Berner Zeitung
Knapp 100 Asylbewerber leben im neuen Durchgangszentrum uetendorf
Marc Imboden
Sie kommen aus Afrika, dem Nahen Osten, aus Sri Lanka und der Mongolei. Ihr
gemeinsames Ziel: Sie möchten in der Schweiz bleiben. Im Durchgangszentrum in
Uetendorf leben vorübergehend gegen 100 Asylbewerber.
Ob es Tag ist oder Nacht – im Durchgangszentrum für Asylbewerber in Uetendorfer ist das Licht
immer dasselbe. Den einzigen Hinweis auf die Tageszeit in der ehemaligen Sanitätshilfsstelle
unter dem Altersheim Turmhuus gibt die Betriebsamkeit. In der ersten Hälfte des Vormittags
sind nur ein paar weniger Frühaufsteher auf den Beinen. Doch von Stunde zu Stunde nimmt
das mehrsprachige Stimmengewirr in den Schlaf- und Aufenthaltsräumen zu. «Die innere Uhr
des Menschen tickt im 25-Stunden-Rhythmus. Weil die Leute an keinen festen Tagesablauf
gebunden sind, gehen sie also immer später zu Bett», sagt Zentrumsleiterin Dora Nacht von der
Organisation Asyl Biel Region (richtiger Name der Redaktion bekannt; vgl. Kasten «Angst vor
Angriffen»).
Keine Arbeit, kein Sackgeld
Wer die Rampe hinuntergeht und die Unterkunft betritt, stellt sofort fest: Es ist sehr sauber und
aufgeräumt hier unten, wo derzeit rund 70 Männer und gegen 30 Frauen vorübergehend
Aufnahme gefunden haben. Die Kochherde werden zweimal täglich geputzt, zwei Frauen
waschen die Kleider, zudem gibt es einen Reinigungsplan für die ganze Unterkunft, auf dem
alle Bewohner eingeteilt sind. «Wenn sie ihre Arbeit machen, erhalten sie ein Sackgeld», sagt
Nacht. «Wenn nicht, müssen sie mit dem Sozialgeld auskommen, das jede zweite Woche
ausbezahlt wird.» Alleinstehende erhalten Fr. 9.50 pro Tag. Bei Familien nimmt der Pro-Kopf-
Betrag mit zunehmender Grösse kontinuierlich ab.
Essen, Kleider und weitere Produkte des täglichen Bedarfs – Sozial- und Sackgeld müssen für
alles reichen. Die Leute scheinen das Geld einteilen zu können. «Es kam zumindest noch
niemand zu uns und verlangte einen Vorschuss», sagt Dora Nacht. «Die meisten Leute sind es
sich gewohnt, auf eigenen Beinen zu stehen und für ihr Leben selber die Verantwortung zu
übernehmen.» Die Zentrumsleiterin betreute früher auch an der Seestrasse in Thun
Asylbewerber. «Dort war es ganz anders: Es hatte viele junge Albaner, die sich feste
Familienstrukturen gewohnt waren. Sie hatten keine Ahnung, wie sie mit dem Geld umgehen
mussten.»
Die Regeln
In Uetendorf sei der Umgang mit den Leuten einfacher: Sie seien einen älter und würden viel
positiver auf Anweisungen reagieren. «Ich führe mit allen Gespräche und teile ihnen
unmissverständlich mit, was drin liegt und was nicht», stellt Nacht klar. Sie sagt ihnen zum
Beispiel, wie sie sich Frauen gegenüber verhalten sollen und dass für die Notdurft das Klo und
nicht Schneehaufen und Büsche gebraucht werden (vgl. Kasten «Kritik nur hinter vorgehaltener
Hand»).
Besucher willkommen
Zwischen der unterirdischen Welt des Durchgangszentrums und derjenigen ein paar Meter
höher gibt es kaum Überschneidungspunkte. Rückmeldungen von der Aussenwelt erhält die
Zentrumsleitung kaum. «Ein Mann rief mich an und störte sich daran, dass seine Tochter am
Bahnhof an Männer aus Afrika vorbei gehen muss», erzählt Nacht. Es habe auch erst ganz
wenige Besucher aus dem Dorf gegeben. «Viele Menschen fühlen sich durch die Anwesenheit
der Asylbewerber gestört. Aber ihre Hemmschwelle, ihnen hier unten einen Besuch abzustatten,
sei zu gross». Dabei, betont sie, sei man für alle Besucher offen.
