Facts Nummer: 4
Auch nach der Schiesserei im Zürcher Albisgüetli richtet Bern kaum Aufmerksamkeit auf türkische Rechtsextremisten.
Autor: Von Res Strehle
Die Szene hätte jedem Krimi gut angestanden. Das Opfer, kaum erholt von einer schweren Schussverletzung, stand hinter einer Spiegelscheibe und sollte einen jener Schützen identifizieren, die Mitte November vor dem Zürcher Restaurant «Schützenhaus Albisgütli» gezielte Schüsse aus Pistolen auf vorrückende Demonstranten abgaben. Ein Projektil war in der Hüftgegend steckengeblieben und hatte operativ bisher nicht entfernt werden können. Spiegelkonfrontationen mit den beiden weiteren Opfern sollen in den nächsten Wochen folgen.
Bereits die Verhaftung der drei mutmasslichen Schützen am 18. November des vergangenen Jahres in Zürich war unter abenteuerlichen Bedingungen zustande gekommen. Zeugen waren einzig maskiert bereit, das Restaurant in Begleitung von Beamten der Zürcher Stadtpolizei zu betreten, um die Schützen zu identifizieren. Nach einem Gang durch den Festsaal, den der türkische Kulturverein erst in letzter Minute gemietet hatte, waren schliesslich drei junge türkische Männer aus dem Kanton Aargau festgenommen worden: ein Bodenleger aus Schinznach Bad, ein Hilfsmechaniker aus Aarburg und ein Hilfsschlosser aus Döttingen.
Seit gut zwei Monaten sitzen die drei Inhaftierten nun in verschiedenen Untersuchungsgefängnissen im Kanton Zürich. Im Falle einer Anklage auf versuchte vorsätzliche Tötung droht ihnen eine Zuchthausstrafe von bis zu fünf Jahren. Der zuständige Bezirksanwalt R. will, auch dies eher selten in der Zürcher Justizgeschichte, vorderhand namentlich nicht genannt werden. Er ist daran, belastendes Material zusammenzutragen, und will damit «zu gegebener Zeit» an die Öffentlichkeit treten.
Interessant wird dannzumal sein, ob die Anklage auch in der Lage ist, neben den unmittelbaren Deliktsmomenten politische Hintergründe aufzudecken. In Deutschland etwa gilt die Türk-Föderation der Kulturvereine als Sammelbecken für Anhänger der einst traditionell faschistischen Nationalen Aktionspartei (MHP) von Oberst Alparslan Türkes. Auch wenn sich die MHP seit ihrer Wiederzulassung 1986 ähnlich wie die italienischen Faschisten unter Gianfranco Fini zu einer staatstragenden Partei gewandelt hat, die nicht mehr offen den Umsturz und die rechtsnationale Diktatur proklamiert, so ist ihr Traum von einem pantürkischen Grossreich und ihr militanter Kampf gegen kurdische Unabhängigkeitsansprüche nach wie vor ungebrochen. Die Spezialeinheiten «Özel-Tims» innerhalb der Armee wurden im wesentlichen aus dem Umfeld der einstigen «Grauen Wölfe» rekrutiert.
Auch in der Schweiz hat sich die nationalistische Bewegung in einer Föderation von acht lokalen türkischen Kulturvereinen rechtsaussen im politischen Spektrum neu formiert und verfügt angesichts der wirtschaftlichen Krise und des Krieges in der kurdischen Region bereits wieder über erheblichen Zulauf und organisatorische Stärke. Die Regionen Aargau und Solothurn waren dabei stets ihr Zentrum.
Die Bundespolizei, laut Staatsschutzverordnung zuständig für «gewalttätigen Extremismus», hat bis anhin keinerlei Anstrengungen gemacht, die türkische Rechte mit demselben Eifer wie die linken und kurdischen Organisationen zu beobachten. Im kürzlich erschienenen Staatsschutzbericht 1993/94 widmet sie wohl dem «gewalttätigen Extremismus durch kurdische und türkische Gruppierungen» ein eigenes Kapitel. Darin werden etwa die Kurdische Arbeiterpartei PKK und türkische Linksorganisationen wie Dev-Sol oder TKP-ML in der Schweiz ausführlichst gewürdig – zur türkischen Rechten findet sich indessen nicht ein einziges Sätzchen.
