Der Bund
Vor gut einem Jahr wurde die Stadtpolizei Bern mit der Kantonspolizei fusioniert – nun
liebäugelt die Stadt wieder mit einer Ortspolizei
Die Kantonspolizei musste 2008 in der Stadt Bern 9000 Stunden mehr leisten als
vereinbart. Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) sieht dennoch keinen Grund für
Nachzahlungen. Dafür will er rund drei Millionen Franken in eine neue Ortspolizei
investieren.
Interview: Pascal Schwendener
«Bund»:
Herr Nause, seit gut einem Jahr bezieht die Stadt ihre polizeilichen Leistungen vom Kanton. Es
handelt sich dabei um den grössten Leistungsvertrag, den die Stadt je mit irgendeinem Partner
abgeschlossen hat. Bewährte sich diese Zusammenarbeit bis anhin?
Reto Nause: Ja. Die Leistungen, die bis vor einem Jahr von der Stadtpolizei erbracht wurden,
werden seither von der Kantonspolizei erfüllt. Dafür bezahlt die Stadt jährlich pauschal 28,3
Millionen Franken.
Von Anfang an gab es Kritik: Die Stadt habe zu wenig Polizei bestellt.
Die Kantonspolizei erfüllt die Vorgaben der Stadt. Details kann ich zurzeit noch nicht nennen.
Aber erlauben Sie mir zwei Beispiele: Im Bereich der uniformierten, sichtbaren Polizeipräsenz
wurden 65000 Stunden bestellt und rund 71000 effektiv geleistet – abzüglich der Euro-08-
Einsätze notabene. Auch im Bereich der Kontrollen im Verkehrsbereich wurden die Vorgaben
übertroffen. Da wurden statt 60000 tatsächlich rund 63000 Stunden geleistet.
Also leistete die Kantonspolizei mindestens 9000 Stunden mehr als vereinbart. Die Stadt wird
nachbezahlen müssen.
Nein. Was in den erwähnten Bereichen zusätzlich geleistet wurde, kann die Kantonspolizei in
anderen Bereichen wieder einsparen und kompensieren.
Wie sieht denn die Gesamtbilanz der geleisteten Stunden aus? Wie viele zusätzliche Stunden
bleiben unterm Strich?
Es ist ärgerlich, dass die Gesamtbilanz bisher nicht ausgewiesen wird. Das Controlling lässt
diesbezüglich wirklich zu wünschen übrig. Wir brauchen künftig unbedingt mehr Kennzahlen.
Das ist wichtig, damit beide Vertragspartner künftig die Einhaltung des Vertrags überprüfen
können.
Der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser sagt seit Monaten, dass die Stadt mehr
Leistungen bezieht, als sie bezahlt. Er verlangt Nachzahlungen oder die Vertragsanpassung.
Leistungen bezieht, als sie bezahlt. Er verlangt Nachzahlungen oder die Vertragsanpassung.
Diese Ansicht kann ich so nicht teilen. Der Vertrag ist erst ein Jahr in Kraft und wird darum
sicher nicht heute und morgen wieder neu verhandelt. Bei den geleisteten Stunden gibt es eine
Unschärfe. Ob 65000, 71000 oder 78000 Stunden anfallen, ist letztlich nicht relevant. Solche
Schwankungen gab es immer und wird es immer geben. Erst das langjährige Mittel ist
aussagekräftig. Wir brauchen also Erfahrungswerte über mehrere Jahre hinweg, um beurteilen
zu können, ob der Vertrag beidseitig eingehalten wird oder angepasst werden muss.
Wenn die städtische Volksinitiative der FDP angenommen wird, muss der Vertrag aber schon
bald angepasst werden.
Die Volksinitiative, die auf dem Tisch liegt und vom Gemeinderat zur Ablehnung empfohlen
wird, verlangt nicht 65000, sondern 110000 Stunden uniformierte Patrouillenpräsenz der
Kantonspolizei in der Stadt Bern. Wenn das Volk einen solchen Sprung wollte, wäre in der Tat
klar, dass man den Vertrag neu verhandeln müsste.
Drängt sich eine Aufstockung der Polizei nicht auf? Schliesslich ist der Bestand in der Stadt
Bern seit 25 Jahren unverändert geblieben.
Der Gemeinderat hat beschlossen, einen Gegenvorschlag zur Initiative auszuarbeiten. Für die
Regierung ist dabei klar, dass man Sicherheit umfassend verstehen muss. Es ist sicherlich
sinnvoller, in gewissen Bereichen Mitarbeitende von Pinto oder unbewaffnete Polizisten
patrouillieren zu lassen, als immer gleich bewaffnete, voll ausgebildete Polizisten auf die
Strasse zu schicken. Da braucht es kreativere Ansätze.
