Der Anschlag auf die Thuner Kleiderboutique Expression Store sei eine Folge der Rivalität zwischen Jugendgruppen in Thun, sagt Ladenbesitzerin Lia Schorno
Lonsdale, Everlast, Rotterdam Terror Corps – so heissen die Marken, die Lia Schorno verkauft. Getragen werden diese Kleider von «Hardcore»-Leuten, die keine Rechtsextremisten seien, sagt Schorno.
Mireille Guggenbühler
Die Druckwelle liess die Fensterscheiben im ersten Stock des Nachbarhauses in tausend Stücke springen. Die Türe der Boutique, an welcher die Knallkörper befestigt wurden, hat Ladenbesitzerin Lia Schorno gar nicht mehr zur Reparatur aus den Angeln heben müssen. Es gab gar keine Türe mehr, als sie nach dem Anschlag auf ihre Boutique in ihr Geschäft eilte. Neben der Eingangstüre hat sich irgendjemand Luft verschaffen müssen: «Nazis raus» steht da – hingesprayt worden ist der Spruch am selben Abend wie der Anschlag verübt worden ist. Auf der Treppe liegen Holzsplitter am Boden. Dem Schaukasten neben der Eingangstüre, in welchem Schorno aufnähbare Wappen – Thun, Schweiz, Italien, Holland – ausgestellt hat, fehlt ein Teil der Glasfront. Im Gesicht der Schaufensterpuppe haben die Splitter ganze Partien weggerissen.
Muhammad Ali und Techno
In einem Schreiben gab eine «militante antifaschistische Widerstandsgruppe» an, den Anschlag verübt zu haben. Die Gruppierung schrieb, dass in der Boutique von Lia Schorno «namentlich bekannte Rechtsextreme» gesichtet worden seien, die den Laden als den Ihrigen bezeichneten.
In der Boutique ist es kalt, das Neonlicht flackert. Hinter dem Ladentisch hängt ein Bild von Muhammad Ali in Boxershorts der Marke Lonsdale – eine der Marken, die Schorno in ihrer Boutique Expression Store anbietet. Daneben verkauft Schorno Pullover, Hosen, T-Shirts und Bomberjacken. «Everlast», «Rotterdam Terror Corps», «Offensive» und «Alpha» heissen die Labels auf den Kleidern. Auf den Regalen stehen Phantasie-Figuren mit Totenkopfschädeln. Irgendwo im Laden finden sich ein paar CDs. «Diese Musik hören wir an den Hardcore-Partys», sagt Schorno irgendwann zwischen dem dumpfen Techno-Wummern, das auf der CD zu hören ist. «United hardcore against racism and hate» – fett gedruckt stehts in der CD-Hülle.
Hardcore – in dieser Szene bewegt sich Lia Schorno, und aus dieser Szene stammen auch die meisten Kundinnen und Kunden Schornos. Viele reisten aus der ganzen Schweiz zu ihr nach Thun «weil wir im Verhältnis zu anderen Anbietern der gleichen Marken billiger sind». Einige ihrer Kunden trifft Schorno an den Hardcore-Partys wieder: zum Tanzen, «zum Hacke», wie die Hardcore-Leute das Tanzen nennen. «Hacke», sagt Schorno, helfe bei Aggressionen. Und aggressiv, ja, das seien die HCs (Hardcore-Leute) an den Partys ja manchmal schon. «Aber mit Hacke holt man sie runter.» Hardcore-Männer tragen eine Glatze, die Frauen haben den Nacken rasiert. Auch wenn die HCs Glatzen und Bomberjacken trügen – «mit Rechtsextremismus haben Hardcore-Fans nichts zu tun», sagt Schorno. Die bekanntesten DJs der grössten Hardcore-Partys in Holland seien allesamt Schwarze. Früher, sagt Lia Schorno, habe sie die Marke Pit Bull im Laden-Angebot gehabt. So lange, bis die ersten Kunden Springerstiefel verlangt hätten. «Pit Bull», sagt sie, «wurde immer mehr zur Marke der Rechtsextremen», wie dies eine gewisse Zeit auch Lonsdale war (vgl. Text oben). Sie habe die Marke dann aus dem Angebot gestrichen. Heute würden die Leute dafür fragen, ob sie auch «Gras» (Cannabis) verkaufe. «Ich finde es schlimm, wenn ich mich fragen muss, welche Kleider ich eigentlich noch verkaufen kann, ohne in die eine oder andere Ecke gestellt zu werden.»
Erster Anschlag im April
Im Laden ist es jetzt still. Schorno fährt mit der Hand über die gestickten Markennamen auf den Kleidern. «Irgendjemandem», sagt sie, «passen wir HCs nicht.» Bereits im April wurde auf ihren Laden ein Anschlag verübt – mit brauner Farbe beschmierten die Täter das ganze Schaufenster und den Boden vor der Türe. Auf der Strasse grüssten sie danach «ein paar Linksextreme» «überfreundlich», ein «Rechtsextremer» mit dem «Hitlergruss».
«Die Situation zwischen den einzelnen Szenen war in Thun noch nie so geladen wie zurzeit», sagt die 44-jährige Schorno, die selber Mutter von drei Jugendlichen ist. Jetzt, nach dem Anschlag, habe sie von verschiedenen Jungen aus verschiedenen Szenen «Erschreckendes» gehört: «Die eine Gruppe schiebt der anderen die Schuld an diesem Anschlag zu. Sie sagen, sie wollten Schlägertrupps bilden und sich gegenseitig fertig machen. Die Gruppen rivalisieren, was das Zeug hält. Wer an eine Party geht und falsch angezogen ist, bekommt sofort Lämpe.» In die Selve, sagt sie, gehe sie deswegen schon lange nicht mehr. Dort ziehen die Clubs verschiedenste Klientel an – «die können sich aber zum Teil nicht ausstehen». Der Platz für die Jungen in Thun sei so eng, dass sich die verschiedenen Gruppen fast bekämpfen müssten. «Es gibt ja nicht einmal mehr ein Jugendhaus, das offen für alle ist – egal zu welcher Szene man gehört.»
Trotzdem: Sind die Anschläge wirklich nur der Auswuchs der Rivalität verschiedener (Jugend-)Gruppen? Schorno öffnet noch einmal die Schubladen, räumt sie aus, zeigt dann auf alle ihre Kleider: «Ich führe und tue hier nichts, das verboten ist.» Zurzeit ermittelt die Bundesanwaltschaft im Fall Thun.