Er stand im blauen Tenü bereit, als am Sonntag in Burgdorf die Rechts- und Linksextremen demonstrieren wollten. Und als nichts passierte, war auch er erleichtert – denn Markus Mair, Polizist, hat schon ganz anderes erlebt.
Diese Bilder wird er nie mehr vergessen. Drei Jahre ist es her, und es war sein erster Einsatz im blauen Tenü als junger Berufsmann frisch ab Polizeischule. Nach Basel in den St.-Jakob-Park zum entscheidenden Spiel zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich sollte es an diesem Samstagabend im Mai 2006 gehen. Die Fussballer spielten um den Meistertitel, entsprechend gross war die Gefahr, dass es zu Ausschreitungen zwischen den Fans kommen könnte.
Die erste Petarde
Gespannt sei er gewesen auf den Moment, «in dem ich erleben sollte, was ich nur aus dem Fernsehen gekannt hatte», erzählt Markus Mair. Und tatsächlich, als Zürich zum Sieg traf und nur Sekunden später das Spiel zu Ende war, ging es los. «Wir rannten auf das Spielfeld, und schon kamen volle Bierbecher, Eisenstangen und sogar eine Mikrowelle geflogen.» Noch zu gut weiss er, wie eine erste Petarde auf ihn niederging und er diese – zum Glück – mit dem Schild abwehren konnte. «Eine Schrecksekunde», erinnert er sich an das dumpfe Zischen, das er hinter dem Plexiglas hörte.
Doch Zeit zum Nachdenken blieb keine, «ich spürte das Adrenalin, wollte die Aufgabe einfach erfüllen». Nach einer «vom Gefühl her halben bis ganzen Stunde» war es geschafft: Rasen und Zuschauerränge waren geräumt, im Stadion war es still.
Nur Präsenz markiert
Auch letztes Wochenende hat der 30-Jährige wieder im blauen Tenü, mit Schienbein- und Unterarmschonern sowie mit einer Schutzweste bewehrt, Dienst geleistet. Die rechtsradikale Pnos hatte nach Burgdorf zur Kundgebung gerufen und die extreme Linke zur Gegendemo – allein, die befürchteten Gewaltexzesse blieben aus. Die Polizei konnte sich darauf beschränken, Präsenz zu markieren – «man ist immer erleichtert, wenn nichts passiert», zieht Markus Mair zufrieden Bilanz.
Er selber war an diesem Nachmittag mal bei der Schützenmatte in der Nähe der Pnos und mal an einer Brücke in der Unterstadt positioniert, wo er im Fall der Fälle ein Aufeinanderprallen der verfeindeten Gruppen verhindern sollte. «Unser Ziel ist ja nicht der Krawall» – Markus Mair gerät unvermittelt ins Sinnie-ren –, «wir müssen uns ja nicht beweisen, dass wir es können.» Daher verzichte man beim Aufzug als Gruppe ja auch möglichst lange auf den Helm: «Wir wollen nicht provozieren.»
Für alle obligatorisch
Einsätze wie jener in Basel oder Burgdorf gehören für Markus Mair, der sonst als uniformierter Polizist auf dem Posten Sumiswald arbeitet, mittlerweile zur Routine. Etwa 20 bis 25 Mal im Jahr wird er zu diesem für ihn und seine bis 42-jährigen Kollegen obligatorischen Dienst aufgeboten. Nach seinen mehr als 60 Einsätzen sei die Anspannung im Vorfeld jeweils nicht mehr so gross, sagt er, «ich kann mich auf das Bevorstehende einstellen». Zumal er wisse, dass er sich auf die Kollegen und die gute Ausrüstung verlassen könne.
Auch Streife und Pikett
Wenn Markus Mair trotzdem von einer Belastung redet, dann denkt er daran, dass die Einsätze im blauen Tenü immer zahlreicher werden (siehe Kasten). Daneben warten gerade am Abend und an den Wochenenden weitere berufliche Pflichten. So ist er regelmässig als Streife unterwegs. Und schiebt darüber hinaus noch Pikett.
«Ich wusste, dass all dies zum Polizistenberuf gehört», blendet er ins Jahr 2005 zurück, als er den Beruf als Automechaniker an den Nagel hängte und in die Polizeischule einstieg. Zu Hause kann er insofern auf Verständnis zählen, als seine Frau ebenfalls im Schichtbetrieb arbeitet. Und auch die Kollegen, sagt er, hätten Verständnis für die unregelmässigen Arbeitszeiten.
Obwohl es schon vorgekommen ist, dass er abgemacht hatte und wieder absagen musste, da er unverhofft aufgeboten wurde. Wenn es gut laufe, sagt er, wisse er von einem Einsatz im blauen Tenü zwei bis drei Wochen zum Voraus. Es könnten aber auch nur zwei, drei Tage sein – kein Wunder, Demos und am Ende einer Meisterschaft auch Sportveranstaltungen können sehr kurzfristig angesetzt sein.
Nur «ein paar Bläuelen»
Mit Hohn, Spott und anderen Provokationen hat Markus Mair umzugehen gelernt, «ich lege das auf die blaue Uniform ab». Dass, wenn es hart auf hart geht, dennoch ab und zu die Emotionen hochkommen und er diese innerlich niederkämpfen muss, sagt er offen. Zum Glück sei er – «abgesehen von ein paar Bläuelen» – noch nie ernsthaft verletzt worden. Umso näher geht es ihm, wenn einer aus seinen Reihen drankommt. Jener Kollege etwa, der so wuchtig getroffen wurde, dass sich der Helm spaltete. Oder jener, der blutend zurückblieb, ein Familienvater, auf den zu Hause Kinder warteten – in solchen Momenten «beginnt es in einem zu arbeiten».
Das gelte auch, Markus Mair betont es, wenn jemand auf der Gegenseite liegen bleibe.
In Basel «war Krieg»
Markus Mair kommt zurück auf die schon fast gespenstische Ruhe, die nach seinem ersten Einsatz im St.-Jakob-Park in Basel geherrscht hat. Nun war ihre Hilfe draussen gefragt – «wir öffneten das Tor, und es war Krieg». Autos lagen auf dem Dach, Telefonkabinen brannten, Scherben lagen herum, in der Luft hing Tränengas. «Ich kämpfte nochmals ein, zwei Stunden, Müdigkeit spürte ich vor lauter Adrenalin keine.» Sie kam erst auf der Rückfahrt. Markus Mair nickte erschöpft ein.
Stephan Künzi