Nach wie vor sind rechtsextreme Gruppierungen in und um Landquart höchst aktiv
Um die Naziskin-Szene in der Ungebung von Landquart ist es ruhig geworden. Doch der Schein trügt: Im Rheintal hat sich eine rechtsextremistische Gruppierung mit hohem Organisationsgrad etabliert.
Salvatore Pittà
Schon vor sechs Jahren sorgte eine rechtsextremistische Gruppierung mit Ableger im Bündner Rheintal schweizweit für Aufsehen. Die Rheinfront zählte damals an die 50 Mitglieder. Dank einem Bericht des «Sarganserländers» konnten deren Clublokal und der Name des Anführers ausfindig gemacht werden. Das Treiben der jugendlichen Rechtsextremen löste eine Welle der Empörung aus, der Staatsschutz trat auf den Plan. Viele jugendliche Sympathisanten lösten sich aus der Gruppe, die später auch ihren Clubraum verlor. Die Rheinfront war zerschlagen, nicht jedoch die braune Gesinnung der Indoktrinierten.
Professionell organisiert
Nur ein Jahr später, 2002, wurde im Bezirk Landquart eine Gruppe namens Division Rätia gegründet, die heute noch besteht. Mittlerweile zählt die rechtsextreme Gruppierung an die 100 Mitglieder und unterhält Kontakte in den Kantonen Glarus, Solothurn und Bern. Gemäss Aussagen eines Ausgestiegenen trifft sich die Gruppe wöchentlich und zieht monatlich Mitgliederbeiträge ein. Ihm zufolge ist sie im Stande, per SMS innert einer halben Stunde bis zu 80 Personen zu mobilisieren, um missliebige Personen, zumeist Punks oder Ausländer, zu verhauen. Selbst die Mitglieder kennen ihre Anführer kaum, die zurückgezogen leben und sich von jeglicher Gewalt fernhalten. Als Gruppensymbol dient ein abgeändertes keltisches Kreuz. Die Kelten werden auch sonst für die Corporate Identity der Gruppe missbraucht: In den wöchentlichen Treffen wird unter anderem ihre Religion gelehrt.
Rekrutierung an HCD-Matches
Rekrutiert werden Neumitglieder hauptsächlich an Matches des HC Davos. Andreas Steinmann, Fandelegierter des HCD, bestätigt: «Wir haben von einem Dutzend Kahlrasierten aus der Region Landquart Kenntnis, die regelmässig die Kurve frequentieren.» Zwar sei bisher keine Gewalt mit im Spiel gewesen, doch die Gruppe werde wegen ihrer Kleidung ? hauptsächlich T-Shirts mit rassistischem und Gewalt verherrlichendem Inhalt ? beobachtet. Steinmann sieht wenig Handhabe im Umgang mit den Naziskins.
Mehr Jugendpolitik
Laut Pressesprecher Alois Hafner hat die Kantonspolizei Graubünden Kenntnis von Einzelpersonen und kleinen Gruppierungen aus dem rechtsextremen Umfeld im Bezirk Unterlandquart. Vor zwei Jahren waren rechtsextreme Jugendliche in Landquart negativ aufgefallen, als sie eine Disco der Oberstufenschule angegriffen hatten. Damals hatte die Gemeinde Igis-Landquart beschlossen, der Jugendpolitik eine grössere Priorität einzuräumen. Im Gespräch mit der «Südostschweiz» bestätigt Gemeinderätin Agnes Brandenburger, dass inzwischen eine Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, die Lösungsstrategien erarbeitet hat und diese in den nächsten Wochen dem Gemeinderat vorstellen wird: «Im Mittelpunkt steht die Eröffnung eines gemeindeeigenen Jugendraumes mit professioneller Begleitung.» Anders als mit dem bereits bestehenden ökumenischen Jugendcafé wolle man damit auch 16- bis 20-Jährige ansprechen, die sich bisher nicht in Vereins- und andere Aktivitäten hätten einbinden lassen.
Zu den Jugendlichen hin?
Aufsuchende Jugendarbeit wurde laut Aussage der verantwortlichen Gemeinderätin ins Projekt bisher nicht einbezogen. Dabei geht es genau um problematische Jugendliche, die sich nirgends einbinden lassen. Das Konzept ist einfach und wurde verschiedentlich mit gewissem Erfolg umgesetzt: Jugendarbeiter gehen dorthin, wo sich ihre «Klienten» treffen, anstatt im Jugendraum auf sie zu warten.
