Demo-Gewalt, Drogenszene, Verkehrschaos: Polizeivorsteher Heinz Leuenberger, Polizei-Thun-Chef Erwin Rohrbach und Sicherheits-Abteilungsleiter Peter Siegfried stehen Rede und Antwort.
· René E. Gygax, Franziska Streun und Roland Drenkelforth
Heinz Leuenberger, bei der Schaffung der Polizei Thun haben Sie das Versprechen abgegeben, Sie seien weiterhin für das Mass der Sicherheit in der Stadt verantwortlich und es werde mehr Polizeipräsenz geben. Halten Sie dieses Versprechen?
Heinz Leuenberger: Ja. Wir konnten die wöchentlichen Innenstadt-Patrouillen verstärken. Die Vorgabe des Stadtrats ist 60 pro Woche. Durch die Zusammenlegung ist der Personalpool, aus dem für die Einsätze geschöpft werden kann, grösser geworden. Auch hat sich laut unseren Rückmeldungen und Statistiken die objektive, das heisst die messbare Sicherheit verbessert. Die subjektive, also die gefühlsmässige Sicherheit dagegen ist nicht messbar.
Genau die Frage der subjektiven Sicherheit stellt sich hier: Lange nicht alle Menschen in Thun fühlen sich sicher. Auch gewisse Missstände, wie zum Beispiel auf dem Mühleplatz, sind nicht behoben. Was sagen Sie dazu, Herr Leuenberger?
Leuenberger: Wir nehmen solche Ängste und Wahrnehmungen sehr ernst. Aber es ist für uns schwer zu beurteilen, wer jetzt punkto Sicherheit Recht hat.
Herr Rohrbach: Ist Thun für Sie eine sichere Stadt?
Erwin Rohrbach: Bestimmt. Im Vergleich zu anderen Schweizer und ausländischen Städten ist Thun eine sichere Stadt.
Leuenberger: Der Chef der Kriminalpolizei der Kapo Bern bestätigte uns diesen Eindruck.
Rohrbach: Wie bei der Sicherheit verhält es sich punkto subjektiven Eindrucks auch bei den Verkehrsproblemen in Thun: Die einen finden, diese beschränkten sich auf gewisse Stosszeiten, andere finden, Thun hat ständig ein Verkehrschaos. Für einige ist es eine Katastrophe, wenn sie zu den Stosszeiten 15 Minuten Zeit brauchen, um die Stadt im Auto zu queren. Andere nehmen es gelassener, fahren eine andere Route oder wählen einen anderen Zeitpunkt.
Kommen wir noch einmal zum Thema Sicherheit zurück: Die Ausschreitungen am Antifaschistischen Abendspaziergang vom 17. Mai lösten grosse Angst aus. Würden Sie im Rückblick die Bewilligung noch einmal erteilen?
Leuenberger: Zum Zeitpunkt der Abklärungen für die Bewilligung gab es keinen Anlass, sie nicht zu bewilligen. Übrigens habe ich weder den Inhalt der Demo noch die Organisatoren bewilligt, sondern eine Bewilligung zum gesteigerten Gemeingebrauch von öffentlichem Grund erteilt. Eine rechtliche Grundlage, um den Abendspaziergang nicht zu bewilligen, war nicht gegeben (vgl. auch Ausgabe vom Mittwoch, Red.). Jetzt im Nachhinein sieht das Ganze schon etwas anders aus.
Sie werden künftig die Antifa-Demo nicht mehr bewilligen?
Leuenberger: Das kann ich im Moment nicht mit Ja oder Nein beantworten. Sicher ist, dass wir eine nächste Anfrage ebenso eingehend prüfen wie alle Demo-Gesuche. Auch die Polizeitaktik wird ein wichtiges Thema sein – ob bei einer bewilligten oder nicht bewilligten Demo. Es ist wichtig zu wissen: Eine nicht bewilligte Demonstration heisst nicht, dass sie nicht stattfindet. Nur läuft sie dann unkontrollierbar ab. Anhand von Erfahrungen in Bern und Zürich ist erwiesen, dass nicht bewilligte Anlässe grössere Sachbeschädigungen zur Folge haben.
