«Bis Scherrer in die Falle tappte»

BernerZeitung

Jürg Scherrer bereut seine Aussagen zum Holocaust nicht. Im Gegenteil: Ein sichtlich enervierter Polizeidirektor spricht von einem «Kesseltreiben» und davon, wie seine Arbeit in Biel blockiert werde.

Interview: Thomas Dähler und Peter Bader

Herr Scherrer, haben Sie in den vergangenen eineinhalb Wochen Ihre Aussagen einmal bereut?

Jürg Scherrer: Nein, ich bereue nichts, weil ich keinen Fehler gemacht habe. Eigentlich will ich mich zu diesen Vorfällen gar nicht mehr äussern. Ich habe in einem Interview mit dem «Bieler Tagblatt» in Zusammenhang mit der Abstimmung über das Antirassismusgesetz meine einzige Aussage zum Holocaust gemacht: «Wer die Vernichtung der Juden bestreitet, der disqualifiziert sich selber.» Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

Sie haben sie nicht bestritten, Sie haben sie verharmlost.

Ich stelle einfach fest, dass ein unseriöses Kesseltreiben gegen mich im Gang ist mit einem einzigen Ziel: Der Scherrer muss weg.Wenn man es bei den Wahlen nicht schafft, dann halt auf diese Weise.

Ein Radio-Interview ist unbestechlich.

Ein Radio-Interview ist dann bestechlich, wenn man von einem ganzen Satz nur die Hälfte zitiert, ein einzelnes Wort herausnimmt und das in einer reisserischen Manier hochspielt.

Das Interview wurde auch in den Printmedien vollständig abgedruckt.

Es gelten journalistische und rechtliche Grundsätze wie zum Beispiel «im Zweifel für den Angeklagten». Die gelten für den Scherrer nicht, ich bin in dieser Stadt in gewissen Kreisen eine «Persona non grata».

Glauben Sie denn ernsthaft, dass Ihnen die Leute Ihre Erklärungen wirklich abnehmen?

Schauen Sie, was die Leute denken, das kann ich nicht beeinflussen.

Aber Sie bedienen sich doch immer des gleichen Musters: Sie gehen an die Grenzen und reagieren auf die Empörung der Leute immer mit der Haltung: «Ich habs doch gar nicht so gemeint.»

Das ist falsch. Ich habe noch nie gesagt, dass ich es nicht so gemeint habe, auch in diesem Fall nicht. Das ist eine Unterstellung, ich stehe zu allem und jedem, was ich sage.

Finden Sie es nicht seltsam, dass Sie als einer, der für Recht und Ordnung steht, bewusst immer wieder wegen des Antirassismusgesetzes vor den Richter zitiert werden?

Ich bitte Sie, es ist wie im Strassenverkehr: Solange man die Geschwindigkeitslimite nicht überschritten hat, hat man auch nichts Verbotenes getan.Aber jetzt komme ich zu etwas Grundsätzlichem: Man darf an die Grenzen des Antirassismusgesetzes gehen, was die Ausländer- und Asylpolitik betrifft. Das gilt aber nicht für den Holocaust. Dazu habe ich mich nie geäussert, weil diese Themen viel zu delikat und heikel sind, als dass man mit ihnen politische Spiele treiben dürfte.

Sie würden also gerne, wenn Sie dürften?

Das ist eine bösartige Unterstellung. Zu dem, was ich anfangs zum Holocaust gesagt habe, gibt es nichts hinzuzufügen.

Das heisst aber, dass man im Gegensatz dazu mit Ausländern und Asyl Suchenden politische Spiele treiben kann?

(empört) Auch das ist eine Unterstellung! Aber ich scheue mich eben nicht, diese Themen kritisch anzusprechen. Das sind doch die wichtigen Themen in diesem Land.

Sie haben Ihre Aussagen mit einem «Missverständnis» erklärt – ein Gemeinderat einer zweisprachigen Stadt, der eine einfache französische Frage nicht versteht, das ist doch lächerlich.

Diese Beurteilung muss ich Ihnen überlassen. Ich hatte keine Ahnung, dass es bei dem Interview um Holocaust und Judenverfolgung ging. Als der Journalist darauf zu sprechen kam, habe ich ihm gesagt, dass ich dazu keine Stellung nehme, weil ich nach dem Krieg geboren und überhaupt kein Historiker sei. Aber dann hat er nachgehakt und nachgehakt, bis der Scherrer in die Falle tappte und den Satz von Le Pen scheinbar bestätigte und man ihn daran aufhängen kann. Das ist der Hintergrund. Aber jetzt sage ich zu dieser Sache gar nichts mehr, der Untersuchungsrichter soll klären, ob ich glaubwürdig bin oder nicht. Punkt.

Warum haben Sie eigentlich nicht die Grösse, als Gemeinderat zurückzutreten?

