Bundespräsidentin begeistert empfangen
UELI BACHMANN, Rütli
Den Turbulenzen im Vorfeld zum Trotz: Die Rütlifeier fand statt und wurde zur würdigen und ruhigen Feier ohne Störungen und ohne sichtbares Polizeiaufgebot.
Micheline Calmy-Rey hat es vor Wochen immer wieder gesagt. Man werde schon sehen, sie werde am 1. August ganz sicher auf dem Rütli sein. Und gestern war sie da. Die Bundespräsidentin kam zu Fuss vom Seelisberg, an jeder Hand ein Enkelkind und begleitet von rund 150 persönlich geladenen Gästen. Vor Antritt des 40-Minuten-Marsches hatte die Bundespräsidentin im Seelisberger Hotel Bellevue vom Hüttenwart ein paar Socken als Geschenk erhalten, damit sich die Schweiz «auf die Socken macht». Das Motto passte gut zur später gehaltenen Rede der Bundespräsidentin.
Bei der Ankunft auf der Rütliwiese wurde Calmy-Rey fast stürmisch begrüsst, sogleich musste sie Autogramme schreiben. Die Bundespräsidentin und mit ihr Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi waren ganz klar die «Stars» an der Bundesfeier 2007. Viele der befragten Rütli-Besucher gaben an, einzig wegen der beiden Frauen gekommen zu sein, «weil sie so stark sind und uns Frauen viel Mut machen», wie etwa die Baselbieterin Vroni Eggenschwiler sagte, die mit ihrer Tochter aufs Rütli gekommen ist.
BREITES SPEKTRUM. Zwar hatte Calmy-Rey zusammen mit der Frauenorganisation Alliance F zur Feier auf dem Rütli aufgerufen, doch eine Frauenfeier oder eine Feier einzig für Linke war es nicht. Gekommen sind rund 2000 Besucher und Besucherinnen, jung und alt und von einem breiten Parteispektrum. «Es ist ein guter Mix, so sollte es in Zukunft an jeder Rütli-Feier sein», sagte Johann Schneider-Ammann. Der Berner FDP-Nationalrat hatte als Vertreter der Wirtschaft den entscheidenden finanziellen Steilpass für die Durchführung der Rütlifeier 2007 gegeben. Etwas Stolz komme da schon auf, bemerkte Schneider-Ammann.
Sein Kollege, FDP-Nationalrat Otto Ineichen, vergass im Blitzlicht der Medien den Wahlkampf nicht und betonte, dass eigentlich die FDP die Feier gerettet habe. Wie auch immer es gewesen war: Fest steht, es gab gestern auf dem Rütli so viel Prominenz wie noch nie. Von den Parteipräsidenten mochte sich nur jener von der SVP nicht auf die «Kuhwiese» setzen, die anderen waren fast alle da. Unter den Besucherinnen waren unter anderen auch die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz sowie die SP-Nationalrätinnen Susanne Leutenegger Oberholzer und Silvia Schenker.
Sie wurden Zeugen einer Bundesfeier mit Familienfest-Charakter mit friedlichem und ruhigem Verlauf. Bei der Rede der Bundespräsidentin gab es keine Buhrufe und Pfiffe durch Rechtsradikale wie bei ihren zwei Vorgängern, vielmehr mehrere Minuten «Standing Ovation». Zu den musikalischen Einlagen des Luzerner Kinder- und Jugendchors wurde sogar mitgeschunkelt, zu den Vorträgen der Fahnenschwinger und Alphornbläser artig applaudiert.
KEINE SCHREIHÄLSE. Rechtsradikale waren auf dem Rütli auch zu sehen. Rund ein Dutzend Glatzköpfe hatten sich Tickets besorgt und so offiziell Zutritt verschafft. Sie verhielten sich ruhig; erst nach Ende der Feier hievten sie ihre Fahnen und sangen die alte Schweizer Landeshymne. Aufregung kam auf, als bei Feierende eine Petarde mitten in der Wiese detonierte, dort, wo zuvor noch Besucher gesessen hatten. Verletzt wurde aber niemand.
Sie habe etwas Angst gehabt um die Sicherheit ihrer Kinder, das sei aber unnötig gewesen, sagte eine Luzernerin, die mit ihrem Mann und ihren drei Kindern aufs Rütli gekommen war. Sie hatten sich wie viele andere auf Decken gesetzt, die mitgebrachten Sandwichs verzehrt und es sich in der Sonne und bei den Darbietungen gut gehen lassen. «Es ist schön, einfach ein gelungenes Fest», meinte auch jene Genferin, die sich einen der wenigen Schattenplätze unter den Bäumen erobert hatte. Für Konrad Scherer war es die beste Feier seit Jahren. Scherer muss es wissen; er war 1949 erstmals als Hornist der Musikgesellschaft Brunnen an der Rütlifeier dabei. Auch die Verantwortlichen der Rütlifeier zogen positive Bilanz. Annemarie Huber-Hotz, die neue Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft SGG, wünscht sich auch nächstes Jahr eine ähnlich würdige und friedliche Feier, die zudem allen Kantonen offen steht.
KEIN WARTEN. Letztes Jahr war die Rütli-Feier ebenfalls störungsfrei verlaufen. Doch störten sich viele Besucher am übermässigen Polizeiaufgebot und an den massiven Sicherheitsvorkehrungen beim Schiff-Abfahrtsort Brunnen. Mit der Verlegung nach Luzern ist einiges verbessert worden. Es gab kein langes Warten hinter Gittern. Statt schwer bewaffneter Polizisten kontrollierten Securitas-Leute die Tickets. Ohne Ticketsystem gehe es wohl leider nicht, meinte ein Gast.