Sich ein noch grösseres Ausmass an Sachschaden als am 17. Mai in Thun vorzustellen bereitet Mühe …
Leuenberger: Am 17. Mai war die Polizeipräsenz extrem gross. Als die Demonstranten mit den Sachbeschädigungen anfingen, überlegten wir uns genau, wie wir reagieren. Der damalige Einsatzleiter und Chef Regionalpolizei Oberland, Jürg Noth, warnte vor dem Eingreifen. Er könne sonst eine Eskalation nicht mehr ausschliessen. Als die Demonstranten bei der Berner Kantonalbank mit Steinen die Fenster beschädigten, sagte ich zu ihm, jetzt müsse er einschreiten. Seine Antwort war: «Ich kann die Wasserwerfer einsetzen. Aber dann haben wir alle Demonstranten beim Manor-Gebäude und im Bahnhofgebiet, sie verstreuen sich in der Stadt, und ich kann für nichts garantieren!»
Nun ist es ja so, dass die gewalttätigen Demonstranten bekannt sind. Sie stiegen in Bern in den Zug. Wieso wurden sie nicht beim Aussteigen in Thun festgehalten?
Rohrbach: Sie waren im Vergleich zu der Anzahl Teilnehmenden eine sehr kleine Gruppe. Die meisten sind mit dem Privatauto angereist. Ich möchte hier festhalten, dass die Minderheit der Demonstrantinnen und Demonstranten gewalttätig war.
Sind Ihnen Namen von den Verantwortlichen bekannt?
Leuenberger: Wir haben einen Namen, der als Organisator die Bewilligung beantragt hat. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren (vgl. Ausgabe vom Mittwoch).
Können Sie sich die Wut in dieser Stadt vorstellen, wenn eine solche Demonstration noch einmal bewilligt würde?
Leuenberger: Ich bedaure jegliche Art von Gewalt und Vandalismus. Aber ich kann und will mich jetzt nicht festnageln lassen, dass ich nie mehr eine Demonstration bewilligen werde.
Und weshalb haftet für die Schäden niemand?
Leuenberger: Weil es keine rechtliche Grundlage dafür gibt. So wenig wie der FC Thun dafür haftet, wenn zum Beispiel die Hooligans des FC Basel das Lachenstadion oder Einrichtungen in der Stadt demoliert hätten, so wenig können die Organisatoren für die Gewalt von Teilnehmern haftbar gemacht werden.
Rohrbach: Es gibt keine Kausalhaftung für Organisatoren, respektive nur unter ganz bestimmten Umständen, die hier nicht gegeben sind.
Herr Leuenberger, haben Sie Verständnis für die Geschäftsleute und Bewohner, dass sie sich während der Demo nicht sicher fühlten und finden, die Polizei mache zu wenig?
Leuenberger: Natürlich! Ich habe ja die gleiche Wut. Aber ich betone: Thun ist seit Jahrzehnten zum ersten Mal von solchen Ausschreitungen betroffen – die noch viel schlimmer hätten sein können. Sicher ist, dass ich alles daran setze, dass sich ein solches Ereignis nicht wiederholt.
Rohrbach: Ich möchte einfach hier noch einmal festhalten: Ein nicht bewilligter Antifaschistischer Spaziergang ist für die Polizei weitaus schwieriger zu betreuen. Wir kennen die Gegenseite nicht, ihre geplante Route nicht, ihre Absichten nicht, ihr Konzept und ihre Ziele nicht – und deshalb müssten wir viel mehr Eventualitäten einplanen.
Bleibt Ihr Kurs also bei der Deeskalationstaktik? Das kommt doch dem Anfang einer Kapitulation gleich?
