Versuchte Tötung

Der Bund

«SOLTERPOLTER» / Zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilte das Kreisgericht Bern gestern die zwei Schützen.

gmü.Die beiden früheren Skinheads, die in den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2000 über 100 Sturmgewehrschüsse auf die alternative Wohngemeinschaft «Solterpolter» in Bern abgefeuert hatten, wurden gestern wegen versuchter eventualvorsätzlicher Tötung vom Kreisgericht Bern-Laupen zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. «Aus übersteigertem Hass gegen Linke» seien der 21-jährige Koch und der 23-jährige Velomechaniker zur «sinnlosen, unverständlichen und feigen Tat» geschritten, hielt Gerichtspräsident Peter Reusser fest. Einer Tat, die «nur vor dem Hintergrund einer menschenverachtenden, rassistischen Gesinnung überhaupt möglich war».

«Aus übersteigertem Hass gegen Linke»

«SOLTERPOLTER»-PROZESS / Wegen versuchter eventualvorsätzlicher Tötung hat das Kreisgericht Bern-Laupen gestern die beiden Hauptangeschuldigten, ehemalige Skins, zu je fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Für eine Tat, «die nur vor dem Hintergrund einer menschenverachtenden, rassistischen Gesinnung überhaupt möglich war».

* HEIDI GMÜR

«Eine unverständliche, eine sinnlose, eine feige Tat» nannte Gerichtspräsident Peter Reusser gestern zu Beginn der Urteilsbegründung den Anschlag auf die linksalternative Wohngemeinschaft «Solterpolter», begangen von «ideologisch irregeleiteten» Skinheads. «Hat die Tat angesichts des Vorfalls in Zug an Gewicht verloren?» fragte Reusser, um sogleich mit Nachdruck festzuhalten: «Nein.» Eher das Gegenteil sei der Fall, habe der Amoklauf im Zuger Kantonsparlament doch gezeigt, wohin solche Gewaltexzesse führen können. «Es war einzig glücklicher Zufall, dass niemand verletzt oder getötet wurde», als die zwei älteren Angeschuldigten, der 23-jährige Velomechaniker aus Ittigen und der 21-jährige Koch aus Bern, in den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2000 die alte Soltermann-Bauschlosserei im Marzili-Quartier «unter massiven Sturmgewehrbeschuss nahmen» – «mit dem Ziel, wie sie angaben, den alternativen Bewohnern einen Denkzettel zu verpassen, einen Schrecken einzujagen».

«Rannte um sein Leben»

Dies sei ihnen auch gelungen, meinte Reusser trocken: «Ein Bewohner rannte im Kugelhagel um sein Leben, andere wurden jäh aus dem Schlaf gerissen, man fand Einschüsse in zwei Schlafstätten.» Wahllos hätten die beiden Schützen auf die ganze Gebäudefront geschossen, aus kurzer Entfernung, über 100 Schuss und zum Teil ganze Gewehrsalven. Reusser: «Um sich vorstellen zu können, was bei einem solchen Beschuss passiert, braucht es keine grosse Phantasie.» Die Täter hätten davon ausgehen müssen, dass die Geschosse ins Gebäudeinnere gelangen: «Sie wussten genau, welch unerhörte Durchschlagkraft ein Sturmgewehr aufweist, beide hatten in der Rekrutenschule x-fach damit geschossen.» Als «erwiesen» erachtete das Kreisgericht Bern zudem, dass sowohl der Velomechaniker wie auch der Koch davon ausgingen, dass sich Personen im Gebäude aufhielten. Als «Schutzbehauptungen» bezeichnete Reusser ihre anders lautenden Aussagen vor Gericht, wonach sie sich – «wie so oft sonst» – nichts überlegt hätten oder sich nicht erinnern könnten. Reusser zitierte frühere Aussagen. So soll der 23-Jährige unter anderem gesagt haben: «Ich nahm an, dass die Leute pennen oder eh am Boden liegen.» Oder: «Denen haben wir es so richtig gezeigt.» An Zynismus nicht zu überbieten sei die Aussage des 21-Jährigen, er hätte nicht geschossen, wenn «viele» Leute im Gebäude gewesen wären.

