Kapo-Chef Stefan Blättler zum Umgang mit politisch heiklen Ereignissen wie dem Lotzwiler Neonazi-Treffen
Im Prinzip will die Regierung keine rechtsextremen Veranstaltungen im Kanton Bern. Handkehrum haben auch Neonazis Grundrechte, die der Staat respektieren muss. Deshalb könne die Polizei nicht ohne weiteres eingreifen, sagt Kommandant Stefan Blättler.
Interview:
Stefan von Below
«bund»: Unlängst sagte Polizeidirektor Hans-Jürg Käser vor dem Grossen Rat, die Regierung wolle grundsätzlich keine rechtsextremen Veranstaltungen im Kanton Bern. Dennoch griff die Kantonspolizei nicht ein, als sich Anfang September mehrere hundert Neonazis bei Lotzwil trafen. Wieso?
stefan blättler: Es gilt zu unterscheiden zwischen dem, was man grundsätzlich nicht will, und dem, was im konkreten Fall zu tun ist. Natürlich wollen wir das nicht – diesem Grundsatz der Regierung ist auch die Kantonspolizei verpflichtet. Aber Extremismus an sich ist nicht strafbar, sondern nur gewisse Formen davon – wenn ein Gesetzesverstoss vorliegt. Doch selbst dann muss die Polizei verhältnismässig vorgehen. Ist der Straftatbestand schwerwiegend – etwa wenn offensichtlich strafbare rassistische Äusserungen gefallen sind -, so ist die Auflösung einer solchen Veranstaltung verhältnismässig. Steht aber nur ein kleineres Delikt zur Debatte, so ist das unter Umständen anders. Es braucht in jedem Einzelfall eine Abwägung der verschiedenen Interessen. Das ändert indes nichts daran, dass wir solche Veranstaltungen nicht wollen. Aber auch diese Leute haben Grundrechte, die der Rechtsstaat zu respektieren hat.
Hat die Polizei demnach gar keine Handhabe, um gegen solche Veranstaltungen vorzugehen?
Doch. Wir wollen wissen, wer an solchen Veranstaltungen teilnimmt und was dort abgeht. Das Gesetz gibt uns die Möglichkeit, die Teilnehmer zu kontrollieren
«Es braucht in jedem Einzelfall eine Abwägung der Interessen.»
und an die Grenze zu stellen, wenn eine Landesverweisung oder eine Einreisesperre vorliegt. Wir schauen ausserdem, ob sie Propagandamaterial oder verbotene Waffen bei sich haben. Stellen wir aber fest, dass alles legal ist, lassen wir die Leute in Ruhe.
Medienberichten zufolge hat die Polizei das Lotzwiler Konzert nicht aus der Nähe verfolgt. Woher weiss sie denn, ob gegen die Antirassismusstrafnorm verstossen wurde?
Wir haben Möglichkeiten, so etwas festzustellen, ohne dass es dazu einen uniformierten Polizisten braucht. Hier geht es um eine Frage der Polizeitaktik – mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Offenbar drohten die Neonazis, im Fall einer Auflösung ihres Anlasses in Burgdorf Stunk zu machen. Ist die Polizei also erpressbar?
Mit Drohung oder Erpressung hat das nichts zu tun. Hier geht es vielmehr wieder um die Abwägung von Gütern und Interessen sowie um die Verhältnismässigkeit. Es ist einfach ein Unterschied, ob ein solcher Anlass in einem Wald stattfindet, wo der Lärm niemanden stört, oder in einem Stadtzentrum. Das heisst aber nicht, dass die Polizei Angst bekommen hätte.
Ab 2008 ist die Kantonspolizei auch für die Stadt Bern zuständig. Wie werden Sie dort mit politisch heiklen Ereignissen umgehen?
Grundsätzlich entscheidet der Gemeinderat, ob und in welcher Form eine solche Veranstaltung über die Bühne geht – das ist nicht Sache der Polizei. Daran ändert sich mit «Police Bern» nichts. Wir wollen vom Gemeinderat hören, ob er eine Demonstration zulassen will, unter welchen Bedingungen, auf welcher Route, mit welchen Grenzen – wir machen ihn allenfalls auf gewisse Risiken aufmerksam. Die operative Umsetzung jedoch ist dann unsere Sache.
