Der Bund; 20.05.2009;
Frauen erobern sich ihren Platz in Deutschlands Neonazi-Szene
Frauen spielen in der deutschen Rechtsextremen-Szene eine zunehmend wichtige
Rolle. Unauffälliger als die Männer, aber nicht minder radikal versuchen sie die
Gesellschaft mit neonazistischem Gedankengut zu unterwandern.
Fabian Löhe, Berlin
Als sie ihre Karriere in der rechtsextremen Szene startete, konnte es für Tanja Privenau nicht
radikal genug zugehen. Drogendealern wünschte die damals 13-Jährige die Todesstrafe, Juden
die Vernichtung und dem politischen Feind den «Tag der Abrechnung». Vor allem aber
faszinierte sie die klare Rollenteilung. «Echte Mannsbilder gab es dort noch. Der Mann an der
Waffe, die Frau am Herd», erinnert sich die Aussteigerin.
25 Jahre später sind aus den Heimchen am Herd heimliche Herrinnen geworden. Innerhalb der
Rechtsextremen sind die Neonazi-Frauen heute der soziale Kitt, ohne den praktisch nichts mehr
läuft. Nach aussen unterwandern sie dabei gezielt andere soziale Gruppen wie etwa
Jugendtreffs. Und weil die Frauen nicht grölen, sondern über den Gartenzaun hinweg plaudern,
wirkt die rechte Szene weniger brutal. Statt den Springerstiefeln wird das Image poliert. In
Wahrheit aber denken die Frauen nicht weniger radikal und schrecken auch vor Gewalt nicht
zurück. 30 Prozent der Neumitgliedschaften in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands
(NPD) sollen Frauen sein, ebenso viele wie bei den etablierten Parteien. Und der Ring
Nationaler Frauen (RNF), eine NPD-Unterorganisation, buhlt offenbar noch erfolgreicher um
Mitglieder: Ihre Zahl hat sich laut eigenen Angaben innerhalb eines Jahres auf rund 150
verfünffacht. Qualitativ gewinnen Frauen ebenfalls an Einfluss: Der Verfassungsschutz geht
davon aus, dass sie den Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren «ideologisch
modernisiert» haben.
Mitläuferin, dann Funktionärin
Auch Privenau ist über die Jahre bis in die Kaderspitze gestürmt. Nachdem sie mit der Neonazi-
Ideologie von Kindesbeinen an aufgewachsen war, wurde die heute 38-Jährige zunächst
Mitglied in der später verbotenen Wiking-Jugend. In der Szene fand sie auch ihren ersten
Freund. Als Jugendliche schloss sie sich der – ebenfalls später verbotenen – Freiheitlichen
Deutschen Arbeiterpartei an. Danach leitete sie Freie Kameradschaften und brachte den
rechten Nachwuchs auf Linie.
Zunächst musste sich Privenau gegen die Vorherrschaft der Männer durchboxen. Erst nach
etwa zehn Jahren wurde klar: Aus der Mitläuferin war eine Funktionärin geworden. «Ich habe
viele Demonstrationen angemeldet und in Mecklenburg-Vorpommern die sogenannten national
befreiten Zonen mit aufgebaut», bekennt die Ex-Neonazi-Frau. Wenn es zu Krawallen mit der
Polizei kam, schleuderte auch sie Pflastersteine gegen den «politischen Feind». Andere
Aussteigerinnen berichten, dass sie bei Gruppengewalt gegen Einzelne Schmiere gestanden,
mit dem Handy gefilmt oder selbst zugeschlagen haben.
Von aussen ist indes meist schwer zu erkennen, bei wem das Herz rechts schlägt. Als die NPD
kürzlich in ihrer Parteizentrale in Berlin-Köpenick eine Versammlung zum 1. Mai abhielt,
betreuten Neonazi-Frauen die Hüpfburg auf dem Hinterhof und sorgten für Speis und Trank. Auf
Plakaten wirbt der RNF für ein Muttergehalt. Mit Blusen und Röcken oder Hosenanzug wirken
die rechtsextremen Frauen allenfalls konservativ und adrett. Auf der RNF-Website etwa zeigt
sich die 60-jährige Edda Schmidt aus Baden-Württemberg artig in trachtenähnlicher
Rüschenbluse an der PR-Front, die 47-jährige Katrin Köhler aus Chemnitz mit geflochtenen
Zöpfen. Wahlweise setzen sie sich für Brauchtum oder Alleinerziehende ein.
Unauffälliges Doppelleben
Solche Frauen lassen sich auch gerne in Elternbeiräte wählen; hier können sie die Gesellschaft
relativ ungestört formen, während sie für die Aussenwelt ein Doppelleben führen. Stella Palau
etwa hielt sich nach ihrem Umzug ins brandenburgische Hohen-Neuendorf zunächst mit
politischen Äusserungen zurück. Mutterrolle statt Strassenkampf lautet die Devise: An
vorderster Front sprach sie in einem alternativen Familienzentrum lieber über Ernährung und
Kindererziehung. Erst durch einen Zufall erfuhren die Verantwortlichen dort: Palau ist Mitglied
im NPD-Bundesvorstand. Im Familienzentrum ist sie heute unerwünscht.
«Die Frauen sind weniger sichtbar als die Männer», sagt Esther Lehnert von der Mobilen
Beratung Rechtsextremismus (MBR) in Berlin. Immer noch greife das gängige Vorurteil, Frauen
seien friedfertiger. «So sind sie als Rechtsradikale schwerer zu erkennen: Sie wirken sehr nett
und bürgerlich.» Ein Trugschluss: «Die Frauen sind meist ideologisch gefestigter», sagt Lehnert.
Behinderten Sohn misshandelt
Tanja Privenau hat vor vier Jahren mit ihren fünf Kindern mit Hilfe der Aussteiger-Organisation
Exit dennoch den Absprung geschafft. Ihr geistig behinderter Sohn wurde in Ferienlagern der
mittlerweile verbotenen «Heimattreuen Deutschen Jugend» eingesperrt, gefesselt und
verprügelt. Zu Hause warf ihr Ehemann beim Streit auch schon mal den Tisch durch das
Zimmer, erinnert sie sich. Er brach ihr mehrere Knochen, darunter das Steissbein. «Ich habe
mich gefragt, ob ich das für meine Kinder will – und bin dann aufgewacht», sagt Privenau.
Doch gerade für die 25 Frauen unter den 300 Aussteigern, die Exit bisher betreut hat, ist die
Kehrtwende besonders schwierig. Häufig kommt es bei Paaren mit Kindern zum
Sorgerechtsstreit. Privenau erzählt, ihr Ex-Mann sei während der Scheidung von den rechten
Kameraden finanziell unterstützt worden. Sie dagegen habe nicht einmal Prozesskostenhilfe
beantragen können. Denn dann hätte sie ihre neue Identität offenlegen müssen. Geld sei aber
auch für die Therapien der Kinder notwendig gewesen. «Ich kann es Frauen nicht empfehlen
auszusteigen. Es ist sehr gefährlich», warnt Privenau. «Ich zweifle jeden Tag daran, ob es mir
noch einmal möglich sein wird, ein normales Leben zu führen.»