Ansätze wie jene ihres Vorgängers? Der wollte ein sogenanntes Community-Policing einführen,
bei dem Freiwillige die Polizei unterstützen.
Für den Gemeinderat ist klar, dass das staatliche Gewaltmonopol nicht ausgehöhlt werden darf.
Miliz- oder Bürgerpolizisten, Bürgerwehren oder freiwillige Bürgerpatrouillen lehnt er strikte ab.
Sicherheit ist und bleibt eine staatliche Kernaufgabe.
Dann geht es also in Richtung «Bobby-Prinzip». Wollen Sie als Gemeinderat umsetzen, was sie
als Stadtrat nicht umsetzen konnten?
Der Bobby, den man aus Grossbritannien kennt, entspricht tatsächlich meinem Idealbild eines
bürgernahen Polizisten. Ausgerüstet mit Schlagstock zur Selbstverteidigung aber ansonsten
unbewaffnet, leistet er gut sichtbaren und präsenten Patrouillendienst. Berner Bobbys könnten
einen wichtigen Beitrag für ein gutes Sicherheitsgefühl in der Stadt Bern leisten. Der Ortspolizist
in dieser Form hat meines Erachtens Zukunft . . .
. . . eine Ortspolizei? Nachdem sich das Stimmvolk eben erst für die Einheitspolizei und damit
die Sicherheit aus einer Hand ausgesprochen hat?
Die Stadt bleibt trotz der Einheitspolizei für die Sicherheit verantwortlich. Im Bereich der
sicherheitspolizeilichen Präventionsarbeit, die in der Regel als Patrouille erscheint, besteht
deshalb eine parallele Zuständigkeit der Gemeinden und des Kantons.
Aber wie liesse sich diese Bobby-Ortspolizei überhaupt finanzieren? Über den Synergiegewinn
aus der Polizeifusion, den der Gemeinderat bisher nicht in die Sicherheit investieren wollte?
Die Annahme der FDP-Initiative würde die Stadt 5,6 Millionen Franken kosten. Der
Gegenvorschlag des Gemeinderats wird sicherlich günstiger sein. Aber es ist klar, dass
zumindest ein Teil der 3 Millionen Franken aus dem Synergiegewinn nicht mehr in die
Stadtkasse fliessen, sondern in die Sicherheit reinvestiert würde.
Stadtkasse fliessen, sondern in die Sicherheit reinvestiert würde.
Mit 3 Millionen Franken liessen sich rund 20 Bobbys finanzieren.
Dazu äussere ich mich nicht. Ich kann nur sagen, dass ich mich in der Vergangenheit immer für
die Reinvestition des Synergiegewinns in Frontstellen ausgesprochen habe. Heute bin ich
zuversichtlich, dass das in der einen oder anderen Form auch geschieht. Die politische
Stimmung lässt jedenfalls hoffen.
Das heisst?
Gemäss Städtevergleich haben wir in der Stadt Bern ja eine sehr gute Sicherheitslage. Das
subjektive Sicherheitsgefühl vieler Einwohner ist jedoch ein anderes. Und das muss man ernst
nehmen. Schliesslich hängt meine Lebensqualität in grossem Masse davon ab, ob ich mich in
meinem Wohnumfeld sicher fühle und mich frei bewegen kann. Diese Erkenntnis hat sich in den
vergangenen Monaten auch im linken politischen Lager der Stadt Bern durchgesetzt – sowohl in
der Exekutive als auch in der Legislative. Eine Mehrheit scheint der Ansicht zu sein, dass wir in
Bern mehr Polizeipräsenz brauchen.
Die Stadtberner zahlen schon heute vergleichsweise viel für ihre Sicherheit. Glauben Sie
tatsächlich, dass sie nun noch eine Ortspolizei finanzieren wollen?
Bernerinnen und Berner zahlen tatsächlich viel. Viel zu viel. Wer in der Stadt Bern wohnt, zahlt
jährlich 231 Franken an die Sicherheit. Die Einwohner von Biel zahlen lediglich 187 Franken und
jene von Thun sogar nur 88 Franken. Diese Kosten müssen im Rahmen der Lastanausgleichs-
Verhandlungen unbedingt neu verteilt werden. Klar kostet die Sicherheit in der Bundesstadt
etwas mehr als in anderen Städten des Kantons. Aber längst nicht alle Kosten sind
hausgemacht. Denken Sie nur an all die nationalen Kundgebungen, die bei uns stattfinden.
Stichwort Kundgebungen: Seit dem Anti-SVP-Protest vom 6. Oktober 2007 scheint es, als
würde jede Demonstration von einem polizeilichen Grossaufgebot begleitet.
