Facts Nummer: 4
In Neuenburg wird gegen die Verantwortlichen eines Skinhead-Magazins ermittelt – eine Schweizer Premiere.
Erstmals in der Schweiz ist ein Rassismus-Strafverfahren gegen die Verantwortlichen eines Skinhead-Magazins eröffnet worden. Der Neuenburger Staatsanwalt und Ständerat Thierry Béquin (FDP) hat eine Untersuchung gegen das rechte Szeneblatt «Mjölnir» angeordnet – wegen Widerhandlung gegen die Antirassismus-Strafnorm.
Anlass zu diesem Verfahren ist der in FACTS 46/1995 erschienene Bericht über die Aktivität der rechtsextremen Hammer-Skins. Dabei wurde die Zeitschrift «Mjölnir» erwähnt, deren Nummer vom Juli 1995 erstmals als «Stimme der westschweizerischen Hammer-Skins» firmierte.
Das Skinhead-Blatt, das über eine Postfach-Adresse in Neuenburg bezogen werden kann, leugnet offen den Holocaust. «Seien Sie nicht weiter Sklave eines Hungerlohnes, werden Sie Überlebender der nationalsozialistischen Vernichtungslager», heisst es in einem redaktionellen Text, der als «Werbung» überschrieben ist. Ein Kurs an der «Hochschule für die Überlebenden von Oranienburg, Chelmno und Sachsenhausen» – im Französischen abgekürzt als «E.S.C.R.O.C.S.» (Gauner) – lehre das «Fälschen von Dokumenten» und zeige, wie man «jedermann» zum «Nazi-Kriegsverbrecher» machen könne, schreibt «Mjölnir».
Das vermeintliche Inserat lockt mit der «lukrativen» Beteiligung am «Holocaust-Business». Ein Diplom berechtige dazu, seine «eigenen Geschichten über den Holocaust» zu schreiben. Nach Ende der Ausbildung erhalte der Absolvent der Hochschule zusätzlich eine «Tätowierung mit der Nummer Ihrer jüdischen Sozialversicherung».
Neben der Leugnung des Holocausts findet man im Juli-Heft von «Mjölnir» auch antisemitische Hetze: Die französische Holocaust-Überlebende und ehemalige Präsidentin des Europaparlaments, Simone Veil, wird als jüdische Hure karikiert, die den gerupften deutschen Adler an einer Leine führt.
Wie der zuständige Neuenburger Untersuchungsrichter Pierre Aubert bestätigt, ermittelt er derzeit gegen die beiden Skinheads Medhi Pierre Barbezat und Olivier K. Eine Hausdurchsuchung verlief allerdings wenig erfolgreich, die Skinheads hatten die Unterlagen offenbar bereits weggeschafft.
Medhi Pierre Barbezat ist ein einschlägig bekannter Rechtsextremist. Im Herbst 1991 war der damalige Verkäuferlehrling aus La Chaux-de-Fonds Mitbegründer und Führer des Parti Nationaliste Suisse et Européen (PNSE). Die Gruppe, die rund zwei Dutzend Mitglieder zählte, forderte in ihrem 19-Punkte-Programm unter anderem die Verteidigung der «rassischen Identität» und die Rückschaffung aller nicht-europäischen Immigranten. Im März 1992 posierte der heute 21jährige Barbezat für das Westschweizer Magazin «L’Hebdo» mit einem rassistischen Plakat: «Europe Blanche – notre identité, SOS Racines» (Weisses Europa – unsere Identität, SOS Herkunft).
Auch der zweite Angeschuldigte, Olivier K., versteckt sein nationalsozialistisches Gedankengut kaum. Einen FACTS vorliegenden Brief datierte er mit «Oktober 106» – aus dem Jahre 106 nach Adolf Hitlers Geburt. Und einen «Mjölnir»-Artikel beendet Olivier mit der Aufforderung: «Wir müssen die Existenz unserer Rasse und die Zukunft für die weissen Kinder sichern.»
Die «Mjölnir»-Redaktoren werden sich nicht mit der Entschuldigung herausreden können, sie hätten über die gesetzlichen Bestimmungen nicht Bescheid gewusst. In der «Mjölnir»-Ausgabe vom März 1995 rühmten sie sich, sie hätten im Sommer 1994 die gesamte Freizeit eingesetzt, um gegen die Antirassismus-Strafnorm zu kämpfen.
Autor: Hans Stutz
Das Neuenburger SkinheadBlatt «Mjölnir» leugnet offen den Holocaust.
«Rassische Identität»: Rechtsextremist Medhi Pierre Barbezat.