Erst eine Rekrutenbefragung der Uni Lausanne bringt das Extremistenproblem ans Licht
VON MARKUS STEUDLER
Weit hinten auf der Kasernenwiese zählt ein Korporal bei strömendem Regen von eins bis fünfzig. Vor ihm im hohen Gras schwitzen zehn Rekruten. Die meisten stöhnen, einer grölt – während den verordneten fünfzig Straf-Liegestütz.
Nicht alle Rekruten empfinden den militärischen Drill einfach als notwendiges Übel im Dienste des Staates. Für einige unter ihnen ist es ein Trainingscamp für eine andere Sache. Wie andere lernen sie den Nahkampf, das Schiessen und den Umgang mit Handgranaten. Doch während sich die meisten jungen Männer vor der RS die Haare millimeterkurz schneiden, können sie sich den Friseur sparen: die Skinheads.
Erschreckend: Es sind nicht nur ein paar wenige. Unter den einrückenden Männern sind jedes Jahr 300 Skinheads! Das hat eine Studie der Universität Lausanne ergeben.
Henriette Haas, Professorin am Institut für Polizeiwissenschaften und Kriminologie an der Uni Lausanne, hat zusammen mit dem Assistenten Rafaël Vignando die über 21 000 Fragebögen der Rekrutenbefragung von 1997 auf rechtsextremistische Tendenzen gefiltert. 300 Fragebogen blieben übrig. Entstanden ist die erste wissenschaftliche Arbeit über die Glatzköpfe in der Schweiz.
Die Studie belegt: 36 Prozent aller Skinheads sind gewalttätig. Weitere 32 Prozent schrecken zwar vor Gewalt zurück, denken aber rassistisch. Beim Rest gab es keine ensprechenden Hinweise. Pikant: Etwa ein Drittel der gewalttätigen Skins sind so genannte Red-Skins aus der linksextremen Szene. Jeder zweite Skinhead ist mit 20 schon einmal polizeilich aufgefallen. Von den gewalttätigen Skins sind dies gar drei Viertel. Je rassistischer und gewalttätiger ein Skinhead, desto stärker ist er psychisch gestört. 64 Prozent der gewalttätigen Skins zeigen deutliche Hinwei- se auf eine dissoziale Störung. Skins verüben mehr Selbstmordversuche. Einer von drei Glatzköpfen besitzt eine Waffe.
Gerade die Gewalttätigen besitzen besonders viele und tragen sie auch mit sich herum – ihr Waffenarsenal ist grösser als jenes anderer Gewalttäter. «Ich fühle mich bestätigt», sagt Jürg Bühler, Vize-Chef des Dienstes für Analyse und Prävention beim Bundesamt für Polizei: «Wir weisen schon lange auf das grosse Gewaltpotential bei den Rechtsextremen hin.» Seit Inkrafttreten des Waffengesetzes 1999 würden die Neonazis vermehrt nur noch Messer und Baseballschläger mit sich herumtragen, sagt Bühler. «Ihre Schusswaffen lassen sie daheim, weil sie befürchten müssen, von der Polizei kontrolliert zu werden.»
Die rechtsextreme Gewalt nimmt zu. Die Statistik der Bundespolizei zeigt einen gefährlichen Trend: Im Jahr 2000 registrierte sie im Vergleich zu 1999 eine Verdreifachung an Vorfällen mit der Neonazi-Szene, davon 54 Gewalttaten. Immer mehr Skinheads schliessen sich Neonazi-Organisationen an. Die Studie nennt drei Hauptgründe: erstens die Suche nach Autonomie, weg vom Elternhaus; zweitens die rechtsextreme Gesinnung in einer Gruppe kanalisieren; drittens der Drang, Kriminalität auszuleben. Bühler: «Viele Junge befinden sich beim Eintritt in die Szene in der Identitätsfindung. Viele steigen wieder aus. Doch es besteht auch die Gefahr, dass sie in der Szene erst die Brutalität und die Ideologie annehmen.» Und was tut das Militär mit den Skinheads in der Uniform der Schweizer Armee? Eine von Bundesrat Adolf Ogi 1998 in Auftrag gegebene Studie kam zwar zum Schluss, dass es keinen «Armee-gemachten Extremismus» gebe und das Heer kein akutes Problem mit politischem Extremismus habe. Doch diese Feststellung muss angesichts der neuen Erkenntnisse in Frage gestellt werden.
Divisionär Waldemar Eymann, Unterstabschef Personelles, betont: «Das Milizsystem führt dazu, dass wir sämtliche Bevölkerungsschichten und -gruppen in der Armee haben.» Trotzdem nimmt man das Skinhead-Problem in Samuel Schmids Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) ernst. Am 29. Juni haben Schmid und seine Generäle Massnahmen beschlossen. Unter anderem prüft das Militär jetzt ein Ausschlussverfahren für die unwillkommenen Armeeangehörigen. Denn, so VBS-Informationschef Oswald Sigg: «Die Schweizer Armee duldet keine Extremisten.»
Das schändliche Treiben der Skins in der Armee
BERN – Sie klauen Handgranaten, beschimpfen Kameraden ausländischer Herkunft: Immer wieder fallen in der Armee Rechtsextreme auf. Beispiele:
«Wenn der Krieg ausbricht, werde ich als ersten den Tamilen aus dem anderen Zug erschiessen», brüllte Roland W. in der Rekrutenschule vor Kameraden. Die Bundespolizei bezeichnete ihn als bekannte Grösse in der Skinhead-Szene. Er ist ein Freund von Rütli-Pöbler und Neonazi-Anführer Pascal Lobsiger. Trotzdem sollte Roland W. Unteroffizier werden. Erst als SonntagsBlick den Fall letztes Jahr enthüllte, wurde seine Armee-Karriere gestoppt. Sechs Monate Knast bekam ein Skinhead im Jahr 2000. Der Vorbestrafte hatte nach einem Raclette-Abend in der Rekrutenschule einen Kameraden mit dem Messer schwer verletzt.
1998 wurde Beat S., Leutnant der Fliegertruppen, als Nazi-Anhänger entlarvt. Als er zu einem deutschen Neonazi-Treffen fahren wollte, war er vom deutschen Bundesgrenzschutz aufgehalten worden. Er verlor seine Stelle bei einer Treuhandfirma. Zwei Jahre später fand er im Verteidigungsdepartement Arbeit. Oberleutnant H.K. beschimpfte 1991 einen Rekruten als «verkrüppelten Saujuden». Er musste zwar fünf Tage ins Gefängnis, wurde aber trotzdem zum Hauptmann befördert. Als «braune Mariette» darf man laut Bundesgericht Mariette Paschoud bezeichnen – Hauptmann in der Armee. Er zweifelt an der Existenz der Gaskammern im dritten Reich. 1990 klaute der damalige Leutnant und Neonazi R. beim Abverdienen zwei Handgranaten. Eine warf er in die ehemalige Wohnung eines Journalisten, der in der Rechtsextremenszene recherchiert hatte. R. musste für fünf Jahre ins Zuchthaus.