(lacht) Geht es Ihnen noch gut? Ich bin vom Volk gewählt mit dem vollen Wissen meiner politischen Haltung. Ja, gerade darum bin ich gewählt worden.

Ihnen erwächst massiver Widerstand aus dem Parlament. Sie wissen, dass Sie politisch nicht mehr handlungsfähig sind.

Der Scherrer tritt nicht zurück!

Das ist Trotz, keine reflektierte Haltung und schon gar nicht im Sinne der Stadt Biel.

Kein Kommentar, es gibt keinen Rücktritt.

Aber Sie schaden der Stadt.

Was ist mit den Sprayereien, was mit der hohen Kriminalitätsrate der Stadt Biel? Das alles schadet dem Image der Stadt nicht, aber der Scherrer tuts. Jetzt hören Sie doch auf!

Quer durch alle Parteien wird Ihr Leistungsausweis als Gemeinderat angezweifelt.

Das ist ja wunderbar! Ich bin über neun Jahre Gemeinderat und dann stellt man fest, dass der Scherrer keinen Leistungsausweis hat.

Es heisst, der Scherrer habe nichts zu Stande gebracht. Darin irren sich alle andern?

Die einzige Befragung, die in diesem Zusammenhang relevant ist, ist diejenige der Wähler. Und wenn Sie meine Wahlresultate anschauen, dann muss ich auch an diesem Punkt sagen: «Abgeschlossen, kein Kommentar mehr.»

Beim aktuellsten Beispiel, der Ausgliederung des ESB, hat man Ihnen das Dossier weggenommen.

(empört) Wie bitte? Das wäre mir neu. Die Führung liegt nach wie vor in meiner Direktion. Wer hat denn die Mehrheit in die- ser Stadt? Wer hat denn am 29. April 1999 die Vorlage im Stadtrat abgelehnt? Wer hat per- manent die Ausgliederung be- kämpft? Das sind doch die Linken. Es läuft immer genau gleich in Biel: Man blockiert meine Geschäfte und sagt dann hinterher, der Scherrer habe keinen Leistungsausweis.

Trotzdem hat man Ihnen eine gemeinderätliche Delegation zur Seite gestellt – das spricht nicht für Sie.

Es gibt in verschiedenen Geschäften gemeinderätliche Delegationen. Wenn ich es einmal provokativ sagen soll: Man hat dem Gemeinderat Haag die Leitung der Verkehrsplanung aus der Hand genommen, weil es dort nämlich auch eine vorberatende gemeinderätliche Delegation gibt. Bei der Attraktivierung der Innenstadt gab es Ähnliches, und niemand würde behaupten, man habe Hans Stöckli das Geschäft aus der Hand genommen.

Gerade eben haben Sie beklagt, man habe in der Vergangenheit Ihre Geschäfte blockiert. Der Widerstand wird wachsen: Also müssen Sie doch im Sinne der Stadt den Rücktritt erklären.

Es ist doch überhaupt nichts passiert.

Ihr Image hat sich doch – gerechtfertigterweise oder nicht – noch einmal mehr zementiert, so dass wohl eine Grenze überschritten ist.

Ich glaube, wir müssen dieses Interview abbrechen, es hat keinen Sinn.

Wir haben nur eine sachliche Frage gestellt.

(wird laut) Hören Sie doch auf mit dem Leistungsausweis. Sie wissen ganz genau, was ich in dieser Stadt geleistet habe. Ich habe den Entscheid für die Südumfahrung initiiert und nach 30 Jahren deblockiert. Ich habe den Abbruch des Bielerhofs initiiert, auch wenn andere sich jetzt damit schmücken. Ich habe endlich Massnahmen gegen die Sprayer durchgesetzt. Das sind nur drei Beispiele.

Als Gemeinderat treten Sie nicht zurück. Also treten Sie als Präsident der Freiheitspartei zurück.

Ich habe gesagt, dass ich die Problematik der Doppelfunktion als Gemeinderat und Parteipräsident im Laufe der nächsten Monate einer Lösung zuführen werde.Mehr sage ich nicht.

Die dritte Möglichkeit wäre die Auflösung der Partei – weitere Lösungen gibt es nicht.

Wissen Sie, manchmal denkt man, es gebe nur zwei oder drei Lösungen, manchmal gibt es aber noch eine vierte und fünfte.

Die Freiheitspartei hängt doch nur noch von Ihnen ab.

Das ist ein Irrtum. Wir sind im Moment daran, uns zu reorganisieren, wir haben neue, gute, junge Leute und werden spätestens im Herbst mit einem neuen Parteiprogramm kommen.

Also werden Sie wieder für den Nationalrat kandidieren?

Das ist nicht ausgeschlossen, steht aber auch nicht fest. Das hängt von vielen Faktoren ab, ich werde den Entscheid zu gegebener Zeit kommunizieren.