Fünf Jahre Zuchthaus

«Das Gericht kann es ihnen einfach nicht abnehmen, dass sie sich nichts überlegt haben», sagte Reusser. Vielmehr seien sie bei der Umsetzung ihres «irrwitzigen» Plans zielgerichtet vorgegangen und so betrunken nicht gewesen, dass sie überhaupt nichts mehr realisiert hätten. «Die Erinnerungslücken dienten eher dem Selbstschutz oder einer Verdrängung nach dem Motto ,Es kann nicht sein, was nicht sein darf‘.» Und so kam das Gericht zum Schluss: «Sie waren sich der grossen Risiken bewusst, sie nahmen in Kauf, Menschenleben auszuradieren.» Es folgte daher den Ausführungen des Staatsanwalts, die sogar die Verteidiger geteilt hatten, und verurteilte die beiden Schützen wegen versuchter Tötung mit Eventualvorsatz – und nicht wegen Gefährdung des Lebens -sowie wegen Sachbeschädigung und Widerhandlungen gegen das Waffengesetz. Verurteilt wurde der 23-Jährige zudem wegen «Angriffs» auf linke Jugendliche im Mai 2000 in Münchenbuchsee und wegen «Raufhandels» an der Solätte in Burgdorf im Juni 2000. Der wegen Schlägereien vorbestrafte 21-jährige Koch wurde ausserdem der Rassendiskriminierung für schuldig gesprochen. Er hatte, ebenfalls im Juni 2000, im Bahnhof Köniz in Kombination mit dem Hakenkreuz die Parole «Juden RAUS» gesprayt, und «die Juden damit in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabgesetzt». Das Verdikt:fünf Jahre Zuchthaus. Für den 23-Jährigen ordnete das Gericht zudem eine psychotherapeutische Massnahme «während und nach dem Strafvollzug» an. Die Verteidiger hatten auf drei und dreieinhalb Jahre Zuchthaus plädiert, der Staatsanwalt auf sechs.

«Ein klassischer Mitläufer»

Dagegen wurde der dritte Angeschuldigte, ein 20-jähriger Jungschütze, wegen Gefährdung des Lebens zu 18 Monaten Gefängnis bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren verurteilt. Zwar hatte er die beiden Schützen «chauffiert» und ihnen im Schiessstand Schliern-Platten Zugang zum zweiten verwendeten Sturmgewehr sowie zur Munition verschafft. Und er wusste laut Reusser auch, dass die «Solterpolter»-Bewohner einer Gefahr ausgesetzt würden. Wie aber die Tat im Detail ablaufen sollte, dass die beiden anderen «derart blindwütig» das Gebäude unter Beschuss nehmen würden, das habe er nicht gewusst. Reusser: «Er war ein klassischer Mitläufer.»

«Der Ideologie verpflichtet»

Bei der Frage des Motivs kam Reusser auf die rechtsextreme Gesinnung der Angeschuldigten zurück. Denn: «Nur vor dem Hintergrund dieser menschenverachtenden, rassistischen Gesinnung war die Tat überhaupt möglich.» Zwar hätten die Täter keiner Gruppe angehört, wie etwa den Hammerskins, sich der rechtsextremen Ideologie aber «verpflichtet gefühlt». Dies obschon «hinter ihrem Gedankengut kein gefestigtes Weltbild stand, sondern vielmehr Schlagworte und unreflektiert Übernommenes», führte Reusser gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten aus. Das Resultat: «ein übersteigerter Hass gegen Linke.» Am 10. Juli 2000 wurde dieser Hass einmal mehr manifest. Am Vorabend hatten sich die Täter laut Reusser in einer Art Ausnahmezustand befunden, den sie sich indes selbst zuzuschreiben haben, auch wegen des Alkoholkonsums.Der 23-Jährige «wurde depressiv, war zugleich aber auch geladen», was durch Aussagen bestätigt werde. Jedenfalls «projizierte er seinen ganzen Lebensfrust erneut pauschal auf die Linken». Sein 21-jähriger Kollege «liess sich vielleicht von der Stimmung mitreissen». Über Stunden, so Reusser, «wurde die Hemmschwelle immer kleiner und das Aggressionspotenzial immer grösser». Bis die beiden «den ganzen Frust und die aufgestaute Aggression beim ,Solterpolter‘-Gebäude entluden» – dessen Bewohner ihnen notabene «nicht den geringsten Anlass zur Tat gaben», sondern deren Lebensform einfach symbolisch wurde für die Skins – «für das, was sie bekämpfen wollten». Reusser: «So schizophren es auch tönt, es ging ihnen darum, Recht und Ordnung wieder herzustellen.»

Schliesslich billigte das Gericht den Schützen wegen einer Blutalkoholkonzentration von rund zwei Promille eine «höchstens» leicht verminderte Zurechnungsfähigkeit zu. Zudem hielt Reusser fest, dass sich die Angeschuldigten «vom Rechtsextremismus distanziert zu haben scheinen». Gewisse Zweifel hatte das Gericht aber offenbar beim 23-Jährigen, fügte Reusser doch an, dass bei ihm «zu hoffen ist, dass er einsieht, dass ihm diese Szene nichts bringt».