Drei Wege in den Rechtsextremismus

Berner Zeitung

Neuer Sammelband 

 

Interview: Brigitte Walser 

Thomas Gabriel hat im Rahmen eines Nationalen Forschungsprogramms Biografien 

junger Rechtsextremer studiert. Seine Erkenntnisse sind nun in einem Sammelband 

über Rechtsextremismus publiziert worden. 

 

Gibt es die klassische Biografie eines Rechtsradikalen? 

Thomas Gabriel: Nein, nach unseren Erkenntnissen nicht. Es gibt unterschiedliche 

Verlaufsformen, und man muss sehr genau schauen, wie sich verschiedene Einflüsse in einer 

Biografie niederschlagen. Sie können sich verstärken, relativieren oder gegenseitig aufheben. 

Sie haben aber drei Wege in den Rechtsextremismus gefunden? 

Ja, die eine Verlaufsform besteht darin, dass Jugendliche traditionelle und konservative Werte 

ihrer Umgebung aufnehmen und radikalisieren. Sie erleben die Familie als heile Welt, die sie 

bewahren wollen. Es sind Jugendliche, die sich sagen: Wir sind die Generation, die es noch 

schaffen kann, unsere Eltern haben nur die Faust im Sack gemacht. 

Welches ist der zweite Weg? 

Bei der zweiten Verlaufsform haben die Jugendlichen zum Teil massive Gewalt in der Familie 

oder im familiären Umfeld erlebt. Auffallend ist, dass sie diese Gewalt völlig unvorbereitet und 

für sie nicht nachvollziehbar traf. Für einen Jugendlichen, der Gewalt ohnmächtig ausgeliefert 

war, hat eine Gruppe hohe Bedeutung, in der er Solidarität und Schutz erlebt. Die Bindung an 

die Gruppe kann noch verstärkt werden, wenn intervenierende Behörden oder soziale Dienste 

die Motive nicht erkennen. Ein Jugendlicher, bei dem der Vater Gewalt angewendet hat, 

erzählte, er sei ins Heim eingeliefert worden: Nicht der gewalttätige Vater wurde entfernt, 

sondern der Jugendliche. Das hat ihn noch viel stärker an die rechte Gruppierung gebunden.

Der dritte Verlauf? 

Da geht es darum, Sichtbarkeit zu erlangen oder zu provozieren. Es gibt den Fall eines 

Jugendlichen mit jüdischer Familiengeschichte, der sich einer rechten Gruppierung anschloss. 

Dahinter steckte die Frage: Welche Bedeutung habe ich in unserem Familiensystem? 

Sind den Jugendlichen die historischen Hintergründe bewusst? 

Jugendliche der ersten Verlaufsform sind eloquent, geschult, intelligent und angenehme 

Gesprächspartner, die ihre eigene Sicht auf die Geschichte haben und denen mit 

Geschichtsbelehrungen nicht beizukommen ist. Im Gegenteil, sie neigten dazu, die Interviewer 

von ihren politischen Inhalten überzeugen zu wollen. Ein grosses Wissen im Geschichtsbereich 

kann sogar einen Kontraeffekt haben. 

Wie kommen Jugendliche mit Rechtsextremen in Kontakt? 

Meist durch Zufall. Kein Zufall ist aber, dass sie dabei bleiben. In den Gruppen finden sie etwas, 

wonach sie gesucht haben. 

Spielt Bildung eine Rolle? 

Nein. Auch die politische Orientierung der Eltern nicht. 

In welchem Alter werden solche Themen aktuell? 

Das kann sehr früh sein. Eine Mutter erzählte, sie habe ihr Kind schon im Mutterleib gehasst. 

Auch die erste Verlaufsform beginnt früh. Jugendliche berichteten, sie hätten als Kind lieber mit 

Kühen gespielt, als in die Schule zu gehen. Alles, was von aussen in die traditionelle Welt 

einbrach, wurde als bedrohlich wahrgenommen. 

Dr. Thomas Gabriel ist Leiter Forschung und Entwicklung an der ZHAW Soziale Arbeit. 

Rechtsextreme 

Die Studie 

Thomas Gabriel und sein Team haben 26 ausgesuchte junge Menschen (Durchschnittsalter 18 Jahre) befragt. Mehr 

als die Hälfte sind Mitglied in einer politischen Organisation (etwa Pnos), rund 70 Prozent haben einen 

subkulturellen Hintergrund (etwa Skinheads). In ihren Lebenswelten lasse sich ein grosses Mass an «Normalität» 

nachweisen, kommt Gabriel zum Schluss. Gesellschaftliche Randständigkeit spiele entgegen der Erwartung keine 

bedeutsame Rolle.