Leuenberger: Die Deeskalationstaktik, das heisst nicht oder nur im äussersten Notfall Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen, ist eine schweizweit anerkannte und angestrebte Polizeitaktik. Sie verhindert erwiesenermassen mehr Schäden, als dass sie zu-lässt. Das hat die Situation in Bern klar bewiesen: Daniel Blumer, Chef der Stadtpolizei in Bern, ist kein dummer Mann. Der FDP-Mann war Staatsanwalt im Sanktgallischen. Dagegen ist Kurt Wasserfallen nicht wegen nichts als Polizeivorsteher abgesetzt worden. Auch mit seinem jahrelangen harten Kurs ist Bern nicht von teilweise massiven Schäden verschont worden.
Peter Siegfried: Seit diesem Jahr bin ich an der Schnittstelle Stadtverwaltung zur Polizei Thun vermehrt mit Aufgaben der öffentlichen Sicherheit konfrontiert. Ich stellte mir die gleichen Fragen wie Sie jetzt und diskutierte darüber mit Fachleuten. Aber ich erkannte, dass ich als Laie zu wenig von den Zusammenhängen wusste: Die zentrale Frage bei jeder Taktik ist, was sie bewirkt, wie viel und was dabei aus den Fugen geraten kann. Wer Gewalt mit Gewalt bekämpft, löst auf der Gegenseite Wut und Aggression aus. Und hier berufen sich die Fachleute auf Erfahrungen aus der ganzen Schweiz.
Leuenberger: Ende der 60er-Jahre, zur Zeit der Ausschreitungen bei den Jugendunruhen in Zü- rich, konnte der damalige Polizeivizekommandant und Chef Sicherheitspolizei Basel, Fritz Fassbind, mit «seiner» Deeskalationstaktik die Probleme im Griff behalten. Er sprach mit den Jugendlichen, hörte sie an – und blieb verschont von Jugendunruhen.
Wie sieht es eigentlich in Thun in Bezug auf den Rechtsextremismus aus?
Leuenberger: Auch in Thun gibt es rechtsextreme Auswüchse. Das haben wir nicht nur am Antifa gesehen, an welchem etwa 50 Rechtsextreme in Erscheinung traten. Die Links- und Rechts-extremen hatten sich gegenseitig provoziert. Ich habe schon seit längerer Zeit vermehrte Kontrolle insbesondere im Selveareal veranlasst, weil sich dort Rechtsextreme aufhalten, die sogar mit Hakenkreuzemblemen und bewaffnet umherspazierten.
Uns ist zu Ohren gekommen, dass Rechtsextreme auch sonst Leute in Thun bedrohen – so zum Beispiel ausländische Angestellte im Thuner Spital…
Leuenberger: Ja, solche Vorfälle sind jenseits von gut und böse – ob von links oder von rechts. Wir tun alles, um den Anfängen zu wehren.
Rohrbach: Wir haben zum Glück hier in Thun und der Region keinen harten Kern mit einer hochorganisierten Struktur, sondern lediglich eine Gruppe von etwa 25 Sympathisanten von Rechtsextremen. Sie suchen immer wieder hier und dort den Konflikt, mit Lust auf Gewalt.
Leuenberger: Es ist leider so. Es gibt sogar solche, die mit der Absicht von Schlägereien in eine Stadt gehen – auch nach Thun. Die Schwelle der Gewaltanwendung sinkt weiter, Aggression und Vandalismus nehmen zu – und da denke ich jetzt auch an diejenigen Leute, die ihre Abfälle am Quai entsorgen, weil sie das Geld für den Abfallsack reut.
Kommen wir jetzt noch zu anderen Themenbereichen: Herr Leuenberger, wann sind Sie zum letzten Mal für längere Zeit auf dem Mühleplatz gewesen?
Leuenberger: Am Eröffnungsabend der Konzertreihe «Im Fluss». Da kam ein Anwohner, der mich inmitten aller Leute und in aller Lautstärke anschrie und mit einer Anzeige wegen der Bewilligung für diesen Anlass drohte! Der Lärm sei unerträglich – und das eine Stunde, bevor der Anlass überhaupt begonnen hatte. Ich bin für viele einfach schuld an allem! Aber auch sonst bin ich immer wieder und zu verschiedensten Zeiten auf dem Mühleplatz und kenne die Situation bestens.
