Zentralschweizer Polizeidirektoren schlagen zur Rettung der Rütli-Feier einen Kompromiss vor
Die 1.-August-Feier auf dem Rütli soll allen Schwierigkeiten zum Trotz doch noch stattfinden – wenn sich der Bund an den Sicherheitskosten beteiligt. Diesen Vorschlag machen die Zentralschweizer Kantone. Bundespolitiker von links bis rechts signalisieren Zustimmung.
Ueli Bachmann, Luzern
Das Ende der Rütli-Feier wird vielleicht doch noch abgewendet. Die Zentralschweizer Polizeidirektoren haben sich gestern – einen Tag nach der Absage der Nidwaldner, von ihrem Terrain aus Schiffe aufs Rütli abfahren zu lassen – an den runden Tisch gesetzt und eine solidarische Lösung gefunden. Nach diesem Vorschlag sollen zur diesjährigen Rütli-Feier Schiffe von Luzern aus fahren. Ab kommendem Jahr aber sollen alle vier betroffenen Kantone – Schwyz, Uri, Nidwalden und Luzern – je einen Abfahrtsort garantieren. Einzige Bedingung: Der Bund soll sich an den Kosten beteiligen, weil die Feier durch den Aufmarsch der Rechtsextremen längst zur nationalen Angelegenheit geworden sei. «Jetzt liegt der Ball beim Bund», sagt der Urner Polizeidirektor Josef Dittli.
Rund 2 Millionen Franken
Die Kosten für die Rütli-Feier 2007 werden auf gegen zwei Millionen Franken geschätzt. Der Bundesrat hat sich bisher auf den Standpunkt gestellt, die Feier sei eine regionale Angelegenheit, deshalb beteilige er sich nicht an den Kosten. Dem Vernehmen nach wird jetzt aber der Bundesrat am kommenden Mittwoch erneut über eine Kostenbeteiligung diskutieren.
Die Polizeidirektoren müssen den Vorschlag noch ihren Regierungen unterbreiten. Dittli gibt sich zuversichtlich, dass alle vier Kantonsregierungen dem Gesuch an den Bundesrat zustimmen werden. Der Kompromiss ist nicht ganz neu. Er entspricht einer Variante des Luzerner Vorschlags, der erst am Mittwoch von der Nidwaldner Regierung abgelehnt worden ist. Durch das Schwarzpeterspiel der Innerschweizer Kantone drohte die Absage der Rütli-Feier.
«Unsere Kommunikationskultur war nicht optimal. Wir haben vielleicht zu viel über die Medien orientiert und zu wenig am runden Tisch geredet», sagt Dittli zum späten Signal der Solidarität aus der Zentralschweiz. Der Hauptgrund, das Schwarzpeterspiel zu beenden und sich doch noch zum Kompromiss durchzuringen, liegt aber in folgender Problematik: Auch die Absage der Feier würde den Polizeikorps die Arbeit nicht erleichtern. Laut Dittli hat nämlich der Nachrichtendienst des Bundes – der Dienst für Analyse und Prävention (DAP) im Bundesamt für Polizei – den Innerschweizern signalisiert, dass die Rechtsextremen mit oder ohne Feier aufs Rütli kommen werden. Nachdem diese letztes Jahr durch das Ticket-System und strengste Eingangskontrollen vom Rütli ferngehalten worden sind, bereiten jetzt diese Kreise laut Dittli die «Rückeroberung» des Rütli vor.
«Es gibt noch keine konkreten Hinweise, aber wir rechnen mit einem Grossaufmarsch der Rechtsextremen auf dem Rütli», erklärt DAP-Sprecherin Danièle Bersier auf Anfrage. Eine Absage der Rütli-Feier schaffe das Problem jedenfalls nicht aus der Welt – im Gegenteil, sagt Dittli: Die Lage werde dadurch sogar unsicherer und unüberschaubarer. «Organisiert ist alles einfacher zu planen», erklärt auch die Stadtluzerner Polizeidirektorin Ursula Stämmer.
