Nationalfondsstudie betont Einfluss rechtspopulistischer Politiker auf Schweizer Ausländerpolitik ? und übertreibt dabei masslos
Von James Schwarzenbach bis zur SVP: Das «Ausländerproblem» dient dem politischen Stimmenfang. Aber hat die rechtspopulistische Bewegung der Schweizer Migrationspolitik tatsächlich den Stempel aufgedrückt? Kritische Anmerkungen zu einer neuen Nationalfondsstudie.
Thomas Gees
Mit der Angst vor Überfremdung lassen sich seit bald 40 Jahren Stimmen und Wähler gewinnen. Seit der denkwürdigen ersten «Schwarzenbach-Initiative» im Jahr 1970 lässt das Thema die Schweiz nicht los. Während sich die meisten sozialen Bewegungen von damals (Anti-AKW, neue Frauenbewegung, Friedens- und Umweltbewegung) im linken Politikmilieu ansiedelten, fand die Anti-Ausländer-Bewegung ihre Heimat schliesslich am rechten Rand. Das war nicht immer so klar, denn in den 1960er-Jahren war die Skepsis gegenüber dem ständigen Wachstum der ausländischen Bevölkerung genauso stark im gewerkschaftlichen und damit linken Milieu verbreitet.
Doch schliesslich besetzten und bewirtschafteten die Nationale Aktion, die späteren «Republikaner», die Auto- und Freiheitspartei und die Schweizer Demokraten das Thema. Später wurden sie von der besser organisierten und stramm geführten neuen SVP Christoph Blochers aufgesaugt. Wer mit der Angst vor Überfremdung politisiert, wird gemeinhin als Rechtspopulist bezeichnet.
Faszination Rechtspopulismus
Das Phänomen Rechtspopulismus fasziniert nicht zuletzt die Forschung: Unter Politologen, Soziologen, Medienwissenschaftlern und Zeitgeschichtlern ist der Aufstieg der «neuen Rechten» ein Topthema. Der Schweizerische Nationalfonds untersucht eigens in einem nationalen Forschungsprogramm «Ursachen und Wirkungen des Rechtsextremismus». Gestern wurde ein weiteres Teilprojekt vorgestellt: die Strategien der rechtspopulistischen Szene und deren Einfluss auf die Migrationspolitik. Zwar wurde schon einiges über James Schwarzenbach und noch viel mehr über Christoph Blocher publiziert. Beide Exponenten gehören gemäss Studien-Ko-Autor Damir Skenderovic nicht zu den Rechtsextremen , aber zu den Rechtspopulisten. Dass die Ausländer bei Schwarzenbachs «Republikanern» bis zu Blochers neuer SVP einen prominenten Platz im Parteiprogramm einnehmen, ist hinlänglich bekannt. Bloss: Was haben diese Kräfte eigentlich genau bewirkt? Welchen Einfluss haben sie auf die Migrationspolitik der letzten 30 Jahre tatsächlich ausgeübt?
Alte These neu aufgelegt
Die jüngsten Ergebnisse aus dem erwähnten Forschungsprojekt bekräftigen die Auffassung, dass die Rechtsparteien einen grossen Einfluss auf die Ausländerpolitik hätten. Die vom Bundesrat verfügte Verschärfung der Kontingentierung ausländischer Arbeitskräfte nach der ersten Schwarzenbach-Initiative wird als indirekter Erfolg der Rechtsparteien bewertet. Nun war die Zeit der liberalen Zuwanderungspolitik vorbei. Schwarzenbach hatte in dieser Sicht zwar die Abstimmung 1970 knapp verloren, doch konnte er mit seiner Protestbewegung indirekt einen Sieg davontragen. In den internationalen Medien wurde die Schweiz als fremdenfeindliches Land dargestellt. Später gingen die Rechtspopulisten erfolgreich aus diversen Referendumsabstimmungen hervor: 1982 verhinderten sie ein neues Ausländergesetz, 2004 wurde die erleichterte Einbürgerung von Ausländern versenkt und 2006 gewann die Rechte die Auseinandersetzung um das neue Ausländer- und Asylgesetz.