Die Anwohner des Mühleplatzes in der Oberen Hauptgasse und im Bälliz sind seit Monaten einer permanenten Nachtruhestörung durch die Szene nach Mitternacht ausgesetzt. Hundekläffen, Klirren von Glas, das an die Wände geworfen wird, Gejohle, Auseinandersetzungen, Musik. Hier fehlt die Überzeugung, dass etwas Spürbares gegen die Missstände unternommen wird.
Leuenberger: Regelmässig werden von unseren Leuten bei Problemen amtliche Verfügungen ausgestellt, die den Aufenthalt auf dem Mühleplatz oder dem Aarequai verbieten.
Rohrbach: Tatsache ist, dass nicht alles sichtbar ist, was die Polizei tut. Uniformierte Patrouillen und Kontrollen sind nur ein Teil unserer Arbeit. Weit mehr Einsätze haben wir in ziviler Kleidung, insbesondere wegen der Drogenfahndung. Bei einer kürzlichen, viertägigen Aktion der Sondereinheit Kaktus sind 14 Anhaltungen gemacht worden, gegen 8 Personen davon wurden eine solche Verfügung verhängt. In den meisten Fällen handelt es sich um Kleindealer und Drogenabhängige. Sobald wir sie befragt und registriert haben, müssen wir sie aber von Gesetzes wegen ziehen lassen.
Könnten Sie hier einmal Zahlen über Kontrollen, Anhaltungen und Verzeigungen nennen? Zum Beispiel in den Monaten Juli und August.
Rohrbach: In diesem Zeitraum hielten wir etwa 150 Personen aus dem Drogenmilieu an. 76 Leute zeigten wir wegen Betäubungsmittelkonsum und 21 wegen Betäubungsmittelhandel an. Von den Betäubungsmittelhändlern waren zwölf Schweizer und neun Ausländer. Dafür war die Gruppe Kaktus mit vier bis fünf Mann während 24 Einsatztagen unterwegs. Im Bereich Drogen wurden wöchentlich drei bis sechs Kontrollen durchgeführt.
Leuenberger: Wir sollten die Probleme nicht anheizen oder gar heraufspielen. Es geht um das Image unserer Stadt, in der vieles gut ist und bestens funktioniert. Unsere Probleme sind weiss Gott nicht derart gross, dass die Medien ständig die Botschaft verbreiten müssen, wir hätten nur Riesenprobleme! Insbesondere unsere Lokalzeitung sollte doch nicht immer wieder verbreiten, Thun habe ein riesiges Drogenproblem, die Stadt sei nicht mehr sicher – und so das Unsicherheitsgefühl schüren. Das ist Negativwerbung.
Das Image der Stadt ist tatsächlich nicht überall gut. Aber nicht wegen der Medien. Sondern wegen der Zustände! Der Gemeinderat ist jetzt gefordert, etwas Wirksames und Sichtbares zu tun!
Leuenberger: Wir tun vieles, auch vieles, das hier nicht öffentlich gesagt werden kann. Der Gemeinderat hat zudem für das Gemeinderatsseminar im November Gesprächsrunden mit Leuten aus der Innenstadt, Anwohnern und Geschäftsleuten aufgegleist.
Aber die Probleme liegen seit Jahren auf dem Tisch … Die IGT zum Beispiel fordert seit Monaten einen szenefreien Mühleplatz!
Rohrbach: Auf politischer Ebene – national, kantonal und regional – werden Richtlinien ausgearbeitet, die für unsere Arbeit wegweisend sind. Wenn nun von allen Seiten her ständig neue Forderungen und Wünsche an uns herangetragen werden, ist das zwar legitim und durchaus zu verstehen. Aber wir können nicht laufend die Polizeitaktik und -arbeit ändern. Sie braucht Kontinuität, um in kleinen Schritten zum Ziel zu kommen.
Der Mühleplatz ist heute der Ort, wo in Thun die Post abgeht. Warum muss ausgerechnet auch noch dort die Szene toleriert werden und alles dort konzentriert sein?
