Verurteilungen wegen des Offizialdelikts Rassen- diskriminierung sind laut der Kommission gegen Rassismus selten. Um Äusserungen am Stammtisch gehe es kaum.
WINTERTHUR ? «Man sagt ja lieber nichts gegen Ausländer, sonst wird man noch angeklagt.» Solche Bemerkungen sind noch heute oft zu hören. Schon im Abstimmungskampf im Sommer 1994 warnten die Gegner eines Rassismus-Artikels im Strafgesetzbuch, damit werde dem freien Schweizer Bürger ein Maulkorb verpasst. Ist seit In-Kraft-Treten des Artikels Anfang 1995 das verfassungsmässige Grundrecht, die eigene Meinung ungehindert zu äussern und zu verbreiten, eingeschränkt?
Der Rassismus-Artikel stehe sicher in einem Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit, räumt das Se-kretariat der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus auf Anfrage ein. Gemäss juristischer Lehrmeinung gebe es aber kein Grundrecht auf Verletzung eines anderen Grundrechts wie das Diskriminierungsverbot und die Rechtsgleichheit. Eine Gerichtspraxis hat sich in den knapp elf Jahren laut der Kommission noch nicht herausbilden können.
Immerhin legt eine von der Kommission geführte Datenbank den Schluss nahe, dass die Gerichte den Rassismus-Artikel mit grosser Zurückhaltung anwenden. So kommt es in den Kantonen und vor Bundesgericht im Jahr zu etwa 30 Urteilen. In jedem zweiten Fall von mutmasslicher Rassendiskriminierung wird laut Kommission entweder kein Verfahren aufgenommen oder dieses eingestellt, bevor es zur Anklage kommt.
Etwas mehr als die Hälfte der Entscheide und Urteile betreffen mündliche (25 Prozent) oder schriftliche (32 Prozent) Übergriffe. Es folgt die Verbreitung rassistischen Materials (10 Prozent). Tätlichkeiten, Gesten und Gebärden machen zusammen fünf Prozent aus, Leistungsverweigerungen drei Prozent (Mehrfachnennungen sind möglich). 14 Prozent der erfassten Opfer sind dunkelhäutig. Fast doppelt so viele sind Juden. Als Tätergruppen lassen sich einzig Rechtsextreme (12 Prozent) ausmachen und Personen, die im Dienstleistungssektor tätig sind (10 Prozent).
Und was ist mit rassistischen Äusserungen am Stammtisch? Das Sekretariat der Kommission erinnert sich nur an eine Pöbelei gegen eine dunkelhäutige Person am Nebentisch. Die Richter sahen das Kriterium der Öffentlichkeit nicht erfüllt.
Auch Schweizer geschützt
Geahndet wird auch die Diskriminierung von Schweizern. Die Datenbank verzeichnet dazu sechs Fälle. Ein Angeschuldigter, der Jugendlichen den Mittelfinger zeigte und sie als «Scheiss-Schweizer» bezeichnete, erhielt für dies und andere Delikte zehn Monate Gefängnis bedingt. (ren)
Reden mit ernsten Folgen
WINTERTHUR ? Auslöser der aktuellen Debatte um die Rassismusstrafnorm war eine Rede des türkischen Professors Yusuf Halacoglu im Mai 2004 in Winterthur. Halacoglu habe den Völkermord an den Armeniern von 1915 geleugnet, hiess es in Medienberichten. In der Folge eröffnete der Winterthurer Staatsanwalt Andrej Gnehm ein Strafverfahren. Dieses sei nun aber sistiert, sagte Gnehm gestern. Halacoglu habe bisher nicht einvernommen werden können. Dies sei aber nötig um das Verfahren abschliessen zu können.
Laut Gnehm sind bereits einfachste Anfragen an die Türkei gescheitert. Sollte Halacoglu in die Schweiz einreisen, habe man Massnahmen getroffen, auch mit ihm sprechen zu können. Die Tat würde 2011 verjähren.
Ein zweiter Fall betrifft den türkischen Politiker Dogu Perinçek. Er hatte im vergangenen Jahr in mehreren Ansprachen in der Schweiz ebenfalls den Völkermord an den Armeniern geleugnet, zunächst in Lausanne, später auch in Winterthur, Glattbrugg und in Köniz bei Bern. Perinçek hatte den Genozid als «internationale Lüge» bezeichnet.
Er soll sich im kommenden März in Lausanne vor Gericht verantworten. Der Prozess solle am 6. oder 7. März beginnen, sagte der zuständige Untersuchungsrichter. Perinçek habe die Vorladung erhalten.
Armenien wirft dem Osmanischen Reich als Vorläufer der Türkei vor, in Anatolien zwischen 1915 und 1917 eineinhalb Millionen Armenier bei Vertreibungen gezielt ermordet zu haben. Nach türkischer Lesart handelt es sich um Deportationen illoyaler Untertanen. Nationalrat und einige Kantonsparlamente haben den Genozid anerkannt, nicht jedoch der Bundesrat. (sda)
Die Rassismus-Strafnorm im Wortlaut
Die Rassismus-Strafnorm ist seit dem 1. Januar 1995 in Kraft. Am 25. September 1994 hatte sich das Volk in einer Referendumsabstimmung mit 54,6 Prozent Ja für den neuen Artikel 261 des Strafgesetzbuchs ausgesprochen. Die SVP hatte mit Unterstützung von Christoph Blocher die Ja-Parole beschlossen. Im Parlament war die Vorlage von der Autopartei und den Schweizer Demokraten bekämpft worden.
Der Artikel lautet wie folgt:
Rassendiskriminierung
Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft,
wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind,
wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,
wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,
wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.