Berner Zeitung vom 24.06.1999
Die Fäuste sitzen locker, der Fremdenhass ist tief. Jugendliche Skinheads treiben sich in Hindelbank und an der Ausgehmeile nahe Kirchberg herum. Doch die Betroffenen schweigen. Sie haben Angst.
*Stephan Künzi
Plötzlich tauchten sie auf. Die Haare kurz geschoren, die Füsse in Springerstiefeln, standen sie da und begehrten Einlass. Eine Gruppe junger Skinheads wollte in der Sequencer-Disco an der Autobahnausfahrt Kirchberg ihren Abend verbringen. Die jungen Männer – Lehrlinge, im Schlepptau ein paar Oberschüler – liessen sich auch nicht durch die hauseigenen Sicherheitsleute von ihrem Vorhaben abbringen. «Zuerst versuchten sie, mit erhobenen Fäusten in die Disco einzudringen», erinnert sich Sequencer-Chef Christoph Buchser. «Dann umringten sie einen unserer Männer und gingen auf ihn los.» Von einer eigentlichen Schlägerei will Buchser indessen nicht sprechen. Vielmehr nur von einem Scharmützel: «Unsere Leute hatten die Situation in 15 Sekunden im Griff.»
Christoph Buchser erklärt, warum Skinheads in seinem Betrieb nichts zu suchen haben: «Ihr militärisches Auftreten provoziert die anderen Gäste.» In der Sequencer-Disco ist nur willkommen, wer Bomberjacke, Militärhose und rechtsextreme Embleme ablegt.
Weisse Schuhbändel
Auch dem benachbarten Bistro A 1 sind Skinheads nicht fremd. «Im letzten Jahr waren sie massiv da», blickt A 1-Chef Kuno Rohrer zurück. Offensichtlich spielen Äusserlichkeiten im A 1 keine Rolle. «Bei uns hat jeder Eintritt, der sich anständig benimmt.» Rohrer macht kein Geheimnis daraus, dass ihm randalierende, «gutbürgerliche Jugendliche» weit mehr Sorgen machen. Dennoch: «Unsere DJs haben strikte Weisung, keine Stücke rechtsradikalen Inhalts abzuspielen.»
Man könne doch nicht, nimmt Rohrer den Faden wieder auf, aus einem Kurzhaarschnitt automatisch auf die politische Einstellung schliessen. Frisuren und Kleidung seien ja stets von der Mode abhängig. Allerdings hat Rohrer auch beobachtet, dass seine Gäste ihre Stiefel zum Teil mit weissen Bändeln schnüren. Ein typisches Erkennungszeichen rechter Gesinnung: «Trage Springerstiefel mit weissen Schnürsenkeln», verkündete ein «Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung» schon vor Jahren.
Eine Verfolgungsjagd
Es blieb nicht beim Zusammenstoss mit den Sicherheitsleuten vor der Sequencer-Disco. Bemerkbar machen sich die Skinheads auch im nahen Hindelbank, wo zumindest ein Teil der etwa 10 bis 15 jungen Männer zu Hause ist. Sei’s in der Schule, sei’s in der Freizeit: Der BZ sind mehrere Vorfälle bekannt, die den rechtsgesinnten, als «Hindelbanker Szene» bekannten Jugendlichen zugeschrieben werden. Offen darüber reden mögen die Betroffenen allerdings nicht, und auch vor Anzeigen bei der Polizei schrecken sie zurück. Zu gross ist die Angst davor, dass sich die Skinheads rächen – wenn nicht an den Erwachsenen selber, dann halt an den Kindern in der Schule.
* Im Oberstufenzentrum Hindelbank tauchte plötzlich ein rassistisch eingefärbter Fragebogen auf. In spöttelnd gebrochenem Deutsch wurde den Asylbewerbern unterstellt, in der Schweiz doch nur in Saus und Braus leben zu wollen.
* Ein andermal hatten es die Skinheads auf Jugendliche abgesehen, die politisch eher links denken. Es kam zu einer wilden Verfolgungsjagd zwischen den Rechten, die im Auto sassen, und den Linken, die auf einem Roller flohen.
