19jähriger wegen Rassendiskriminierung verurteilt

Der Bund

Justiz / Im Fall der teilweise rassistischen Pöbeleien gegenüber Lehrern beim Schulhaus Arch im April 1995 hat gestern der Gerichtspräsidentvon Büren, Hanspeter Messer, sein Urteil gesprochen. Ein 19jähriger Lehrling ist wegen Rassendiskriminierung und Beschimpfung zu vierWochen Haft bedingt verurteilt worden. Ein 24jähriger Automechaniker erhielt sechs Wochen Haft bedingt wegen Verleumdung undBeschimpfung.

Autor: Stefan Wyler

Den drei Lehrern und der Lehrerin aus Arch, die sich als Privatkläger gestellt hatten, ging es um Grundsätzliches. Ihr Anwalt Marc F. Suterzitierte Karl Jaspers‘ Warnung: «Faschismus ist wie eine Grippe, die immer wieder kommt.» Seinen Klienten gehe es darum, «den Anfängenzu wehren», erklärte Suter, und er erinnerte an den Vorfall im benachbarten Leuzigen, wo einheimische Jugendliche Zürcher Pfadfindergezwungen hatten, sich auszuziehen und den Hitlergruss zu machen. Ganz andere Akzente setzte dagegen Hans P. Roth, der Anwalt des heute19jährigen Angeschuldigten H. Er habe den Eindruck, die Anzeiger hätten den Sack geschlagen und den Esel gemeint, sagte Roth. Manversuche aus H. nun einen «Skinhead oder Hooligan zu machen», dabei sei sein Klient «nirgends dabei». Erschreckend sei, dass die Klägerdie ausgestreckte Hand nicht genommen hätten, als H. sich habe entschuldigen wollen: Er befürchte, man wolle gar keinen Frieden, erklärteRoth.

Wüste Szenen in Arch
Anlass des Prozesses waren wüste Szenen, die sich am Abend des 3. April 1995 vor dem Schulhaus von Arch abgespielt hatten. Es war 21.30Uhr, Pause bei der Schülertheateraufführung. Vor dem Schulhaus hielten sich etwa 20 bis 30 Jugendliche auf, die Stimmung war geladen. Der18jährige Lehrling H. urinierte auf der anderen Strassenseite und sang laut ein Lied, in dem es um Juden ging. Rassistische Sprüche sollenauch aus einer Gruppe Jugendlicher beim Velounterstand gefallen sein. Der 23jährige Automechaniker K. ging dann auf einen Oberlehrer losund beschuldigte ihn laut, er habe vor Jahren seine Mutter vergewaltigt. K. bezeichnete mehrere Lehrer als «linke Schweine» und «linkeSiechen». Ähnliches rief H., der zudem wieder und wieder «Judenschweine», «Dreckjuden» «Drecktürken» und «Türken raus» schrie.

Der Vergewaltigungsvorwurf
Vor dem Richter waren K. und H. weitgehend geständig. K. nahm den Vergewaltigungsvorwurf gegenüber dem Oberlehrer als unwahrzurück, versuchte aber abzuschwächen: Er habe an jenem Abend nur behauptet, der Oberlehrer habe seine Mutter vergewaltigen wollen. DieMutter des K. hatte (an einem früheren Gerichtstermin) zwar eine angebliche sexuelle Belästigung durch einen Lehrer vor 15 Jahren erzählt,den im Gerichtssaal anwesenden Oberlehrer jedoch nicht erkannt. – Gerichtspräsident Hanspeter Messer sprach K. gestern der Verleumdungschuldig: K. habe den schweren Vorwurf der Vergewaltigung wider besseres Wissen erhoben. Die Betitelung der Lehrer als «linke Schweine»und ähnliches trug K. zudem eine Verurteilung wegen Beschimpfung ein. Als nicht erwiesen hielt Messer, dass K. an jenem 3. Juli rassistischeParolen geäussert habe. Es gebe auch keine Anhaltspunkte für eine fremdenfeindliche Haltung des K.

«Rassistische Propaganda»
Anders lag der Fall des 19jährigen H. Auch er wurde wegen Beschimpfung der Lehrer verurteilt. Messer sprach ihn aber zusätzlich derRassendiskriminierung gemäss Artikel 261 bis Strafgesetzbuch schuldig, dem Artikel, der durch das Antirassismusgesetz neu geschaffenworden ist. Strafbar macht sich demnach unter anderem, wer öffentlich gegen Personen «wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hassoder Diskriminierung aufruft» (rassistische Propaganda). Strafbar macht sich auch, wer öffentlich Personen «wegen ihrer Rasse, Ethnie oderReligion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert».

Wer Menschen einer anderen Staatszugehörigkeit öffentlich beschimpfe und sie eindringlich dazu auffordere, die Schweiz zu verlassen, derspreche diesen die Grundrechte ab und erfülle den Tatbestand der rassistischen Propaganda, urteilte Richter Messer. Mit den Ausdrücken«Dreckjuden», «Drecktürken» und «Türken raus» würden zudem alle Juden oder Türken als minderwertig dargestellt: Somit sei auch derTatbestand des Angriffs auf die Menschenwürde erfüllt. Solche Äusserungen, sagte Messer, gingen über einen geschmacklosen Witz odereinen unbedachten Spruch im Übermut hinaus, jedenfalls dann wenn sie wie hier immer wieder wiederholt würden. – Messer verurteilte den24jährigen K. wegen Verleumdung und Beschimpfung zu sechs Wochen Haft bedingt. H., dem der Richter eine «gewisse fremdenfeindlicheGrundhaltung» zuschrieb, wurde wegen Rassendiskriminierung und Beschimpfung zu vier Wochen Haft bedingt verurteilt. Es handle sich,sagte Messer, um einen «relativ leichten Fall von Rassendiskriminierung» – wenn man an schwere Fälle denke, wie etwa das Leugnen desHolocausts oder die Aufforderung, jemand in den Tod zu schicken. Strafmildernd berücksichtigte Messer das jugendliche Alter desAngeschulidgten sowie den Umstand, dass H. alkoholisiert gehandelt habe.

Genugtuungszahlungen
Beide Angeschuldigten wurden zudem verurteilt, den klagenden Lehrern Genugtuungssummen zwischen 200 und 400 Franken zu bezahlen.K. muss dem Lehrer, den er der Vergewaltigung bezichtigt hatte, 2000 Franken Genugtuung zahlen.