UNTERSEEN / Der erste Angeschuldigte im Mordfall von Allmen ist wegen Mordes verurteilt worden. Die Ermittlungen haben ergeben, dass weitere Tötungen geplant waren.
cbb. Schuldig des Mordes und des unvollendet versuchten Mordes: Das Jugendgericht Oberland hat den ersten der vier Angeklagten, die das Tötungsdelikt am 19-jährigen Marcel von Allmen aus Unterseen gestanden haben, verurteilt. Der Angeklagte, mittlerweile 18 geworden, musste sich als einziger vor dem Jugendgericht verantworten, weil er zur Tatzeit im letzten Januar noch minderjährig war. Allein aus diesem Grund konnte er mit einer milderen Strafe rechnen: Das Gericht hat sich für den Massnahmenvollzug in einer Arbeitserziehungsanstalt entschieden, den Verurteilten in ein Erziehungsheim eingewiesen und eine ambulante Psychotherapie verordnet. Die Massnahme wird mindestens zwei Jahre und längstens bis zum zurückgelegten 25. Altersjahr des Verurteilten dauern – das Jugendgericht wird zu gegebener Zeit darüber entscheiden.
Weitere Tötungen geplant
Die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt an Marcel von Allmen haben ergeben, dass in Unterseen noch zwei weitere Personen hätten umgebracht werden sollen: Die drei erwachsenen Angeklagten und ein damals 17-jähriger Portugiese hatten bereits Ende 1999 geplant, einen 18-jährigen Jugoslawen zu töten. Im Herbst 2000 sollte ein 19-jähriger Schweizer sterben.
Die Gruppe, die sich später «Orden der arischen Ritter» nannte und von rechtsextremistischem Gedankengut geprägt war, wurde offenbar von zwei der Angeklagten im Herbst 1999 gegründet, um sich gegen angebliche Pöbeleien von Ausländern zu wehren. Insgesamt fünf Mitglieder zählte der «Orden» nach Angaben der Polizei zum Schluss – das fünfte Mitglied, Marcel von Allmen, wurde von den anderen vier eliminiert, weil er das Schweigegelübde des «Ordens» gebrochen haben soll. Die vier Angeklagten hatten ihn in der Nacht auf den 28. Januar zu Tode geschlagen und seine Leiche im Thunersee versenkt. Der Prozess gegen die drei erwachsenen Angeklagten wird voraussichtlich im Sommer 2002 stattfinden. Sie werden des Mordes, des versuchten Mordes, der Vorbereitung zur Tötung und weiterer Delikte beschuldigt.
Angeklagte wollten noch andere töten
UNTERSEEN / Das erste der vier Mitglieder des «Ordens der arischen Ritter», die das Tötungsdelikt am 19-jährigen Marcel von Allmen aus Unterseen gestanden haben, ist verurteilt: Das Jugendgericht hat den heute 18-Jährigen des Mordes schuldig gesprochen. Die drei älteren Angeklagten haben derweil weitere Tötungsversuche gestanden.
* CHRISTINE BRAND
Die Tat löste Entsetzen aus. Und tut es noch immer. Vier junge Männer, damals zwischen 17 und 22 Jahre alt, Mitglieder des «Ordens der arischen Ritter», hatten in der Nacht auf den 28. Januar dieses Jahres ihren «Kollegen» und Ordensmitglied Marcel von Allmen mitten in der Nacht zum Steindler-Schulhaus in Unterseen bestellt. Sie fuhren mit ihm zur Ruine Weissenau und schlugen ihn dort brutal zu Tode. Beschwert mit einem zylinderförmigen Metallstück wurde seine Leiche im Thunersee versenkt. Die vier mutmasslichen Täter sind geständig. Marcel von Allmen musste gemäss ihren Aussagen sterben, weil er das Schweigegelübde des «Ordens der arischen Ritter» gebrochen hatte.
Eine Nacht später als geplant
Diese Woche ist der erste der vier Angeklagten vor Gericht gestanden – vor dem Jugendgericht Oberland, weil der heute 18-Jährige zur Tatzeit noch minderjährig war. Zwar sind die Verhandlungen der Jugendgerichte nicht öffentlich, wegen «des grossen öffentlichen Interesses» hat Jugendgerichtspräsident Dieter Hebeisen gestern trotzdem über das Urteil orientiert:Der Angeklagte ist nach dreitägiger Verhandlung von der Fünferkammer des Jugendgerichts wegen Mordes und unvollendet versuchten Mordes schuldig gesprochen worden. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes erfolgte, weil die Angeklagten von Allmen eigentlich bereits eine Nacht früher töten wollten – nur war er nicht zum abgemachten Treffen erschienen.
Das Gericht hat sich bei der Sanktion für eine Massnahme entschieden (vgl. unten): Der Verurteilte wird in einem Erziehungsheim untergebracht, die Massnahme wird in einer Arbeitserziehungsanstalt vollzogen. Zudem hat das Gericht eine ambulante Psychotherapie angeordnet. Der Massnahmenvollzug wird mindestens zwei Jahre, längstens bis zum zurückgelegten 25. Altersjahr des Verurteilten dauern. Über das Ende der Massnahme entscheidet das Jugendgericht. «Wir haben bewusst auf eine Einschliessung verzichtet», betonte Dieter Hebeisen. Mehr Details gab er nicht bekannt.