Leuenberger: Das ist eine gute Frage. Aber: Wo soll sich die Szene aufhalten? Irgendwo sind sie, die Drogen- und Alkoholabhängigen. Immerhin werden der untere Teil des Mühleplatzes und die Baumann-Häuser immer mehr mit Aktivitäten belegt, was letztlich zum Ziel hat, die Szene von dort etwas breitflächiger zu verteilen. Das ist sinnvoll. Nicht eine Vertreibungspolitik, wo die suchtkranken Menschen wie Tiere von A nach B vertrieben werden, zum Beispiel vor den Manor, vor den Bahnhof, an den Aarequai oder in die Quartiere. Und internieren oder eliminieren können und werden wir sie auch nicht! Sonst sind wir dann bei der Gesinnung des Dritten Reiches angelangt!
Rohrbach: Und wer sagt, wer wo wann sein darf, wer wo nicht? Wer entscheidet darüber? Für uns ist der Leistungsauftrag massgebend, der jährlich vom Stadtrat im Rahmen des Globalbudgets verabschiedet wird. Dort steht nicht, dass Szenen aufzulösen, sondern ihre Auswirkungen in verträglichem Rahmen zu halten sind.
Auch die Hanfläden geben immer wieder zu reden. Wieso wird hier nichts gemacht?
Leuenberger: Alle sieben Hanfläden sind ein- oder mehrmals polizeilich kontrolliert worden.
In Bellinzona wurden soeben acht Läden geschlossen …
Rohrbach: Gemäss einem Urteil des bernischen Verwaltungsgerichts haben im Kanton Bern weder die Gemeindebehörden noch die Regierungsstatthalter eine Rechtsgrundlage, um die Läden zu schliessen.
Zwölf Kantone, darunter der Kanton Bern, haben sich für einen strengeren Kurs entschieden. Herr Rohrbach, warum passiert hier nichts?
Rohrbach: Der Beschluss im Tessin wurde zwar gefasst. Er kommt aber keiner Verpflichtung gleich. Mir ist unbekannt, wie viele Personen in Thun Hanf konsumieren. Schweizweit sollen es laut Schätzungen 700 000 sein. Wenn sich etwa 10% der Bevölkerung gegen das Gesetz verhalten und Haschisch rauchen, frage ich mich, was falsch läuft. Sie werfen der Polizei vor, sie unterstütze Illegales, indem diese Läden weiterhin Hasch verkaufen können. Geben Sie mir mehr Leute – und ich mache mehr.
Stört es Sie nicht, dass die Hanfläden x-tausend illegale Franken verdienen?
Rohrbach: Natürlich. Aber die Justiz muss genau dieselben Überlegungen machen. Sie wägt die leichten, mittleren und schweren Fälle gegeneinander ab – Eigenkonsum, kleiner und grosser Drogendeal – und setzt Prioritäten. Und zwar auf Letzteres.
Sie sagen, Ihnen fehlen Leute, sonst gäbe es keinen Hanfhandel in Thuner Läden. O. k. Aber wenn Sie weniger Kontrollen beim ruhenden Verkehr machen würden, wäre Ihr Personalproblem gelöst?
Leuenberger: Die Polizei führt nur aus, was der Gesetzgeber und die Justiz sagen.
Kommen wir zum Verkehrsproblem. Jetzt nimmt Bauvorsteher Beat Straubhaar endlich die seit langem geforderten Verkehrsregelungen bei den Fussgängerstreifen an die Hand. Wieso haben Sie, Herr Leuenberger, bis Ende letzten Jahres noch zuständig für den Verkehr, diese verkehrsverflüssigende Massnahme nicht längst eingeführt?