Grosszügige Bundespolitiker
Das mögliche Aus der Rütli-Feier hat gestern Politiker und Politikerinnen aller Couleur aufgeschreckt. Für Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi (fdp, AG), die zusammen mit Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey auf dem Rütli auftreten will, wäre die Absage eine Kapitulation vor den Rechtsextremen. «Ich denke, dass das ein nationales Problem ist und dass sich der Bundesrat nochmals überlegen sollte, wie er damit umgeht und sich allenfalls beteiligt», sagte sie.
Gegenüber Radio DRS sprachen sich gestern die Präsidenten von SP, CVP und SVP für ein Engagement des Bundes aus. «Es geht um den Kampf gegen den Rechtsextremismus, dem man keine Bühne und Plattform bieten kann. Auch das ist Aufgabe des Bundes», sagte SP-Präsident Hansjürg Fehr. Die CVP sprach von einem fatalen Signal, wenn einem Haufen Chaoten das Feld überlassen werde. CVP-Präsident Christophe Darbellay fordert vom Bundesrat, Führungsverantwortung zu übernehmen und nennt als beste Beteiligung einen Armeeeinsatz. Selbst für die SVP ist eine Beteiligung des Bundes denkbar. «Der Bund beteiligt sich beim WEF auch», sagte SVP-Präsident Ueli Maurer.
Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey wird am 1. August so oder so eine Rede halten, und zwar abends in der Walliser Gemeinde Unterbäch, dem «Rütli der Frauen». Damit rief sich die Gemeinde am Donnerstag in Anspielung auf die Pionierrolle in Sachen Frauenstimmrecht in Erinnerung.
Gefährdete Feier auf dem Rütli eint die Bundesratsparteien. Keystone
FRüHER WAR DIE BUNDESFEIER AUF DEM RüTLI EIN REGIONALER ANLASS
«Kontinuierliche Aufladung»
Die Tradition der Rütli-Bundesfeiern beginnt 1891: Am 1. August wurde dort das 600-Jahre-Jubiläum der Eidgenossenschaft begangen. Mit dabei waren mehrere Bundesräte. Doch das war die Ausnahme. Über all die Jahre hinweg war die seit 1899 regelmässig durchgeführte, von der organisierenden Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) bewusst schlicht gehaltene Bundesfeier auf dem Rütli eine von vielen im Land.
Die Redner stammten abwechselnd aus den Anrainerkantonen des Vierwaldstättersees. Lediglich die Lokalpresse entsandte Berichterstatter. Noch 1998 schrieb die «Schwyzer Zeitung», dass die Bundesfeier auf dem Rütli «bei bestem Wetter» habe abgewickelt werden können. «Höhepunkt» an der laut Bericht «nüchternen» Feier sei die Rede des Nidwaldner FDP-Nationalrats Edi Engelberger gewesen. Als Randerscheinung wurden ein paar Rechtsradikale bezeichnet, die wegen rassistischen Äusserungen abgeführt worden seien.
Neonazis bereits in 90er-Jahren
Doch da hatte bereits begonnen, was der Historiker Georg Kreis (Autor des Buchs «Mythos Rütli») als wesentlichste Veränderung in der Rütli-Geschichte bezeichnet: Die «Okkupierung» durch die Neonazis. 1999 kesselten Rechtsradikale den Redner – einen Obwaldner Regierungsrat – ein, wie sich SGG-Geschäftsleiter Herbert Ammann erinnert. Damals seien aber keine TV-Kameras zugegen gewesen. Im Jahr 2000 störten bereits mehr als hundert Rechtsextreme die Rede von Bundesrat Kaspar Villiger, der als Innerschweizer eingeladen worden war. «Die Schande vom Rütli», titelte der «Blick».
Von da an war es mit der Beschaulichkeit rund um die Bundesfeier auf dem Rütli vorbei. Am 1. August 2005, als wieder ein Mitglied der Landesregierung am Rednerpult stand, folgte die nächste schlagzeilenträchtige Eskalation: Bundespräsident Samel Schmid – aus Anlass des Jahrs des Sports als Sportminister eingeladen – wurde von 700 Glatzköpfen niedergeschrien und persönlich beleidigt.
