Rechtsextremismus wird auch von den Medien grossgemacht ? und von der SVP
Das Rütli ist eine Wiese mit hohem Symbolwert. Rechtsextreme haben das gemerkt. Sukkurs bekommen sie in ihrem Bedürfnis aufzufallen oft von den Medien. Wie beides ineinandergreift, untersuchen drei Wissenschafter.
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Linards Udris hat sich diese Tage mehr oder weniger freigehalten. Häufiger als sonst läutet bei ihm im «Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft» der Universität Zürich das Telefon. «Weshalb wir denn Linksextreme ausgespart haben», beschreibt er eine kritische Nachfrage. «Journalisten reagieren manchmal skeptisch auf unsere Empfehlungen an die Medien.»
Was die Gegenwart bewegt
Das sind sich Medienschaffende nicht gewohnt: dass ihnen die Wissenschaft in die Parade fährt. Doch Linards Udris, Patrik Ettinger und Kurt Imhof tun es auf einer soliden Grundlage. Ihre im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Rechtsextremismus ? Ursachen und Gegenmassnahmen» erarbeitete Studie (siehe «wörtlich») baut auf den umfangreichen und weit zurückreichenden Datensätzen des Forschungsbereichs auf. Oft enthüllt dabei erst der Blick zurück die Eigentümlichkeit der Gegenwart und ihre Mechanismen.
Doch was haben der Historiker Udris und die Soziologen Ettinger und Imhof konkret gemacht? «Wir haben zunächst herausdestilliert, welche Rolle das Thema Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit gespielt hat, und zwar bis zurück ins Jahr 1960», erklärt Linards Udris. «Dann sind wir für den Zeitraum von 1998 bis 2005 noch mehr in die Tiefe gegangen.» Dass der Rechtsextremismus im Zentrum stand, hat mit aktuellen Entwicklungen zu tun. Zum einen haben in der Öffentlichkeit Themen und Konflikte an Bedeutung zugenommen, in denen das Fremde zum Problem (gemacht) wird. Der Verdacht liegt durchaus nahe, dass vor allem rechtspopulistische Akteure, unter anderem auch Teile der SVP, zu dieser Etablierung von Themen und Konflikten beitragen, an die Rechtsextreme anknüpfen können.
Stärker beachtet als je
Zum andern sind Rechtsextreme, ihre Auftritte und Umtriebe seit einigen Jahren ein von Medien und Politik in wenigen Phasen und nur punktuell beachtetes, dann aber sehr intensiv diskutiertes Thema. Man darf vermuten, dass diese im Vergleich zu früheren Jahrzehnten verstärkte Beachtung den rechtsextremen Bewegungen selbst durchaus ins Konzept passt. Linards Udris zitiert einen bekannten Sozialwissenschafter: «Eine soziale Bewegung, über die nicht berichtet wird, findet nicht statt.»
Rechtsextreme und rechtsradikale Ideen haben immer wieder eine relativ hohe Beachtung gefunden. Im Übergang von den Sechziger- zu den Siebzigerjahren etwa, als die Überfremdungsbewegung die etablierte Politik gewaltig beeindruckte. Auch in den späten Achtzigerjahren wird die mediale Beschäftigung mit rechtsextremem Gedankengut und ihren Trägern wieder intensiver ? ein Prozess, der seit Ende der Neunzigerjahre erneut festgestellt werden kann.
Die «Schande vom Rütli»
Die «Schande vom Rütli!» hat zum Beispiel den «Blick» im Jahr 2000 über Wochen beschäftigt und die Politik zu einigermassen hektischen Aktionen genötigt. Dass das Thema rasch von anderen Zeitungen sowie vom Fernsehen aufgegriffen wurde, ist ein wichtiges Merkmal dieser neueren Beschäftigung mit dem Rechtsextremismus. «In zunehmendem Mass reagieren die Medien im Gleichtakt», sagt Linards Udris und bringt dies in Zusammenhang mit veränderten Strukturen im Mediensystem selbst.
Medien im Konkurrenzkampf
Seit es nämlich keine Parteipresse mehr gibt mitsamt den sie aus Überzeugung abonnierenden Lesern, ist der Kampf um den Leser und die Leserin voll entbrannt. Kein grosses Thema darf mehr Monopol einer einzigen Zeitung sein, wie ein Flächenbrand breitet es sich aus. Dies erklärt auch, was Udris und seine Kollegen ausserdem festgestellt haben: Der Rechtsextremismus wird nicht mehr kontinuierlich aufgearbeitet und auch weniger hintergründig als früher.
Stattdessen taucht das Thema in kurzen, intensiven Wellen auf, und die auf die Aufmerksamkeit von Lesern zielenden Medien und die sich an die neuen Medienlogiken anpassenden Rechtsextremen (aber auch die Politiker) verleihen dem Ganzen eine noch grössere Dynamik. «Der politischen Kultur der Schweiz kann dies nicht gut tun, dessen müssten sich auch die Medien bewusst sein», sagt Udris.
Dann lieber totschweigen?
Hier setzt sein Rat an: Medien sollten es vermeiden, rechtsextremen Selbstinszenierungen in Wort und Bild ein allzu grosses Gewicht zu verleihen und bei jeder Gelegenheit den Teufel an die Wand zu malen. Also lieber totschweigen? «Nein, das wäre wohl auch falsch», antwortet Linards Udris. «Aber die Medien sollten sich des Themas weniger alarmistisch und weniger sensationsgierig annehmen. Sie sollten recherchierend auf Hintergründe und Motive eingehen und kontinuierlicher berichten.»
Warum Rechtsextreme attraktiv sind
Rechtsextremismus wurde in den letzten Jahren vor allem dann Thema der öffentlichen Kommunikation, wenn Rechtsextreme sich inszenieren. Besonders die Boulevardmedien neigen zu einer personalisierenden und emotionalisierenden Aufbereitung des Stoffes. Die zunehmende, aber nur punktuelle und oft oberflächliche Beschäftigung führen die Autoren hauptsächlich auf zwei Ursachen zurück: Erstens auf die Ökonomisierung der Medienlandschaft. In ihrem Kontext findet Rechtsextremismus als tabubrechendes und spektakuläres Phänomen eine hohe Beachtung. Zweitens hat sich die Politiklandschaft polarisiert. Die Linke und die SVP liefern sich einen von den Medien nicht uneigennützig begleiteten Kampf.