Tagesanzeiger 18.10.96
Die Anklagekammer korrigierte umstrittenen Freispruch
Der St. Galler Arzt Walter Fischbacher muss nun doch vor Gericht. Die kantonale Anklagekammer hat gestern Donnerstag den Entscheid desUntersuchungsrichters, das Strafverfahren
gegen Fischbacher einzustellen, umgestossen.Autor: VON CHRISTIAN SAUTER, ST. GALLENÜber ein Jahr brauchte die St. Galler Justiz, um zu entscheiden, ob Walter Fischbacher für die Äusserungen vor Gericht muss, die er in einem Rundbriefan „Nachbarn und Freunde“ gemacht hatte. Das langwierige Prozedere haben die St. Galler Untersuchungsrichter zu verantworten.Schon im September letzten Jahres wollte ein erster Untersuchungsrichter, Marcus Müller, das Strafverfahren gegen Fischbacher einstellen. DieStaatsanwaltschaft akzeptierte den Entscheid nicht und beauftragte einen zweiten Untersuchungsrichter, Jules Wetter, mit einem neuen Verfahren. Dieserbestätigte aber das Urteil seines Kollegen Müller und erklärte im Februar letzten Jahres, Fischbachers Äusserungen würden nicht für einen Gerichtsprozessausreichen.
Eine Erklärung für alles
Der umstrittene Rundbrief verstosse nicht gegen das Anti-Rassismus-Gesetz, sagte Wetter damals auf Anfrage. Fischbacher habe für alles eine guteErklärung und könne seine Äusserungen belegen. Zudem habe der Arzt seinen Brief nur an rund 70 Personen verschickt. Damit sei das Schreiben nichtöffentlich und verstosse darum nicht gegen das Gesetz.In seinem Rundschreiben hatte Fischbacher „die Nationalsozialisten (NAZI) mit den Weltzionisten (WEZI)“ verglichen: „Beide – die NAZI und die WEZI -leb(t)en in einem Machtrausch; beiden ist eine beispiellose Selbstüberheblichkeit und ein Führungsanspruch eigen, beide betreiben Rassismus inReinkultur und neigen zur Willkür.““Zähflüssiges Prozedere“Staatsanwaltschaft und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund fochten dann auch den Entscheid Wetters an und bekamen gestern Donnerstagrecht. Die St. Galler Anklagekammer entschied endgültig, Fischbacher müsse vor Bezirksgericht. Die schriftliche Begründung dieses Urteils steht nochaus.Sigi Feigel, Anwalt des Israelitischen Gemeindebunds, bezeichnet den Entscheid der Anklagekammer als „einzig möglichen“. Das langwierige Prozedereim Fall Fischbacher sei eines von mehreren Beispielen, wie „zähflüssig“ die Anti-Rassismus-Verfahren in der Schweiz verlaufen würden.