Hooliganismus – ein Auslaufmodell?

NeueZürcherZeitung

Fan-Betreuungs-Projekte ein Schlüssel zur Lösung des Problems

Der Polizeibeamtenverband macht sich im Hinblick auf die Fussball-EM 2008 in der Schweiz Gedanken über das Hooligan-Problem. An einem Symposium in Bern wurde über ein Abebben des Phänomens in traditionell betroffenen Ländern berichtet. Chancen böten Fan-Betreuungs-Projekte und der konsequente Kampf gegen die Anonymität der Störer.

met. Die Tatsache, dass sich Fussball-Grossklubs seit vielen Jahren immer weniger um die Fans gekümmert haben, hat den Hooligan erst geschaffen. Diese These vertrat der Soziologe Prof. Gunter Pilz, der an der Universität Hannover das Institut für Sportwissenschaft leitet, am Freitag am Forum «Innere Sicherheit» des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) in Bern. Fussballer seien zu Stars geworden, die selbst ein guter Vertrag nicht mehr an die Stadt des Vereins binde, für die sie spielen. So sei eine wachsende Distanz der Klubs zu den Fans entstanden. Die Anhänger träfen sich deshalb oft nicht mehr an den Spielstätten, sondern dort, wo mit grösster Wahrscheinlichkeit «Action» zu erwarten sei.

Androhung des Durchgreifens

Deshalb, so Pilz, seien die Fan-Betreuungs-Projekte der Vereine so wichtig. In den traditionellen Hooligan-Ländern England, Niederlande und Deutschland zeigten sie bereits Wirkung. Dort werde der Hooliganismus zum Auslaufmodell. Das habe sich in diesem Jahr auch an der Weltmeisterschaft in Deutschland gezeigt. Entgegen verbreiteten Befürchtungen sei so gut wie nichts passiert. Wenn man die Anhänger so empfange, dass sie das Gefühl haben könnten, sie seien Gäste und nicht potenzielle Gewalttäter, ergebe sich die noch gut in der Erinnerung haftende fröhliche und gewaltfreie Stimmung. Fans, deren Hang zur Gewalt bekannt gewesen sei, habe man schon im Vorfeld klar signalisiert, dass man sie kenne, beobachte und bei Fehlverhalten unnachgiebig einschreiten werde. Bewährt hätten sich weiter die Fan-Betreuungs-Projekte an den Spielorten. Dazu hätten auch die Grossleinwände mit ihrem Beitrag zur Verbreitung friedlicher Stimmung gehört. Und natürlich habe die adäquate Polizeiarbeit nicht fehlen dürfen: Geschulte Konfliktbeamte suchten in kritischen Situationen das Gespräch und forderten Verstärkung nur im Eskalationsfall an. Auch Christoph Vögeli, Leiter des Sicherheitsdienstes der Stadtpolizei Zürich und der 1999 geschaffenen Schweizerischen Zentralstelle Hooliganismus, welche primär für den interkantonalen Informationsfluss zuständig ist, stellte fest, «Schlachtfelder» würden vermehrt beliebig festgelegt und müssten nicht zwingend in einem Zusammenhang mit der ortsansässigen Mannschaft oder ihrem Gastklub stehen. Mit Sorge erfüllt Vögeli, dass sich rechtsextreme Kreise in der ursprünglich apolitischen Hooliganszene breitzumachen begännen. Und weiter, dass die schützende Anonymität vermehrt auch sportlich wenig interessierte Personen zur Gewalttätigkeit verleite. Die ab dem kommenden Jahr zur Verfügung stehende Datenbank sei im Kampf gegen gewalttätige Störer zwar ein willkommenes Instrument. Doch dieses genüge leider nicht, weil die Erfassung präventiver Daten nicht zulässig sei. Für eine effiziente polizeiliche Bekämpfung des Fussball- und Eishockey-Rowdytums sei es unabdingbar, die personellen Zusammenhänge in gewaltbereiten Fanklubs zu durchdringen.

Aus allen sozialen Schichten

Urs von Däniken, Leiter des Dienstes für Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizei, bezifferte die Zahl potenziell gewaltbereiter Fans in der Schweiz auf 1500 bis 2000 Personen. Diese fanatischen Anhänger ihres Vereins neigten zu Gewaltausbrüchen aufgrund äusserer Einflüsse. Etwa 300 Personen, überwiegend Schweizer, zählt von Däniken zu den klassischen, hierarchisch geführten Hooligan-Gruppen, die aktiv die Auseinandersetzung mit Unbeteiligten, mit der Polizei und mit Gleichgesinnten suchen. Diese seien meist zwischen 18 und 30 Jahre alt und stammten aus allen sozialen Schichten. Die Härte der Gewalt nehme zu, und das Durchschnittsalter der Täter sinke. Zu 10 bis 15 Prozent neigten sie rechtsextremen Ideologien zu.

Im Hinblick auf die EM 2008 betonte von Däniken die Bedeutung eines ständig aktualisierten Lagebildes für die Steuerung des Einsatzes der Sicherheitskräfte. In Wien und Bern werde je ein nationales Polizei-Informations- und Koordinationszentrum eingerichtet, das unter anderem für die Einsätze der polizeilichen Szenekenner zuständig sei. Weiter hätten sich die Austragungskantone auf ein einheitliches, rasches Verfahren zur Ahndung anlasstypischer Straftaten während des Grossanlasses geeinigt. Die Swiss Football League wiederum habe die bisher uneinheitliche Praxis bei den Stadionverboten in ihren Richtlinien vereinheitlicht. Zurzeit, so von Däniken, seien landesweit 350 Personen mit einem derartigen Verbot belegt.