Weitere Tötungsversuche
Noch nicht abgeschlossen ist das Verfahren für die drei anderen, älteren Angeklagten, die sich derzeit in Untersuchungshaft befinden: Die Ermittlungen haben noch weitere Delikte an den Tag gebracht. «Den drei erwachsenen Angeschuldigten wird nebst der Tötung von Marcel von Allmen vorgeworfen, bereits Ende 1999 und im Herbst 2000 Tötungen geplant zu haben», orientierte gestern Untersuchungsrichter Hans-Peter Zürcher. Offenbar im Herbst 1999 haben zwei der jungen Männer, die alle aus der Region Bödeli stammen, den «Orden» gegründet, um sich gegen die angeblichen Pöbeleien von Ausländern, vorwiegend jugoslawischen Staatsangehörigen, zur Wehr zu setzen. Um den «Orden» finanzieren zu können, sollen sie Einbruchdiebstähle begangen, Haschisch verkauft, Hehlerei mit Schmuckgegenständen betrieben und teilweise Erpressungen durchgeführt haben.
Das erste Opfer, das die Gruppe töten wollte, war ein Jugoslawe, knapp 18 Jahre alt, wohnhaft in der Region Bödeli. Er sollte Ende 1999 umgebracht werden, weil er im Ausgang jeweils Schweizer belästigt oder bedroht haben soll. Das zweite ausgewählte Opfer war ein 19jähriger Schweizer. Er sollte im Herbst 2000 sterben, weil er um die Existenz des «Ordens» gewusst hatte und persönliche Differenzen bestanden. «Sie haben die Tötungen geplant und vorbereitet», erzählte Zürcher. «Teilweise wurde die Ausführung der Tötung versucht.» Nebst den drei Angeklagten war an der ersten geplanten Tötung angeblich auch ein 17-jähriger Portugiese beteiligt.
Die geplanten Tötungsdelikte seien vom Führer der Gruppe grundsätzlich in Einzelgesprächen mit den beteiligten Ordensmitgliedern besprochen worden. «Die beiden anderen Mitangeschuldigten geben an, sich mindestens teilweise aus Angst vor dem Gruppenführer an den vorgeworfenen Straftaten beteiligt zu haben», sagte Hans-Peter Zürcher. «Es wird Aufgabe des Gerichts sein, die konkreten Beweggründe und Tathergänge aller Angeschuldigten zu werten.»
Vom Dritten Reich geprägt
Derjenige, der sich als Anführer der Gruppe bezeichnet, hat laut Zürcher zugegeben, durch den Nationalsozialismus des Dritten Reiches geprägt zu sein. Er habe auch Dokumente rechtsextremen Inhaltes erstellt. Nach Kenntnis der Untersuchungsbehörden haben der Gruppe keine weiteren Mitglieder angehört. Dass der «Orden» und insbesondere auch Marcel von Allmen beim Schulhaus um weitere Mitglieder geworben haben sollen, konnte Zürcher nicht bestätigen. Er könne allerdings nicht aus-schliessen, dass es Sympathisanten gegeben habe.
«Allein eine Haltung oder eine innere Einstellung ist aber kein Straftatbestand», warnte Jugendrichter Dieter Hebeisen. «Man darf nicht aus einem Ereignis ein Glaubensbekenntnis einer ganzen Region ableiten.» Auch Vorwürfe gegen Schulbehörden wies Hebeisen strikt zurück. «Es ist nicht Aufgabe der Lehrkräfte, primär eine Erziehung anzubieten», sagte er. Man könne den Schulen nicht immer alle Schuld zuweisen. «Es gibt auch noch so etwas wie Selbstverantwortung.» Dieter Hebeisen: «Das Gedankengut der Jugendlichen wächst in einer viel kleineren Zelle – nicht in der Schule.»
Prozess im Sommer 2002
Die Untersuchungen gegen die drei erwachsenen Angeklagten sind weitgehend abgeschlossen. «Jetzt werden die psychiatrischen Gutachten über die Angeklagten erstellt», erklärte Hans-Peter Zürcher. Alle Angeschuldigten hätten Gesuche um vorzeitigen Strafantritt gestellt. «Ich rechne damit, dass der Gerichtsprozess im Sommer 2002 angesetzt werden kann.»
Mildere Strafen bis 18
cbb. Wer vor seinem 18.Geburtstag eine Straftat begeht, untersteht der Jugendgerichtsbarkeit. Der Jugendrichter kann Strafen oder Massnahmen verfügen. Als Strafe können – je nach Delikt – Bussen, Arbeitsleistungen, Verweise, Verkehrsunterricht sowie die Einschliessung für maximal ein Jahr ausgesprochen werden. Wer eingeschlossen wird, muss die Strafe entweder in einem Jugendheim oder in einem Gefängnis mit besonderer Abteilung verbüssen. Wenn der Jugendrichter bei einem Verurteilten die Fürsorge und Erziehung in den Vordergrund stellt, kann er ihm auch einen Massnahmenvollzug in einem Erziehungsheim verordnen. Spätestens wenn der Verurteilte sein 25. Altersjahr vollendet hat, wird er entlassen. Derzeit wird das Jugendstrafrecht revidiert. Angestrebt wird, dass die maximale Einschliessungsdauer auf drei oder vier Jahre erhöht wird.