Wie lange Zeit gegenüber der Schweizer Skinhead-Szene scheint man in Bern auf dem rechten Auge blind. Man hält die Kulturvereine für unpolitisch und die jüngsten Gewalttaten für innertürkische Auseinandersetzungen. So hatte auch die Neumünsteraner Polizei unverzüglich nach der Erschiessung des kurdischen Asylbewerbers durch die Rechtsaussenmiliz erklärt, es gäbe «keinerlei Hinweise auf einen politischen Hintergrund der Tat». Die Einäugigkeit der Staatsschutzbehörden in der BRD und der Schweiz hängt damit zusammen, dass man bei der Beobachtung der türkischen Opposition mit dem türkischen Staat und dem Nachrichtendienst MIT zusammenarbeitet, der seinerseits die extrem rechte nationale Position integriert hat. Von gegenwärtig rund 10 000 politischen Gefangenen in der Türkei stammen gerade knapp 300 aus der militant faschistischen oder islamistischen Szene. Hans-Peter Zweifel, zuständiger Kommissär bei der Bundespolizei, versteckt sich hinter Unwissen: «Der politische Hintergrund des türkischen Kulturvereins Aarau ist uns nicht bekannt.» Zweifel hat in diesem Zuständigkeitsbereich allein schon schwer zu überwindende Sprachprobleme und würde sich lieber auf seinen zweiten – ruhigeren – Zuständigkeitsbereich, den Heimatkanton Glarus, beschränken. Dabei stünde es längst an, ein Organigramm der türkischen Rechtsaussenszene in der Schweiz zu erstellen, so wie es für die kurdische Widerstandsbewegung in allen Details im Staatsschutzbericht gemacht wird. Es würde ein ebenso hochorganisiertes Netz zeigen – neben den Kulturvereinen, Reisebüros, Fluggesellschaften und Kebab-Restaurants.
Der Bundespolizei scheint aber für eine solche Arbeit das Interesse zu fehlen: «Die türkischen Kulturvereine stehen mehrheitlich loyal zum Heimatstaat und den traditionellen Werten der türkischen Kultur. Sie werden von den extremen türkisch-kurdischen Organisationen, wie der PKK, der Dev-Sol oder TKP-ML, als Faschistenvereine und «Graue Wölfe» betrachtet. Nach unseren Erkenntnissen haben sie sich bis heute nicht gewalttätig-extremistisch betätigt.»
Zweimal musste man in Bern im Zusammenhang mit der Albisgüetli-Schiesserei wider Willen trotzdem aktiv werden. Als im Vorfeld der geplanten Veranstaltung im Gemeindesaal anonyme Flugblätter im aargauischen Niederlenz zirkulierten, die den veranstaltenden Kulturverein ins Umfeld der faschistischen MHP rückten, waren zuhanden des Polizeikommandos Aargau sicherheitspolitische Massnahmen vorzuschlagen. Dabei gab man keine Empfehlung ab, ob die Veranstaltung abzusagen sei. Als die Zürcher Bezirksanwaltschaft nach den Verhaftungen im Albisgüetli einen Informationsbericht bei der politischen Polizei in Bern anforderte, bequemte man sich zu einer wenig aussagekräftigen Einschätzung über den politischen Hintergrund der beteiligten Organisationen.
Die verantwortlichen Veranstalter des türkisch-islamischen Idealistenvereins waren trotz wiederholter Zusage bis Redaktionsschluss zu keiner Stellungnahme bereit. Man liess einzig durchblicken, dass die Pistoleros, die wie auf Kommando herausstürmten und in die Menge feuerten, nicht zum eigenen Saalschutz gehörten. Trotzdem will man sie nicht hängen lassen: Der Ustermer Rechtsanwalt Martin O. Huber ist gleichzeitig Rechtsvertreter des Kulturvereins wie auch Pflichtverteidiger eines Inhaftierten. Rätselhaft bleibt, warum man den Saal im «Albisgütli» nicht von vergleichsweise harmlosen Hundeführern der Securitas schützen liess, wie es für die Veranstaltung in Niederlenz vorgesehen war.
Alparslan Türkes, der Führer der ultrarechten MHP-Partei, trat als Redner bei den Kulturvereinen auf.
Harte Sitten IM Kulturverein: Polizisten und Opfer bei der Schiesserei im Albisgüetli.
Türk Federasyon
Mit politischem Hintergrund
Die Kulturvereine pflegen nicht nur die Kultur.
Die Türk-Föderation ist ein Zusammenschluss türkischer Kulturvereine, die in verschiedenen europäischen Ländern mittels Festen, Konzerten und anderen Anlässen Mitglieder rekrutieren. In der Deutschschweiz bestehen acht türkische Kulturvereine in Aarau, Olten, Zürich, Winterthur, Uster, St. Gallen, Wil und Heerbrugg, die sich in einer Föderation zusammengeschlossen haben.
Zentrum der Aktivitäten ist Deutschland, wo der Dachverband an seiner Jahresversammlung Ende 1994 in Sindelfingen rund 10 000 Anhänger mobilisierte. Als Hauptredner trat damals der ultrarechte Parteigründer der MHP (Millietci Hareket Partisi), Alparslan Türkes, auf. Aufgrund solcher Auftritte und zahlreicher personeller Überschneidungen wird die Föderation der Kulturvereine als MHP-nahestehend eingeschätzt. Die MHP gilt als militante nationalistische Partei, die seit Jahrzehnten mit legalen und illegalen Mitteln für eine pantürkische Vision eintritt. Verschiedentlich sind die Partei und ihre bewaffneten Milizen, die «Grauen Wölfe», auch im Ausland mit Aktionen belastet worden. So erwähnt der Extremismusbericht der Schweizer Bundesanwaltschaft aus dem Jahre 1992 die Waffenbeschaffung für das Papstattentat im Jahre 1981, Drogendelikte in Basel 1985/86 sowie Schmierereien in Schaffhausen 1986. Seither hat die Bundesanwaltschaft keinerlei konkrete Hinweise mehr auf eine Tätigkeit der MHP.
Zürcher Zentrum der Föderation.