Der Chef des Staatsschutzes beobachtet die Rechtsextremen mit Sorge: Weg von Saufgelagen, hin zu gut organisierten Politaktionen. Er ist aber gegen die Abschaffung der Rütli-Feier.
Mit Urs von Daeniken sprach Verena Vonarburg, Bern
Herr von Daeniken, werden die Rechtsextremen immer hemmungsloser?
Das Anpöbeln von Bundespräsident Schmid war eine besonders freche und schamlose Aktion. Sie bewegt sich aber in etwa im Verhalten, das wir seit Jahren beobachten. Immer, wenn die Rechtsextremen konzentriert und quasi im Schutz der Anonymität auftreten, muss man mit solchen Aktionen rechnen. Unser primäres Ziel war, Gewalt zu verhindern, und das ist sehr gut gelungen.
Trotzdem: Resigniert der Staat einfach ein Stück weit und nimmt die Pöbelei hin?
Schlechtes Benehmen ist grundsätzlich nicht strafbar. Erst wenn man zum Schluss kommt, die öffentliche Ordnung sei gefährdet, kann die Polizei einschreiten. Oder wenn Nötigung vorliegen sollte, wenn man jemanden runterschreit. Aber das müsste man noch genauer prüfen.
Also im Grunde einfach gewähren lassen?
Es gäbe auch eine andere Möglichkeit, nämlich auf Grund einer politischen Lagebeurteilung den 1.-August-Anlass auf dem Rütli künftig nicht mehr durchzuführen. Ich persönlich würde das zwar nicht befürworten. Aber wenn man solche Bilder verhindern will, die für die Schweiz imagemässig nicht gerade förderlich sind, dann ist das eine Variante.
Was brächte ein Verbot rechtsradikaler Gruppen?
Wir überlegen uns, ob man per Gesetz die Möglichkeit schaffen soll, Gruppierungen zu verbieten. Im Moment ist das nur im Extremfall möglich. Der Bundesrat hat seit 1945, als er die NSDAP verbot, erstal-Qaida verboten; die Schwelle ist also relativ hoch.
Und wann kommt das lange schon geforderte Verbot extremistischer Symbole?
Aufs Rütli, das müssen wir betonen, sind keine extremistischen Embleme transportiert worden. Der so genannte Kühnen-Gruss ist zwar umstritten, aber nach unserer Beurteilung nicht direkt strafbar. Es sind aber Prüfungen im Gang, grundsätzlich gewisse Symbole zu verbieten, doch da ist noch nichts spruchreif. Der Bundesrat wird darüber voraussichtlich noch in diesem Jahr entscheiden.
Wie soll man entscheiden, was verboten ist?
Das ist sehr schwierig, das stimmt. Und die Gefahr des Ausweichens auf ein nächstes Symbol ist natürlich gegeben.
Wie entwickelt sich die rechtsextreme Szene?
Gesamtschweizerisch hat sie sich seit zwei, drei Jahren auf einem recht hohen Niveau, bei etwa 1000 Personen, stabilisiert. Und wir sehen eine Veränderung von relativ einfachen Saufgelagen, die man früher hatte, hin zu politischen Programmen und zu politischer Betätigung. Die Strukturen haben sich in den letzten Jahren verfestigt. Dieses Jahr beobachten wir insgesamt etwas mehr rechtsextreme Aktivitäten.
Anlass zur Sorge?
Es sind nicht markant mehr. Aber die Entwicklung macht mir seit Jahren Sorge. Deshalb haben wir schon früher die Gesetzgebung verschärft und wollen noch weiter gehen.
Auf dem Rütli traten viele sehr Junge auf. Ist das Ganze zum Teil ein Pubertätsphänomen, das sich auswächst?
Ich glaube, dass es auch ein Pubertätsphänomen ist. Die meisten verlassen die Szene wieder, wenn sie Anfang 20 sind und vielleicht eine Freundin haben. Es hat ein paar ganz Überzeugte, die älter sind, und viele eher jüngere Mitläufer.
Und diesen bringt die mediale Aufmerksamkeit Bestätigung?
Ja, natürlich. Es ist für sie ein Erfolg, wenn die Presse breit über sie berichtet. Das wird gesucht. Ich würde mir wünschen, die grosse Berichterstattung käme mit weniger eindrücklichen Bildern daher.
Auch Linksextreme sind aufgetreten am 1. August. Sie haben Ausschreitungen in Luzern erwartet. Offenbar haben Sie sich getäuscht.
Wir haben lange nicht gewusst, ob die Demonstration bewilligt wird. Und nach der Tonalität auf der linken Seite sah es eher nach Militanz aus, weshalb unsere Lagebeurteilung pessimistischer war. Es gab einige Sprayereien, aber sonst sind wir recht zufrieden. Das war sicher das Verdienst der Polizei.
Wie entwickelt sich die linksextreme Szene in der Schweiz?
Sie ist bei rund 2000 Mitgliedern stabil und vor allem gruppiert um den Schwarzen Block in Zürich und die Reithalle in Bern. Wir sehen keine Radikalisierung; es sei denn gegen rechts im so genannten Antifa-Kampf. Wenn rechts und links zusammentreffen, rechnen wir mit Gewalt.
Sind Linksextreme eher in der Stadt und Rechtsextreme auf dem Land?
Am Anfang war das ein Stück weit so, wobei wir keine Untersuchungen machten, die das belegen könnten. Heute beobachten wir auch auf dem Land linke Aktivitäten. Es hat sich ein wenig angeglichen.