Lassen sich die politisch-strategische und die operative Ebene im Alltag wirklich sauber trennen?
Ich denke schon. Zumindest die Wahl der Mittel ist eine operative Frage, die klar in unserer Zuständigkeit liegt. Trotzdem muss man sich die Zusammenarbeit zwischen Gemeindebehörden und Kantonspolizei als Dialog vorstellen – gerade während einer Demonstration. Die Gemeinde sagt, wann wir einschreiten sollen – zum Beispiel, wenn das erste Schaufenster zu Bruch geht. Wir sagen der Gemeinde, welche Konsequenzen das haben kann – und raten ihr unter Umständen, mit dem Eingreifen zuzuwarten. Dort gibt es ein Spannungsfeld. Mit einer Einmischung hat das aber nichts zu tun.
Führen Sie die Deeskalationsstrategie der Stadtpolizei weiter?
Es wird keine Änderung zur bisherigen Praxis geben. Unser Ziel ist nicht, Demonstrationen zu verhindern – demonstrieren ist ein Grundrecht. Sie sollen aber friedlich über die Bühne gehen und so, dass die Rahmenbedingungen eingehalten werden. Doch letztlich entscheidet der Gemeinderat, was er will.
War das in Lotzwil auch der Fall?
Lotzwil war insofern speziell, als wir bis am Abend gar nicht wussten, wo das Konzert stattfinden wird. Es gehört ja zu den «Markenzeichen» dieser Bewegung, dass sie sich sehr konspirativ aufführt. Wir hatten etwa vier oder fünf mögliche Orte im Visier – da konnten wir nicht alle Gemeindepräsidenten zusammentrommeln. Ich schliesse auch nicht aus, dass in der Kommunikation nicht alles rund gelaufen ist. Doch in der Zwischenzeit haben wir das mit den Betreffenden ausdiskutiert. Unter dem Strich ist der Einsatz aus unserer Sicht sehr gelungen.
Trotzdem mussten Sie danach der Regierung Red und Antwort stehen. Zur Rechtfertigung?
Nein, keineswegs. Die Regierung wollte wissen, wie die Polizei generell mit Extremismen umgeht. Das fand ich sehr positiv.
Gab es seit Ihrem Amtsantritt noch mehr solche Einsätze?
Vor einigen Wochen erhielten wir einmal Hinweise auf ein geplantes Treffen von Rechtsextremen im Seeland. Dieses fand dann aber in der Ostschweiz statt – offenbar war es den Organisatoren nicht wohl beim Gedanken, in den Kanton Bern zu kommen.
Ab 2008 werden Sie vermehrt mit solchen Ereignissen konfrontiert sein. Sind Sie dafür gewappnet?
Schwierige Frage. Für uns wird ab 2008 vieles neu werden – nicht von der Arbeit her, aber in der Grössenordnung. Davor habe ich persönlich grossen Respekt. Andererseits übernehmen wir ja auch Leute, die viel Erfahrung mitbringen. Von diesem Know-how wollen wir auch in Zukunft profitieren. Und wir wollen es auch anderen Gemeinden zugänglich machen. Das könnte vielleicht dazu führen, dass ähnliche Veranstaltungen im ganzen Kanton in etwa ähnlich gehandhabt werden.
Es gibt aber Unterschiede: Auf dem Land haben Sie es eher mit Rechtsextremen zu tun, während in der Stadt eher Linksextreme aktiv sind.
Grundsätzlich sehe ich da keinen Unterschied. Entweder läuft eine Demonstration im Rahmen von Recht und Gesetz ab oder
nicht. Wenn Leute gewalttätig werden, spielt es keine Rolle, ob es Rechte oder Linke sind. Die Inhalte sind von uns nicht zu kommentieren – das gehört zum Grundrecht der Meinungsäusserungs- und Demonstrationsfreiheit.