Leuenberger: Erst dieses Jahr hat der Gemeinderat auf unseren Antrag hin den Verwendungszweck des Fonds aus der Parkplatzbewirtschaftung unter anderem für solche Massnahmen erweitert. In Anbetracht eines strukturellen Defizits der Stadt in der Höhe von 10 Millionen Franken und im Zuge der Sparmassnahmen konnte ich einfach vorher diese Vorlage gar nicht erst in den Gemeinderat bringen. Wir sprechen übrigens hier von einer Massnahme, die pro Jahr rund 300 000 Franken kostet.
Aber Sie hätten die Kompetenz gehabt, situativ solche Verkehrsregelungen anzuordnen!
Leuenberger: Das haben wir zu neuralgischen Zeiten, insbesondere am Samstag und Mittwoch, seit Jahren gemacht. Ich glaube, dass ich diese Weisung im Jahr 1994 erteilt habe. Ehrlich gesagt: Es trifft mich, dass das immer noch nicht alle Leute bemerkt haben – und deswegen behaupten, es werde nichts gemacht … Ich hatte pro Tag sechs Leute zur Verfügung, die in dieser 41 000-Einwohner-Stadt zum Rechten sehen. Da braucht es eine Einweisung, einen Familienstreit, und schon bleiben nur noch zwei für Verkehrs- und andere Probleme.
Rohrbach: Mit dem Verkehrsdienst lösen sich unsere Verkehrsprobleme nicht. Er ist eine Massnahme, die zu bestimmten Zeiten eine Verflüssigung des Verkehrs bringt. Wenn aber Stau ist, nützt alles Winken nichts.
Leuenberger: Das eigentliche Verkehrsproblem von Thun ist, dass die Stadt nur über zwei Aarequerungen verfügt. Dass 19 000 Querungen pro Tag auf der Achse Freienhofgasse – das sind 3000 mehr als beim Gotthard – ein Problem darstellen, leuchtet jedem vernünftigen Menschen ein. Eines, das nicht alleine mit winkenden Händen gelöst werden kann.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diejenigen, die Bussen verteilen, doch bei den Verkehrsregelungen hätten eingesetzt werden können …
Leuenberger: Wir können tun, was wir wollen. Es gibt immer irgendwelche Leute, die unsere Arbeit weder sehen noch schätzen. Zum Beispiel mussten zwei Polizisten einmal einen schwarzen Drogendealer fassen und sich dafür zu zweit auf ihn stürzen. Und was taten die Thunerinnen und Thuner, die zuschauten? Sie bedauerten den Dealer …
Für ein anderes Problem haben wir auch Leserbriefe erhalten: Das Wochenendfahrverbot für Velofahrende auf dem Aarequai wird nicht immer eingehalten. Das ist wie bei den Hanfläden. Es gibt zwar ein Gesetz, aber es wird nicht eingehalten. Was tun Sie da?
Rohrbach: Schon seit Jahren machen wir Kontrollen und verteilen Bussen. Nachdem sich Hilterfingen beschwert hat, tun wir das sogar vermehrt.
Siegfried: Ich möchte hier noch einen Gedanken loswerden: Es gibt eine Menge von Problemen, die einzelne Menschen beschäftigen und die von der Polizei korrigiert werden sollten. Viele der erwähnten Probleme sind einzeln betrachtet kleine und lösbare. Die Behörden sagen nie Nein, wenn die Bevölkerung mit Problemen an sie herantritt. Wir nehmen die Anliegen auf und sorgen dafür, dass etwas dagegen gemacht werden kann. Mit anderen Worten: Es bereitet mir als Sicherheits-Abteilungsleiter keine Mühe, der Polizei wöchentlich neue Aufträge zu erteilen. Aber ich tue dies im Wissen, dass unmöglich alle sofort erledigt und erfüllt sein können.
Rohrbach: Ich stelle mir auch die Frage, weshalb Gesetze und Regelungen nicht besser akzeptiert und freiwillig eingehalten werden. Das würde erübrigen, ständig dermassen viele Kontrollen durchzuführen und trotzdem an allen Ecken und Enden nicht zu genügen.