Bundesrat Leuenberger gegen Rütli-Nationalfeier
KEINEN «RUMMELPLATZ». Bundesrat Moritz Leuenberger hat gestern an der 1.-August-Feier in der kleinen Gemeinde Palagnedra im Centovalli der Idee einer nationalen Bundesfeier auf dem Rütli eine klare Absage erteilt. Er sei am Nationalfeiertag lieber an einem Ort, wo die ganze Bevölkerung kommen könne und nicht Karten für den Eintritt verlost werden müssten, sagte der SP-Politiker. Und er komme auch lieber an eine Feier, «die nicht ein Uhrenindustrieller sponsern muss, damit die Sicherheit gewährleistet ist». Das Rütli habe eine symbolische Bedeutung für die Schweiz, es sei jedoch nicht das exklusive Zentrum des schweizerischen Patriotismus, sagte Leuenberger. Die zahllosen Dorffeiern in allen Regionen der Schweiz hätten viel mehr mit dem Wesen des Landes zu tun als der «laute Rummelplatz» auf dem Rütli. Dies vor allem auch deshalb, weil alle Menschen dort ? unbeachtet von Journalisten und Fernsehkameras ? im Grunde dasselbe feierten: «Das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Kulturen in unserem Land.» AP
Rund 200 000 Personen besuchen einen Bauernhof
Der Bauernbrunch findet grossen Zuspruch, während die Polizei anderswo Störenfriede früh stoppt
Am 1. August haben Gruppierungen aus dem rechten und linken Lager Aktionen durchgeführt. Zu Konfrontationen kam es bis zum Abend nicht.
Die Polizei hinderte Rechtsextreme daran, aufs Rütli zu gelangen. Um 7.00 Uhr hatten rund 20 Personen versucht, mit sechs Gummibooten, von Brunnen her kommend, beim Rütli anzulegen. Sie wurden von der Polizei zurückgewiesen und nach Brunnen begleitet. Gegen Mittag versuchten rund 30 Personen erneut, mit Gummibooten aufs Rütli zu gelangen. Dieses Vorhaben sei unter Einsatz von Wasser vereitelt worden, teilte die Kantonspolizei Uri mit. Die Passagiere der Boote seien der Kantonspolizei Schwyz übergeben worden.
LINKE DEMO. Rund 60 Personen aus der rechtsextremen Szene marschierten am späteren Vormittag von Bauen in Richtung Seelisberg, um auf dem Landweg aufs Rütli zu gelangen. Auch sie wurden zurückgewiesen. Ausserdem kontrollierte die Polizei die Kantonsstrasse. 19 Autos mit 49 Insassen liess sie nicht weiterfahren. In Luzern nahmen am Nachmittag rund 80 Personen an einer sogenannten «antifaschistischen NoDemo» teil. Zu der Aktion hatte das «Bündnis für ein buntes Brunnen» (bbb) aufgerufen. Es wollte damit ein Zeichen setzen gegen die Auftritte der Rechtsradikalen am Bundesfeiertag.
Als «NoDemo» wurde die Kundgebung bezeichnet, weil der Luzerner Stadtrat für den 1. August keine Demonstrationen bewilligt hatte. Die Polizei löste die Kundgebung am späten Nachmittag auf.
20 Kundgebungsteilnehmer wurden vorübergehend festgenommen und verzeigt. Vorübergehend festgenommen wurden auch zwei Linksautonome, die am Morgen auf einen Torbogen geklettert waren und Rauchpetarden gezündet hatten. Bei den Festgenommenen handle es sich um 21 Schweizer und einen Türken im Alter von 17 bis 26 Jahren, teilte die Polizei mit. Eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen des «Bündnisses für ein buntes Brunnen» werde in Erwägung gezogen.
FRÖHLICHES FEST. Dies aber war nur die Kehrseite des gestrigen 1. August. Landauf landab wurde der Nationalfeiertag mit Höhenfeuern, viel Feuerwerk und Volksfesten begangen ? begünstigt von Geburtstagswetter, wie man es sich schöner nicht wünschen konnte. Ein Grosserfolg war einmal mehr der Brunch auf dem Bauernhof mit rund 200 000 Besuchern. Auch die Auslandschweizer feierten kräftig mit, besonders aufwendig einmal mehr in Berlin.
GUTES ZEUGNIS. Dazu kamen die Festansprachen der Politiker. FDP-Präsident Fulvio Pelli kritisierte den Konservativismus auf dem linken und dem rechten politischen Flügel, stellte der Schweizer Politik aber ein insgesamt gutes Zeugnis aus.
SP-Präsident Hans-Jürg Fehr hielt in seiner 1.-August-Rede ein Plädoyer für die Integration. Integration sei das Gegenteil von Ausgrenzung, sagte Fehr im schaffhausischen Neunkirch und warf den Abzocker-Managern vor, sie markierten den gesellschaftlichen Spaltpilz.
Die oberste Pflicht der Bürgerinnen und Bürger bestehe nicht darin, die Steuern zu bezahlen, sagte Bundesrätin Doris Leuthard in ihrer 1.-August-Rede im zürcherischen Greifensee. Am wichtigsten sei die Solidarität mit der Gemeinschaft. Das Motto «Alle für einen ? einer für alle» habe die Schweiz stark gemacht und mache sie weiterhin stark.