Kein Bundespräsident vor Ort
Danach bemühten sich Behörden und SGG krampfhaft, der Bundesfeier auf dem Rütli die nationale Bedeutung wieder zu nehmen. Bundesrat Moritz Leuenberger verzichtete 2006 ausdrücklich auf eine Teilnahme. Nicht wegen den Neonazis, wie er betonte, sondern weil es nicht Tradition sei, dass der Bundespräsident dort auftrete. Auf dem Rütli sprach schliesslich Ex-Swisscom-Präsident Markus Rauh. Im Vorfeld appellierte die SGG an die Verantwortung der Medien: Man solle den Neonazis nicht wieder eine Bühne bieten.
Nicht nur als Bundesfeier-Schauplatz habe das Rütli im Verlauf der Zeit «eine kontinuierliche Aufladung» erfahren, sagt Historiker Kreis. Auch andere radikale Minderheiten nutzten den Ort. 1991 brannten jurassische Separatisten mit Unkrautvertilger die Worte «Jura libre» in den Rütlirasen. Jene Alpwiese am Ufer des Sees, so Kreis, sei eben ein «Ort der Erinnerung» und ein «Schaufenster der Nation». Susanne Wenger
KOMMENTAR
Exzesse rund ums Rütli
Patrick Feuz
Die Innerschweiz und der Bund sehen sich in die Situation gedrängt, die 1.-August-Feier auf dem Rütli mit unsinnigem Aufwand und zu überrissenen Kosten durchzuziehen. Freude macht eine solche Feier nicht mehr. Es geht nur noch um Showkampf und Imagesorge: Man will nicht vor ein paar Rechtsextremen kapitulieren. Auch praktisch gesehen ist die Lage inzwischen enorm vertrackt: Die Absage der Feier brächte keine Ruhe am Vierwaldstättersee. Der Kraftakt, das Rütli nicht den Rechtsextremen zu überlassen, wäre möglicherweise sogar grösser. Man hat also faktisch keine Wahl.
Zu dieser verrückten Situation haben massgeblich Medienexzesse geführt. Bis Mitte der Neunzigerjahre war die 1.-August-Feier auf dem Rütli ein Lokalereignis mit mehr oder weniger bekannten Innerschweizer Honoratioren am Rednerpult. Nicht einmal als dort die ersten Rechtsextremen auftauchten, nahm man das national zur Kenntnis. Aber als 2000 der Luzerner Bundesrat Kaspar Villiger auftrat und Glatzköpfe pöbelten, ereiferten sich manche Medien in pseudo-aufklärerischer Pose tagelang über die «Schande vom Rütli». Das löste die alljährliche Inszenierung des Rütli-Showdowns aus: Die Rechtsextremen liessen sich nicht zweimal bitten, plötzlich nationale Stars zu sein. Die Fotografen und Kameraleute standen jedes Jahr bereit, um die schärfsten Bilder zu schiessen. Diese Eskalation verhalf einer relativ kleinen Gruppe Verwirrter zu völlig überproportionaler Aufmerksamkeit.
Nach diesen Vorfällen kann jede Feier auf dem Rütli nur noch schief gehen, selbst wenn die Rechtsextremen im Zaum gehalten werden. Der Anlass ist jetzt politisch derart aufgeladen, dass ewiger Streit Teil des Festprogramms sein wird: Eine Frauen-feier auf dem Rütli mit Bundes-präsidentin Calmy-Rey und anderen Politikerinnen gibt rechten Provokateuren neuen Stoff. Und wenn Christoph Blocher einmal Bundespräsident sein wird und auf dem Rütli reden sollte, werden linke Seelen empört die Vereinnahmung des Rütlis beklagen.
Jedes Land braucht nationale Erinnerungsorte. Das mythenverhangene Rütli ist wichtig für die Schweiz. Wer dort darüber nachdenken will, was dieses Land ausmacht, spaziert aber am besten in aller Stille über die Wiese am See. An irgendeinem Tag – nur nicht am 1. August.