder nachpubertäre Romantik» gewesen, erklärt Baettig der jurassischen Tageszeitung. Verharmlost Baettig? Immerhin war er bereits Medizinstudent, als er Lutte du peuple gründete, und 23-jährig, als er Anfang 1977 die redaktionelle Verantwortung für die «Avant-Garde»-Hefte übernahm. Und was steht in den Heften? Welche politischen Ziele verfolgte die NOS? Weder Cantini noch «Le Courrier Jurassien» berichten Näheres über die politischen Inhalte. In Genf, in der Bibliothèque de Genève, finden wir «Avant-Garde» vollständig, das Blättchen «L’insurgé», herausgegeben von Lutte du peuple, ist hingegen nicht (mehr) vorhanden.

Das hektografierte NOS-Blättchen trägt im Titelkopf das Keltenkreuz. Die Texte erscheinen fast ausnahmslos ohne Autorenangabe, als verantwortlicher Herausgeber zeichnet «D. Battig». Sie enthalten immer wieder antisemitische, gelegentlich rassistische Anspielungen, zu den «Enemies» zählen die Ausbeuter, die Parasiten, «les brasseurs de peuples (race-Mixer)», die internationalen Firmen, die Geldmächte, die internationalen Finanziers (anonymes und vagabundierendes Kapital). Vagabundierend? Ein Codewort für jüdisch.

Wie andere rechtsextreme Gruppen jener Epoche sieht sich «Avant-Garde» im Kampf gegen «den marxistischen Imperialismus und die bourgeoise Plutokratie» und will «einen dritten Weg», dafür gelte es unter anderem «die Ideologie der Sieger des Zweiten Weltkrieges» in den Abfall zu werfen. So steht es in der ersten Nummer. In einer späteren Nummer füllt «Avant- Garde» die Forderung mit nationalsozialistischem Inhalt: Anlass ist ein Aufruf zur Unterstützung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess, der 1977 noch als einziger Häftling im Gefängnis von Spandau sass. Dessen Haft sei ein Skandal, meint «Avant-Garde». Und eines sei sicher: Man habe an hoher Stelle Angst davor, dass Hess Enthüllungen machen könne über versteckte Hintergründe des Zweiten Weltkrieges. Enthüllungen, die geeignet seien, die von den Siegern «arrangierten Versionen» zu zerstören, die Deutschland allein für den Kriegsausbruch verantwortlich machten. «Avant-Garde» fordert die «sofortige Freilassung» von Hess und die «Wahrheit über die Verantwortlichen des 2. Weltkrieges», weiter das «Ende aller hasserfüllten und lügnerischen Propaganda» und das Ende der «hys te rischen antideutschen Kam pagnen».

Erinnerungslücken

Im Gespräch mit der WOZ will sich Baettig an fast nichts mehr erinnern können. Weder an NOS-Standaktionen in Lausanne, wo Baettig studierte, noch daran, welche Texte in «Avant-Garde» er selber verfasst hat, mit Ausnahme eines unverfänglichen Textes über die jurassischen Autonomisten. Von Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess behauptet Baettig heute, dieser sei nicht in den Krieg verwickelt gewesen. Und was die Hintergründe des Zweiten Weltkrieges betrifft: Es bleibe ein Wunsch, dass man genauer wisse, wer für was verantwortlich gewesen sei. Er denke an die Deutschen, die diese «Schuld» tragen müssten.

In der Tat pflegt Baettig ein verschrobenes Geschichtsbild, auch heute noch. Im Mai 2009 beklagte er im SVP-Pressedienst sowie in Ulrich Schlüers «Schweizerzeit», dass «jede nüchterne Revision der Geschichte» verboten sei. Offen lässt er diesmal, was er damit genau meint. Zuerst behauptet er eine «Welt theologie der Opfer», auf deren «Hit-Liste» bis vor kurzem zuoberst «der Holo caust» gestanden sei, wobei «der Holocaust» eine besondere «Kategorie von Opfern» bezeichne. Formulierungen, mit denen Baettig bei jeder rechtsextremen Veranstaltung Kopfnicken, wenn nicht Applaus ernten würde. Baettig leugnet den Völkermord an den euro päischen Juden nicht, sondern behauptet, dass ihm viel zu viel Bedeutung beigemessen werde.