Wie Brandenberger sagt, ist Rechtsextremismus im Gemeinderat von Igis-Landquart bisher nicht traktandiert worden. Landquarter Jugendliche aber berichten von immer wiederkehrenden Angriffen seitens der Naziskins, die oft alkoholisiert und in Überzahl Passanten verfolgten. Die Naziskins hielten sich in letzter Zeit eher zurück, doch die Erfahrungen hätten gezeigt, dass es vor allem im Sommer zu Übergriffen komme. Die Opfer fordern, dass endlich etwas gegen ihre Angreifer unternommen wird, sind aber zumeist aus Angst vor Repressalien oder aus ideologischen Gründen nicht bereit, diese anzuzeigen.
Durchgreifen nötig
Letztes Jahr hat eine mutige Gymnasiastin eine Maturaarbeit zum Thema Rechtsextremismus im Bündner Rheintal geschrieben. Sie kommt zum Schluss, dass eine der Hauptursachen für braunes Denken die soziale Desintegration sei. «Die Jugendlichen haben praktisch keine Ausgangsmöglichkeiten und betrinken sich darum auf der Strasse oder gehen nach Chur in den Ausgang», schreibt die Autorin Christina Eggenberger.
Dieses Problem wird die Gemeinde Igis-Landquart mit einem neuen Jugendraum womöglich in den Griff bekommen. Doch ohne ein konsequentes Durchgreifen der Behörden gegenüber den Gesinnungstätern bleibt auch diese Massnahme nur ein Tropfen auf dem heissen Stein. Denn diese Täter werden von einem Jugendraum kaum anzusprechen sein und weiterhin ihre Anhängerschaft ? zum Beispiel an einem HCD-Match ? zu rekrutieren wissen.
Chronologie der Vorfälle mit Bündner Naziskins
Mehrere Dutzend Naziskins treffen sich am Rande des Landquarter Kessels vom 24. Januar 2004. Einem Berner Anti-WEF-Gegner wird der Arm gebrochen. Zuvor kursiert in Chur ein Flugblatt der Skinhead Organisation Graubünden, einer Gruppierung, die danach nie mehr öffentlich auftauchen wird. Sympathisanten der Bande Basel (Hooligans aus dem Umfeld des FC Basel) und der Hardturmfront versuchen im Vorfeld vergebens, per Internet Kontakt mit den Anti-WEF-Gegnern aufzunehmen, um mit ihnen zu demonstrieren.
Am Samstag, 11. September 2004, stürmt eine Gruppe rechtsextremer Jugendlicher die Landquarter Oberstufen-Disco im Forum im Ried und verursacht hohen Sachschaden.
Im Januar 2005 greifen fünf Naziskins aus dem Rheintal zwei Jugendliche am Bahnhof Landquart. Glücklicherweise kommen Letztere ohne grössere Verletzungen davon.
Verletzt wird hingegen ein Besucher des «HalliGalli» im März 2005 in Chur. Vier Naziskins greifen ihn nach dem Besuch der Disco an, ein Fünfter filmt die ganze Szene. Das Opfer verzichtet jedoch auf eine Anzeige.
Am 16. April 2005 greifen etwa 30 Naziskins ein Konzert in Sils im Domleschg an. Zehn Personen werden verletzt. Einige erstatten Anzeige wegen Tätlichkeiten und Körperverletzung. Die Polizei ermittelt gegen 23 Personen. Laut dem Sprecher der Bündner Kantonspolizei, Alois Hafner, ergeben sich indes keine genügenden Verdachtsmomente gegen sie, weshalb das Verfahren in Ruhe gesetzt, das heisst erst wieder aufgenommen wird, wenn neue Erkenntnisse vorhanden sind.
Bündner Naziskins beteiligen sich an der illegalen Demonstration zum 1. August 2005 in Brunnen (Schwyz). Auf dem Rütli wird die Rede von Bundespräsident Samuel Schmid massiv gestört. Am Rande der Demo kommt es zu vereinzelten Angriffen auf Journalisten und Passanten.
Sieben Naziskins aus Zizers besuchen die Landquarter Fasnacht am 11. Februar 2006 im Forum Ried. Dank umfangreichem Sicherheitsdispositiv können sie zum Verlassen der Feier bewegt werden, bevor die Lage eskaliert.