Die gestern vorgestellten Ergebnisse des Nationalfonds führen also nahtlos die Sichtweise fort, wie sie schon bisher fast alle historischen Untersuchungen zum Schweizer Rechtspopulismus gepflegt haben: Man bemüht die These einer restriktiven Ausländerpolitik und ausländerfeindlichen Gesellschaft.
Das ist nicht nur wenig originell, sondern zielt auch an den tatsächlichen Verhältnissen vorbei. Denn erstens war die Ausländerpolitik der Behörden nur auf dem Papier restriktiv und erreichte immer das Gegenteil von dem, was sie angeblich erreichen wollte. Zweitens ist die schweizerische Bevölkerung nicht besonders ausländerfeindlich, dies schon deshalb nicht, weil die Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg immer eine äusserst beliebte Zieldestination war und noch heute ist. Vermutlich erlebten die Süditaliener hierzulande weit weniger rassistische Anfeindungen als in Mailand oder Turin.
Verbesserung für Ausländer
Dass die Rechtspopulisten die schweizerische Migrationspolitik wesentlich beeinflussten, muss also stark relativiert werden. Die undurchsichtige Kontingentierungspolitik war ein Spielfeld der kantonalen Behörden und Vertreter der Tieflohnbrachen ? diese Politik war aber nie in der Absicht entstanden, die Zuwanderung tatsächlich zu beschränken.
Hingegen gibt es einen kontinuierlichen Prozess der verbesserten Rechtsstellung der Ausländer, der seinen Abschluss in den Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU gefunden hat. Insofern war die permanente Mobilisierung der Rechtspopulisten mehr oder weniger wirkungslos. Von Brüssel kamen denn auch die wesentlichen Impulse für Reformen in der schweizerischen Migrationspolitik. Bundesrat und Behörden orientierten sich seit den 1960er-Jahren an diesen Erfordernissen, auch wenn offiziell das Gegenteil erklärt wurde. Zur Politik gehört bisweilen auch die Verschleierung von Tatsachen. Die Rechtspopulisten haben die europaweite Personenfreizügigkeit allenfalls um knapp 10 Jahre verzögert, mehr nicht.
Bereits 1999 hatte ein Mitarbeiter des Volkswirtschaftsdepartements die angebliche Wende zu einer restriktiven Ausländerpolitik nach Schwarzenbach ins Reich der politischen Mythen und Märchen verwiesen. Bis heute setzt sich die Forschung mit dieser Einschätzung nicht ernsthaft auseinander. Die Zuwanderung ging in den 1970er-Jahren zurück, weil Rezession herrschte und der Sozialstaat noch schwach ausgebaut war. Danach legte die Zuwanderung wiederum kräftig zu.
Verzerrte Darstellung
Warum die Rechtspopulismusforschung die realen Verhältnisse auch 30 Jahre später so verzerrt darstellt, bleibt unverständlich. Es wäre eigentlich Aufgabe der Wissenschaft, bisherige Sichtweisen radikal in Frage zu stellen. Die Sicht, wonach die Rechtspopulisten für eine mangelhafte Migrationspolitik verantwortlich sein sollen, bedeutet lediglich, deren Einfluss masslos zu überschätzen.
Das Forschungsprojekt
Rechtspopulistische Parteien prägen seit den 1960er-Jahren die schweizerische Migrationspolitik mit. Zu diesem Schluss kommt eine am Dienstag vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) vorgestellte Studie. Zunächst hätten Kleinparteien Politik mit den Fremden betrieben, ab 1991 seien sie durch die SVP verdrängt worden.
Die beiden Autoren der Studie ? der Neuenburger Politologe Gianni D?Amato und der Freiburger Historiker Damir Skenderovic ? erstellten die Untersuchung anhand von Wahlprogrammen, Parlamentsprotokollen, Parteizeitungen und behördlichen Berichten. Die Studie wurde im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Rechtsextremistische Ursachen und Gegenmassnahmen» (MFP 40+) verfasst. Die Forschung ist zwar abgeschlossen, publiziert wird die Studie aber erst im nächsten Frühling, wie der Nationalfonds gestern bekannt gab. (sda)
Der Autor
Thomas Gees ist Historiker und hat eine Dissertation zur schweizerischen Arbeitsmigrationspolitik im Kontext der Europäischen Integration verfasst. Er ist Dozent an der Berner Fachhochschule im Fachbereich Wirtschaft und Verwaltung.