Es heisst doch mitunter, Rechte verübten eher Gewalt gegen Menschen, Linke gegen Sachen.
Als Strafrechtler ist mir das egal. Jede Art der Gewaltanwendung kann strafbar sein – handle es sich nun um Sachbeschädigung oder um Körperverletzung. Beides darf ein Rechtsstaat nicht tolerieren. Wenn ich eine strafbare Handlung feststelle, wird sie verzeigt. Und dann ist es am Richter, das Strafmass festzulegen. Das ist übrigens auch im Fall Lotzwil passiert: Die Organisatoren des Neonazi-Konzerts wurden wegen diverser Gesetzesverstösse angezeigt. Diese Anzeigen sind noch hängig.
NEONAZITREFFEN IN LOTZWIL
Ein Konzert mit Misstönen
Mehrere hundert Neonazis aus der Schweiz und aus Deutschland trafen sich am 9. September in einer Waldhütte bei Lotzwil zu einem unbewilligten Konzertanlass unter dem Motto «Helvetien rockt». Auf der Homepage des Roggwiler Plattenlabels HRD Records, das die CDs der Schweizer Nazirockband Indiziert produziert, waren zuvor einschlägig bekannte deutsche Bands wie Frontalkraft, Spreegeschwader und Legion of Thor angekündigt worden. Allerdings konnten wegen der durch den Inlandgeheimdienst DAP verhängten Einreisesperren nicht alle Bands auftreten.
Besucher zweimal gefilzt
Zuvor waren die Konzertteilnehmer von der Aargauer Kantonspolizei an ihrem Besammlungsort Rothrist kontrolliert worden. Dabei konfiszierte die Polizei Springmesser, Schlagstöcke und Baseballschläger sowie 70 Musik-CDs. Bei Lotzwil wurden die Besucher des Anlasses von der Berner Kantonspolizei erneut gefilzt, wobei aber weder Widerhandlungen gegen das Waffengesetz noch gegen den Antirassismus-Artikel festgestellt wurden. Danach beschränkte sich die Polizei im Wesentlichen darauf, das Konzert aus der Distanz zu beobachten und neugierige Journalisten vom Festgelände fernzuhalten.
Massive Kritik vom Statthalter
In der Folge löste das Verhalten der Berner Kantonspolizei bei Behördenvertretern, Politikern und Strafrechtsexperten massive Kritik aus. Martin Lerch (svp), Regierungsstatthalter des Amtsbezirks Aarwangen, zeigte sich «gar nicht glücklich» darüber, dass die Polizei das Treffen nicht auflöste. Strafrechtsprofessor Marcel Niggli bezeichnete es gegenüber der «Sonntagszeitung» als «völlig unverständlich, dass die Polizei das Konzert nicht lückenlos beobachtete». Auch im Grossen Rat äusserten linke und grüne Parlamentarier Kritik. Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (fdp) rechtfertigte das Verhalten der Polizei unter anderem damit, dass die Neonazis gedroht hätten, im Falle einer Auflösung geschlossen das eher links ausgerichtete Pogoschütz-Festival in Burgdorf aufzusuchen. «Das wäre nicht zu verantworten gewesen», sagte Käser.
Anzeigen noch hängig
Auf Drängen des Regierungsstatthalters wurden die Organisatoren des Anlasses – die vermutlich aus dem Umfeld der Band Indiziert stammen – wegen diverser Verstösse gegen das Gastgewerbe-, das Wald- und das Jagdgesetz angezeigt. Diese Anzeigen sind nach wie vor hängig. (bwb)
zur Person
Der 47-jährige Stefan Blättler ist seit Anfang August Kommandant der Kantonspolizei. Der Sohn des früheren Nidwaldner Polizeikommandanten hat in Neuenburg studiert und 1987 zum Dr. iur. promoviert. Seit 1989 arbeitet Blättler bei der Kantonspolizei Bern – zunächst als Offizier in der Kripo, dann als Chef der Regionalpolizei Seeland-Berner Jura und ab 2000 als Chef Planung und Einsatz. Blättler ist verheiratet und wohnt mit seiner Familie in Köniz.