Auch hier sind wir kein Sonderfall

Rechtsextremismus Nationalfonds-Studie zeigt auch bei uns bedenkliche Einstellungen

Fremdenfeindliche Einstellungen gibt es auch in der Schweiz. Das rechtsextreme Potenzial wird gar auf vier Prozent der Bevölkerung geschätzt. Unser Rechtsstaat ist aber deswegen nicht bedroht.

Christoph Bopp

Seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts nehmen auch in der Schweiz rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten kontinuierlich zu. Im Juni 2001 beschloss daher der Bundesrat, das Nationale Forschungsprogramm «Gewalt im Alltag und organisierte Kriminalität» (NFP 40) um 4 Millionen Franken aufzustocken. Das NFP 40+ soll die Ursachen des und Gegenmassnahmen zum Rechtsextremismus untersuchen.

Die Ergebnisse liegen vor, jetzt auch «als konsolidierter Output», wie ETH-Professor Thomas Bernauer, Delegierter des Forschungsrats des Nationalfonds, an der gestrigen Medienpräsentation sagte. Das heisst, die Ergebnisse der Studien sind jetzt weitgehend international vergleichbar. Auch wenn das nicht einfach ist, weil der Rechtsextremismus-Begriff abhängig ist von den nationalen Verfassungen.

Vor allem bei jungen Erwachsenen

«Rechtsextreme Einstellungen gibt es tatsächlich in der Schweiz», sie ist beileibe kein Sonderfall im europäischen Kontext, das war die Bad News von Rechtsprofessor Marcel Niggli. Aber es gilt zu relativieren: «Unsere Demokratie ist deswegen nicht bedroht.» Auf rund 4 Prozent der Bevölkerung schätzt das NFP 40+ das Potenzial.

Es sind vor allem junge Erwachsene, bei denen rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen auftreten. Auch wenn in Krisenphasen rechtsextreme Gruppierungen eher mehr Aufmerksamkeit erhalten, ist es nicht der gesellschaftliche Wandel, der die Jugendlichen in die Arme rechtsextremer Gruppierungen treibt, sondern es sind innerfamiliäre Probleme. Wobei es Konflikte aller Schattierungen sein können, häusliche Gewalt, Eltern-Konflikte oder gar Überbehütet-Sein.

Wenn die Ursachen so diffus sein können, ist es schwierig, gezielt Prävention zu betreiben. Über die Wirksamkeit von Präventionsprogrammen gibt es wenig empirische Daten. Auf Gemeindeebene «spielt der Schulterschluss aller wesentlichen Akteure eine wichtige präventive Rolle», wenigstens soweit wissen wir, was etwas nützt.

Im Windschatten des Rechtspopulismus

Politische organisierte und politisch aktive rechtsextreme Jugendliche sind eher selten. Ihre Aktionen haben mit rechtspopulistischer Politik, wofür bei uns die SVP steht, nichts zu tun. Sie sind insofern miteinander verknüpft, als es einen Zusammenhang in der öffentlichen Wahrnehmung gibt. Der Rechtsextremismus erhält mehr Aufmerksamkeit, je präsenter der Rechtspopulismus in der Öffentlichkeit ist.

Die Medien spielen dabei eine Verstärkerrolle. Sie würden «moralisierend und hysterisch» auf einzelne rechtsextreme Provokationen reagieren. Die «Rütli-Schande» wurde in den Medien gross abgehandelt, ohne dass das Thema eine fundierte Analyse bekommen hätte. Die Medien reagieren auf einzelne Phänomene und berichten nicht über das Problem.

Die Wahrnehmung und die Realität

Die Schweiz versteht sich als aufgeklärte, liberale Demokratie. Sie achtet die Menschenrechte und will keine Diskriminierungen. In den Seelen der Bürger sieht es aber oft ganz anders aus (siehe Grafik). Unterschwellige fremdenfeindliche Einstellungen sind eben das, «was die Demokratie auch ausmacht», wie Niggli sagte. Umso wichtiger ist die Zivilgesellschaft. Und das vorgesehene Monitoring, die periodische Überprüfung der Einstellungen, ist ein eminent wichtiges Instrument für unsere Demokratie.

Umfrage bei 3056 Menschen in der Schweiz. Werte gerundet.

Rechtsextreme Vorfälle 2008 – eine Auswahl

Bern-Bümpliz, 2. August

250 Leute besuchen ein Konzert der Band Indiziert. Als Vorgruppe spielt die Schweizer Gruppe Amok, die den Holocaust leugnet und zur Tötung von Schwarzen aufruft.

Rütli, 3. August

300 Rechtsextreme treffen sich auf dem Rütli. Wie im Vorjahr hält Holocaust-Leugner Philippe Brennenstuhl eine Ansprache.

Erstfeld UR, 13. August

Tele Tell berichtet, eine Hotelbesitzerin werde am Telefon («Saujugo, ich mache dir den Sauladen schon zu») und per Brief («Hau ab, Jugohure») bedroht.

Saxon VS, 16. August 2008

Die Polizei löst ein Treffen rechtsextremer Skinheads auf. Die Teilnehmer stammen grösstenteils aus der Deutschschweiz.

Sempach LU, 2. November

Im Lokal der rechtsextremen Organisation «Morgenstern» führt die Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) ihren Parteitag durch. Unter den 100 Besuchern sind u. a. der Willisauer Ortsgruppenleiter Michael Vonaesch, der Langenthaler Stadtparlamentarier Timotheus Winzenried und das Bundesvorstandsmitglied Denise Friedrich.

Zürich, 2. November

Beim Fussballspiel der Junioren von Racing Club ZH und FC Industrie Turicum stellt sich ein Industrie-Spieler vor die Racing-Ersatzbank, lässt die Hosen runter und skandiert: «Wir sind nicht beschnitten › und das ist auch schöner.» Die Racing-Spieler gehören dem jüdischen Klub FC Hakoah an und tragen den Davidstern auf dem Trikot. Später wird der Racing-Trainer attackiert und ein Spieler berichtet, man habe ihm «Vergasung im KZ» nachgerufen.

Basel, 10. November

Unbekannte kleben Zettel mit gelbem Judenstern und der Aufschrift «Schweizer wehrt euch! Kauft nicht bei Juden» an ein jüdisches Geschäft.

Näfels GL, 28. November

Unbekannte dringen ins islamische Zentrum ein, wüten im Gebetsraum, verwüsten den Koran und Gebetsteppiche und ritzen ein Hakenkreuz einen Schrank.

Eglisau ZH, 15. Dezember

Der «Tages-Anzeiger» berichtet, dass ein elfjähriger dunkelhäutiger Schüler von Rechtsextremisten angegriffen wurde. Der Junge lief mit einem Freund auf dem Trottoir, als zwei Autos anhielten und er mit einem Stock geschlagen und beschimpft wurde.

Quelle: Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA: WWW.GRA.ch