Das ist noch nicht alles: Baettig zeichnete auch verantwortlich für eine Broschüre zugunsten von Franco Freda, damals als Mittäter eines Bombenanschlages von 1969 in Mailand unter Hausarrest. (Freda wurde 1979 zuerst zu lebenslänglicher Haft verurteilt, 1985 jedoch freigesprochen.) Freda betrieb auch einen Verlag, der antisemitische Machwerke wie die «Zionistischen Protokolle» und – kurz nach seiner Verhaftung – Henry Fords «Der internationale Jude» herausgab. Auch die von Baettig verantwortete Broschüre pflegt einen antisemitischen Unterton, wobei sie allerdings konsequent die einschlägigen Codewörter «Zionist bzw. zionistisch» verwendet. Freda sei, so die Broschüre, das Opfer «einer zionistischen Manipulation». Und die Reaktion auf die Her ausgabe der «Protokolle» sei gewesen: «Die Zionisten bellen.»

Gegenüber der WOZ besteht Baettig darauf, dass damit nicht generell die Juden gemeint seien, sondern «Zionisten» jene Leute seien, die in Israel die Macht hätten und Propaganda machten, dass Juden nach Israel auswandern würden. Die Broschüre habe er, so Baettig weiter, sicher nicht verfasst. Nur die kurze Notiz des Herausgebers stamme von ihm. Darin bezeichnet Baettig Franco Freda, den Herausgeber antisemitischer Hetzwerke, als «Kämpfer und Idealisten».

Auch an andere vergangene Aufregungen will Baettig sich nur vage erinnern können. Er weiss zwar noch von Vorträgen, die die NOS organisiert, und vom Saalschutz, den die Gruppe unterhalten habe. Keine Erinnerung habe er aber an jenen Abend Ende März 1977: Rund zwanzig Männer bewachten – in bekannter faschistischer Manier – den Eingang zur Versammlung. Sie trugen Helme, Knüppel und Schutzschilder. Die Polizei fand selbstgebaute Molotowcocktails. «Avant-Garde» veröffentlichte später ein zwiespältiges Dementi, sie habe in ihrem Lokal nie Waffen gelagert, aber man habe sich entschlossen, wegen Drohungen von Linksextremen gegen Vorträge und Versammlungen die Sicherheit der Teilnehmer und Eingeladenen selbst in die Hand zu nehmen.

Tatsächlich war die Westschweizer Rechtsextremengruppe damals von einigen Trotzkisten eifrig beobachtet worden, sei es bei Standaktionen, sei es bei zwei öffentlich angekündigten Vorträgen. Die NOS-Leute ihrerseits störten am 1. Mai die linke Kundgebung, in ihrem Flugblatt erklären sie den 1. Mai der Linken für überholt und politisch tot. Darauf folgt ein Loblied auf die nazistisch beziehungsweise faschistisch regierten Länder Europas. Dort habe es am 1. Mai «ein wirkliches Fest der Arbeit» gegeben.

Über die Beschlagnahmung der Molotowcocktails berichtet die «Tribune de Genève» fünf Wochen nach der Polizeiaktion, gestützt auf eine «ebenso sichere wie autorisierte» Quelle, womit wohl die Polizei gemeint sein dürfte. Die «Tribune» erwähnt auch, die rechtsextreme Bewegung zähle in Genf rund 200 Anhänger. Das habe nicht zugetroffen, berichtet Baettig, sie seien eine kleine Gruppe gewesen. Genaueres will er nicht mehr wissen. Wie dem auch immer sei: SVP-Exponenten wie Christoph Blocher oder Christoph Mörgeli wollen rechts neben der SVP keine politische Kraft mehr aufkommen lassen – Baettig beweist, dass man innerhalb der SVP mit Rechtsextremen und ihrem Gedankengut sympathisieren kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.