Wahrscheinlich müsste die Polizei einfach repressiver durchgreifen …
Rohrbach: Unsere Problematik ist die, dass wir überall mehr machen sollten. Aber dazu fehlen uns das Personal ebenso wie die finanziellen Mittel. Wir müssen uns alle nach der Decke strecken …
Leuenberger: Kapo-Kommandant Kurt Niederhauser ist ein Topchef. Er ist von unserer Arbeit in Thun überzeugt.
Vielleicht sollten einfach die Prioritäten anders gesetzt werden?
Rohrbach: Genau in dieser Frage klaffen die Meinungen und Erwartungen weit auseinander.
Leuenberger: Immerhin setzen die Kantonspolizei und die Justiz die Prioritäten. Das heisst, es sind letztlich auch übergeordnete Ziele, die die Prioritätensetzung beeinflussen. ·
«Zentrale Frage bei jeder Polizeitaktik ist, was sie bewirkt, wie viel und was dabei aus den Fugen geraten kann.» Peter Siegfried
Erwin Rohrbach, Chef Polizei Thun : «Wir führen viele Kontrollen durch und können trotzdem zu wenig bewirken. Gebt mir mehr Leute, und ich kann mehr machen.»
«Eine nicht bewilligte Demo heisst nicht, dass sie nicht stattfindet. Aber dann sicher unkontrollierbar.» Erwin Rohrbach
Die Interviewten
Heinz Leuenberger ist seit 1991 SP-Gemeinderat im Nebenamt als Vorsteher Direktion Sicherheit, im Herbst für die neue Legislatur bis 2006 wieder gewählt. Vorher war er von 1979 bis 1990 Stadtrat, den er 1987 präsidierte. Der 59-Jährige war federführend an der Zusammenlegung der Stadt- und Kantonspolizei zur «Poli-zei Thun». Der Polizeivorsteher ist seit 1977 Pfarrer der Kirchgemeinde Thun-Strättligen (70%-Stelle). Sein Theologiestudium absolvierte er an den Universitäten von Bern und Bonn. Sein Hobby ist Lesen, vorwiegend Sachliteratur Theologie.
Erwin Rohrbach ist seit dem 1. Januar 2003 Chef der stationierten «Polizei Thun» (Kantonspolizei Bern). Vorher war der SP-Gemeinderat aus Uetendorf während neuneinhalb Jahren Chef der Stadtpolizei Thun. Der 49-Jährige war nach dem Studium als Fürsprecher sechs Jahre als Kreisjurist im Raumplanungsamt des Kantons Bern tätig (heute Amt für Gemeinden und Raumordnung), danach dreieinhalb Jahre im Rechtsdienst der Stadt Thun. Seine Hobbys sind Politik, Kleintiere (gegenwärtig Zwergziegen und Hühner) und der Garten.
Peter Siegfried ist Leiter der Abteilung Sicherheit und war seit 1990 Abteilungsleiter Wehrdienste, Hygiene und Umweltschutz bei der Stadt Thun. Der 57-jährige Ingenieur HTL war früher in Privatindustrie, in Verwaltung und der Ruag (damalige K+W Thun) tätig. Er ist Mitglied der FDP Thun. Seine Hobbys sind aktives Musizieren mit der Thuner Jazzband, Segeln und Freizeitsport. sft
Peter Siegfried, Leiter Sicherheitsabteilung: «Die Leute sollen mir ihre Probleme melden.»
Polizeivorsteher Heinz Leuenberger: «Wir haben bereits mehrere störende Personen aus dem Drogenmilieu vom Mühleplatz mittels Verfügung weggewiesen.»
«Bern blieb trotz Wasserfallens hartem Kurs nicht vor Schäden bewahrt.» Heinz Leuenberger
persönliche fragen an heinz leuenberger
«Ein vorzeitiger Rücktritt ist kein Thema» – will Heinz Leuenberger gar Stadtpräsident werden?
Gemeinderat und Polizeivorsteher Heinz Leuenberger zu ein paar persönlichen Fragen:
Sie haben sich auf Grund der Verkehrsprobleme ein wenig das Image erworben, ein Autofeind und gegen den Privatverkehr zu sein – und das, obwohl vor Ihrem Haus drei schicke Autos stehen?