Reaktionen auf die asylbewerber
Kritik nur hinter vorgehaltener Hand
Aus Sicht der Gemeinde sei der Betrieb des Durchgangsszentrums für Asylbewerber «eigentlich sehr gut
angelaufen», sagt Gemeindepräsident Hannes Zaugg-Graf (SP). Gleich zu Beginn habe es Probleme mit Georgiern
gegeben, die Diebstähle begingen. «Die Polizei intervenierte und nahm sie mit.» Zudem wurde eine Gemeinderätin
belästigt. «Ein Mann aus Afrika hatte offenbar Freude an ihr und fasste sie an.» Er sei von der Gemeinderätin und
der Zentrumsleitung für sein Verhalten gerügt worden. Letztere gebe sich offenbar alle Mühe, den Asylbewerbern
die Regeln unserer Gesellschaft zu vermitteln. «Ich gehe täglich am Durchgangszentrum vorbei und kann jeweils
feststellen, wie alle grüssen.» Reaktionen aus der Bevölkerung habe er bisher nicht erhalten, sagte Zaugg weiter.
Ein Problem ergibt sich gemäss Zaugg jedoch von Seiten des Kantons. «Der Kanton möchte 120 Leute im
Durchgangszentrum einquartieren und hat es zeitweise auch überbelegt.» Das gehe aus Sicherheitsgründen nicht.
Die Lüftung sei auf 100 Leute ausgelegt. «Wenn mehr Leute in der Anlage sind, geht ihnen die Luft aus.»
In der Bevölkerung sind die Asylbewerber natürlich ein Thema. Im Dorf wird erzählt, dass die Männer in der
Dunkelheit in die umliegenden Schneehaufen und Büsche urinieren. «Ich habe davon noch nichts gehört», so
Zaugg. «Ich möchte aber betonen: Diese Unsitte haben sich auch Schweizer angeeignet. Als ich mein Büro noch
im Dorfzentrum hatte, konnte ich sie nach Beizenschluss mehr als einmal dabei beobachten…»
Unter den Asylbewerbern gibt es laut einer Uetendorferin einzelne, die sich «drnäbe benäh. Ich habe gesehen, wie
sie sich in einem Geschäft aufgeführt haben. als gehöre ihnen der Laden. Dass die Bedienung ihnen nicht alle
Wünsche erfüllen konnte, ist bei ihnen gar nicht gut angekommen», sagte die Frau, die anonym bleiben wollte,
gegenüber dieser Zeitung. Sie bemerkte zudem, dass einige Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung suchen
respektive den Gottesdienst in der Kirche besucht haben.
Das Altersheim Turmhuus, in dessen Untergrund sich das Durchgangszentrum befindet, «hat eigentlich gute
Erfahrungen mit den Asylbewerbern gemacht», sagt Heimleiter Andreas Gugger. Für gewisse Verunsicherung bei
den älteren Leuten hätten indes jene gesorgt, die unangemeldet im Heim aufgetaucht seien. «Wir haben die
Zentrumsleitung darauf gebeten zu veranlassen, dass die Insassen auf solche Spontanbesuche verzichten.»
mi
Anonymität
Angst vor Angriffen
Dass die Leiterin des Durchgangszentrums in Uetendorf in der Zeitung nicht mit ihrem richtigen Namen genannt
werden will, hat zwei Gründe: «Zum einen gibt es Asylbewerber, die die Zentrumsleitung für einen negativen
Entscheid ihres Asylgesuchs verantwortlich machen. Es ist schon vorgekommen, dass sie oder Freunde von ihnen
Zentrumsleiter belästigt und bedroht haben.» Fast noch wichtiger sei indes der zweite Grund: «Wir sind wegen
unserer Arbeit mit den Flüchtlingen schon mehrmals von Pnos- und anderen Rechtsaussenkreisen bedroht
worden.»