Basler Zeitung vom 22.10.2009
Aussteiger verlangt Streichung seines Namens auf Antirassismus-Website – erfolglosTimm Eugster
Er ist seit fünf Jahren nicht mehr rechtsextrem aufgefallen – doch seine Vergangenheit bleibt nur einen Google-Klick entfernt: Die Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) weigert sich, seinen Namen zu anonymisieren. Zu Unrecht, sagt der Datenschutz.
Kürzlich schaffte es die Basler Plattenlegerin Jasmin Eminger auf die Titelseite der Gratiszeitung «20 Minuten» und auf diverse Internet-Newsportale – weniger wegen ihrer Teilnahme an der Ausscheidung zum Lehrling des Jahres als wegen ihrer Freizeittätigkeit im Vorstand der rechtsextremen Partei Pnos. Was, wenn die 21-Jährige in ein paar Jahren nichts mehr mit der Szene zu tun haben will, ein Kind erwartet oder einen Job sucht? Wird sie – falls sie dies wünschen sollte – ein neues Leben beginnen können, ohne dass ihre Vergangenheit bloss einen Klick entfernt für jedermann offen daliegt?
Einfach wäre es nicht, wie die Geschichte des heute 33-jährigen Aussteigers M. zeigt. Fast zehn Jahre sind vergangen, seit er sich vor den Medien als Gründer und Präsident einer rechtsextremen Partei gebärdete und vollmundig ankündigte, er werde für den Nationalrat kandidieren. Faktisch bestand die Partei aus wenigen Querköpfen, die sich sogleich verkrachten und weit davon entfernt waren, an Wahlen teilzunehmen, weiss Samuel Althof von der «Aktion Kinder des Holocaust». Der Basler Präventionsspezialist und Ausstiegshelfer kennt und begleitet M. seit Jahren. Dieser sei nie ein rechtsextremer Polit-Programmatiker gewesen, sondern einer, der seine persönlichen Probleme auf krankhafte Weise ausgelebt und damit eine erstaunliche Medienkarriere geschafft habe. «Ich tat es einzig, um in den Medien gross rauszukommen», sagt M. heute.
Schlussstrich
Seit fünf Jahren ist er nicht mehr durch rechtsextreme Handlungen oder Äusserungen aufgefallen: Heute habe sich sein Leben stabilisiert, er setze sich mit seiner Vergangenheit auseinander, so Althof. Jetzt, kurz vor der Geburt seines ersten Kindes, möchte M. mit seiner Vergangenheit abschliessen und nicht mehr seinen vollen Namen lesen in der «Chronologie der rassistischen Vorfälle», welche die Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) jährlich im Internet und in Buchform veröffentlicht. «Eine Nachbarin glaubt, ich hätte etwas gegen ihre dunkelhäutigen Kinder», erzählt M. «Sie hat mich gegoogelt und nun ein völlig falsches Bild von mir.» Ende Juli schrieb M. der vom bekannten Zürcher Antirassismus-Kämpfer Sigi Feigel gegründeten GRA: «Da ich nicht mehr in der Öffentlichkeit stehe und Extremismus in jeglicher Hinsicht verurteile, fordere ich Sie höflichst auf, meinen Namen nur noch gekürzt oder gar nicht mehr zu erwähnen.»
Fast drei Monate brauchte die GRA, bis sie nach weiteren Mails und Telefonaten M. beschied: «Eine Streichung oder Kürzung der Einträge ist nicht möglich, zumal die damals von Ihnen gegründete Partei einen Teil der Schweizer Parteiengeschichte darstellt, die von uns dokumentiert wird.» Stattdessen bietet die GRA an, einen Hinweis anzubringen, dass der Genannte sich heute von der rechtsextremen Szene distanziert. Ausstiegshelfer Althof jedoch warnt: «Das ist, wie wenn jemand aus dem Gefängnis entlassen wird und weiterhin in Häftlingskleidung herumlaufen muss.» Eine Namensnennung Jahre nach dem Rückzug aus der Szene bleibe kontraproduktiv: «Gerade in einer so sensiblen Lebenssituation wie vor der Geburt eines Kindes wäre es wichtig, dass sich M. endgültig ins Unpolitisch-Private zurückziehen kann.»
GRA-Präsident Ronnie Bernheim betont hingegen, man könne nicht aufgrund einer Einzelsituation von heute auf morgen die Publikationsregeln einer seit über 20 Jahre erscheinenden Chronologie ändern: «Wir müssten bezüglich Namensnennung neue Regeln und ein klares Entscheidverfahren erarbeiten.» Das Angebot an M., einen Nachtrag auf den Ausstieg anzubringen, müsse denn auch vom Vorstand erst noch genehmigt werden, so Bernheim. Weiter regt er den Zuzug eines Expertengremiums an, um eine Interessenabwägung vorzunehmen.
Eindeutiger Fall
Laut Gesetz handelt es sich allerdings um einen klaren Fall, sagt Eliane Schmid, Sprecherin des eidgenössichen Datenschutzbeauftragten: «Das private Interesse des Ausgestiegenen, neu anfangen zu können, ist höher zu gewichten als das öffentliche Interesse, zu wissen, dass er bis vor fünf Jahren in rechtsextremen Kreisen verkehrte.» Der Betroffene könne also auf seinem Begehren bestehen – und notfalls an den Zivilrichter gelangen.
Vorsichtiger äussert sich Medienrechtler Peter Studer: Er bezeichnet die Bereitschaft der GRA, einen Hinweis über den Aussteig anzubringen, als vertretbares Minimum, den Wechsel zu Initialen nach erst fünf Jahren als Maximum. Gerichtsentscheide zu vergleichbaren Fällen gebe es bisher kaum. Schmähungen werden meist gelöscht.
Gute Chancen
Medienrechtler Peter Studer spricht von einem «Riesenproblem»: «Was einmal im Netz ist, bleibt meist jahrelang öffentlich.» Sei es ein Schmäheintrag des Nachbarn, eine politische Kampagne wie sie gegen den Basler Regierungsrat Christoph Eymann initiiert wurde oder «nur» die sachlich korrekte Schilderung einer gesellschaftlich geächteten oder strafbaren Handlung. Studer wird regelmässig angegangen von Betroffenen – und schlägt Online-Redaktionen oder Seitenbetreibern immer wieder vor, die Namen zu löschen. In der Regel mit Erfolg. Auch wenn die Seiten aus dem Ausland betrieben werden, sind die Chancen eines Löschbegehrens intakt: Klar ehrverletzende oder rechtswidrige Einträge würden von den meisten Seitenverantwortlichen oder den Providern freiwillig vom Netz genommen, sagt David Rosenthal, auf Telekommunikationsrecht spezialisierter Jurist und Basler Universitätsdozent.