Heinz Leuenberger: Ich bin dem Privatverkehr gegenüber positiv eingestellt, ebenso dem öffentlichen Verkehr gegenüber. Aber ich stelle mich auf den Standpunkt, dass nicht immer bessere Strassen gebaut werden müssen, sondern dass die Autos besser geworden sind. Ich lege keinen Wert darauf, möglichst rasch von A nach B zu fahren. Wir müssen alle am selben Strick ziehen und alles nur denkbar Mögliche tun, damit die dritte respektive vierte Aarequerung möglichst rasch kommen. Es braucht eine Aarequerung Süd.
Sie haben zwölf Jahre recht erfolgreich als Gemeinderat im Nebenamt hinter sich, jetzt hagelt es von verschiedensten Seiten Kritik. Bereuen Sie Ihre Wiederwahl?
Nein, denn Kritik gehört dazu. Eine Frustrationszulage ist im Lohn eines Politikers inbegriffen. Andere Jahre waren andere dran, jetzt bin ich halt einmal an der Reihe.
Fühlen Sie sich von der Bevölkerung noch getragen?
Ich bin mit einem guten Resultat wieder gewählt worden. Diese Frage erübrigt sich.
Auch ist uns zugetragen worden, dass Sie auch innerhalb der Partei nicht alle hinter sich wissen können. Wie ist das für Sie?
Ich fühle mich gut getragen. Natürlich gibt es auch parteiintern Kritik, aber auch das gehört zu einer demokratischen Auseinandersetzung.
Wie gehen Sie mit Kritik um? Wir auf der Redaktion und andere Personen finden, dass Sie manchmal etwas dünnhäutig reagieren …
Das mag sein. Aber zum Beispiel Ihr Kommentar, Herr Gygax, dass nur die gute Thuner Kultur in der Politik verantwortlich dafür sei, dass ich als Polizeivorsteher nicht wie in Bern entmachtet worden sei, das hätte jeden getroffen …
… wobei wir so etwas gar nie geschrieben haben! Aber oft lautet Ihre erleichterte Antwort auf Fragen: Für dies oder jenes bin ich nicht mehr zuständig. Weshalb?
Das habe ich jetzt schon lange nicht mehr gesagt.
Im Zusammenhang mit einer Kritik gegen Sie sagten Sie: Langsam sei Ihnen alles egal. Haben Sie sich auch schon mit dem Gedanken getragen, vorzeitig zurückzutreten?
Nein. Ein vorzeitiger Rücktritt kommt nicht in Frage. Daran gibt es nichts zu rütteln. Ich setze mich voll bis mindestens 2006 ein. Übrigens, mit «langsam ist mir alles egal» meinte ich: Ungerechtfertigte und oberflächliche Kritik ist mir egal.
Was waren denn die Motive für Ihre Wiederkandidatur? Freude an der Macht? Der Lohn? Die vielen Privilegien, die ein Gemeinderat geniesst?
Es gibt viele Aspekte, die mich zum Wiederantritt bewogen. Übrigens ist die Macht an sich nichts Schlechtes, nur wird sie oft missbraucht. Mich fasziniert, dass ich als Gemeinderat tatsächlich etwas in dieser Stadt bewegen kann. Und in Bezug auf den Lohn kann ich nur sagen, dass ich mein Pfarrerpensum reduziert habe. Von Privilegien kann in der Thuner Politik keine Rede sein.
Ist es Ihnen egal, dass die SP wegen Ihrer Kandidatur die beiden Gemeinderatssitze inklusive Stadtpräsidium, sollte Stadtpräsident Hans-Ueli von Allmen nicht mehr antreten, mit zwei Neuen verteidigen muss?
Ich schliesse nicht aus, dass ich für eine 5. Legislatur kandidiere.
Etwa gar als Stadtpräsident?
Wieso nicht? (lacht) gx/sft
«Ich kann mich für eine nächste Antifa-Bewilligung nicht festnageln lassen.» Heinz Leuenberger