* Als Anfang Mai die Hindelbanker Dorfchäsi unter türkischer Flagge neu aufmachte, organisierte der Verein Jugendtreff eine Disco. Weil Skinheads drohten, Radau zu machen, informierten die Veranstalter vorsorglich die Polizei. Der Abend verlief allerdings ruhig.
Thema im Lehrerzimmer
Kein Wunder, dass Behörden und Schulen hellhörig geworden sind. Jean-Daniel Sutter, Leiter des Oberstufenzentrums Hindelbank: «Nach dem Auftauchen des Fragebogens haben wir das Ganze thematisiert.» Sutter betont, wie klar sich Lehrerschaft und Kommission von rechtsextremem Gedankengut abgrenzten. In diesem Sinne werde man nun auf die Schülerinnen und Schüler zugehen: «Wir werden ihnen sagen, was wir tolerieren und was nicht.»
Sutter bemüht sich, seine Schule nicht in einem schiefen Licht erscheinen zu lassen. Von den rund 200 Jugendlichen seien «nur etwa zwei bis drei» der rechten Szene zuzuordnen. Mit den betroffenen Eltern pflege man das Gespräch. Und doch. Sutter streitet nicht ab, dass auf dem Schulareal immer wieder Lehrlinge auftauchen, die sich von ihrem Aussehen her als Skinheads zu erkennen geben. Gegen die Besuche allein könne man doch nichts haben, sagt Schulleiter Sutter – jedenfalls solange nicht, wie sich die Lehrlinge «an die Regeln halten und zum Beispiel das Alkoholverbot respektieren.»
Polizei beobachtet
Die «Hindelbanker Szene» ist mittlerweile auch für Gemeinderatspräsident Otto Schneiter ein Thema. Eben erst hat er sich mit Vertretern der Polizei zu einem Gedankenaustausch getroffen. Schneiter schätzt die aktuelle Lage allerdings als nicht allzu dramatisch ein. Aber: «Wir verfolgen die Entwicklung sehr aufmerksam.»
Das tut auch die Polizei. «Wir behalten die Szene rund um die Autobahnausfahrt Kirchberg im Auge», gibt Polizei-Sprecher Peter Abelin zu Protokoll. Und an die Adresse all jener, die bislang aus Angst vor Racheakten auf eine Anzeige bei der Polizei verzichtet haben: «Wenn etwas passiert, soll man uns das ruhig melden.»*
Skinheads fielen vor allem in Ittigen auf
«Nicht alle Skinheads sind rechtsextremistisch beeinflusst.» Rechte Skins «dominieren aber die Szene.» Mit diesen Worten umreisst ein Bericht der Bundespolizei das Denken und Handeln der jungen Männer, die der einstigen Arbeiter-Protestbewegung aus England anhängen. Die Szene ist geprägt von einem starken, durch internationale Freundschaften geprägten Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Aktivitäten der Skinheads richten sich unter anderem gegen Ausländer, Linke, Randgruppen und Vertreter des Staates. Die Gesinnung wird gegen aussen zur Schau getragen. Kennzeichen sind Kahlrasur, Bomberjacke, Militärhose und Springerstiefel.
Im Kanton Bern machten die Skinheads in den letzten Jahren vor allem in Ittigen von sich reden. So ermittelte die Polizei vor bald vier Jahren gegen rechtsextreme Jugendliche, die im Kappelisacker-Quartier ausländische Jugendliche überfallen und verprügelt hatten. Mitglieder aus der Berner Szene waren zudem dabei, als im gleichen Zeitraum Skinheads das «Festival für Völkerfreundschaft» in Hochdorf überfielen. Zehn Leute wurden dabei zum Teil schwer verletzt, und es entstand Sachschaden von 15 000 Franken.
Wie der Bericht der Bundespolizei weiter festhält, hat sich die Berner Gruppierung vor zwei Jahren in «Nationale Offensive Ittigen» umbenannt. Ob Zusammenhänge zur Szene im nur zehn Kilometer entfernten Hindelbank bestehen? Auf diese Frage weiss heute niemand eine schlüssige Antwort. skk