Das kann ich so nicht bestätigen. Ich verfolge sicher nicht den Grundsatz, dass jede
Kundgebung von einem polizeilichen Grossaufgebot begleitet werden soll. Vielmehr orientieren
wir uns wie eh und je an der Verhältnismässigkeit. Jeder Anlass wird im Vorfeld eingeschätzt,
und entsprechend dieser Analyse wird das Einsatzdispositiv gewählt. Das ist in meiner bald
dreimonatigen Amtszeit gut gelungen. Sogar der eigentliche Demo-Januar ist weitestgehend
ohne Sachschäden über die Bühne gegangen. Nur eines stört mich rückblickend: dass im
Zusammenhang mit der Pnos-Demonstration erst Rechtsextreme und dann noch
Linksautonome durch die Stadt marschieren konnten.
Sachschäden gab es im Umfeld von Sportveranstaltungen. Clubs wie YB und SCB verursachen
jährlich Sicherheitskosten von 2 Millionen Franken. Sie selber bezahlen nur 120000 Franken,
den Rest die Steuerzahler.
Diese Beiträge wurden im vergangenen Jahr zwischen den Vereinen und der Stadt
ausgehandelt und werden in nächster Zeit nicht neu verhandelt. YB und SCB sind Botschafter
Berns, die ganz wichtig sind für unser Image als Sportstadt. Wenn YB keine guten Stürmerstars
mehr verpflichten kann, hat auch die Stadt Bern verloren. Die Stadt hat daher kein Interesse, in
Konfrontation mit diesen Vereinen zu treten.
Aber auch Partner haben Pflichten. Das Bundesgericht hat jüngst entschieden, dass
Sportvereine in der Pflicht sind, wenn es um die Sicherheitskosten geht.
Das Urteil des Bundesgerichts postuliert, dass 60 bis 80 Prozent der Sicherheitskosten den
Sportveranstaltern überwälzt werden können. Das erhöht mindestens den moralischen Druck
Sportveranstaltern überwälzt werden können. Das erhöht mindestens den moralischen Druck
auf die Vereine, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Problem nachhaltig in den Griff zu
bekommen.
Bern stellt nicht 60 oder 80 Prozent in Rechnung, sondern weniger als 10 Prozent.
Wir sind jedenfalls weit darunter. Aber noch einmal: Das Verständnis bei den
Sportveranstaltern, dass sie im Sicherheitsbereich selber aktiv werden müssen, ist in den letzten
Jahren stark gewachsen. Im und ums Stadion sind nun weitere bauliche Massnahmen zur
Fantrennung geplant. Das wird die Situation wahrscheinlich entschärfen und den Effekt haben,
dass wir weniger Polizei brauchen, um die Gruppen zu trennen. Und noch eins ist mir in diesem
Zusammenhang wichtig: Im Jahr 2005 stand die Polizei bei Spielen von SCB und YB 26000
Stunden im Einsatz, 2008 «nur» noch 22 000 Stunden. Ich hoffe, dass die Zahl mit den
getroffenen Massnahmen weiter sinkt.
Könnte auch Videoüberwachung das Problem entschärfen helfen?
St. Gallen hat vor Kurzem eine Anlage in Betrieb genommen. Das wird man auch in Bern prüfen
müssen. Der Kanton hat kürzlich die gesetzlichen Grundlagen für die Videoüberwachung des
öffentlichen Raums geschaffen. Was im Moment noch fehlt, ist die entsprechende Verordnung.
Die sollte im Sommer vorliegen. Danach kann die Stadt über das weitere Vorgehen für die
Installation von Videokameras befinden.
Sie wollen das Projekt forcieren?
Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist ein äusserst heikles Unterfangen. Sie ist
datenschützerisch delikat und ausserdem nicht ganz billig zu haben. St. Gallen hat für seine
rund 40 Kameras 2,5 Millionen Franken investiert. So ein Projekt muss darum demokratisch
sehr breit abgestützt sein, möglicherweise sogar über einen Volksentscheid. In St. Gallen wurde
die Einführung der Videoüberwachung grossmehrheitlich angenommen. Wie die Bernerinnen
und Berner dazu stehen, wird sich wohl schon bald zeigen.
«Der Bobby, den man aus Grossbritannien kennt, entspricht meinem Idealbild eines
bürgernahen Polizisten.»
«Stadtbernerinnen und -berner zahlen viel zu viel an die Sicherheit. Diese Kosten müssen neu
verteilt werden.»
«Videoüberwachung ist ein sehr heikles Unterfangen. So ein Projekt muss demokratisch breit
abgestützt sein, möglicherweise sogar über einen Volksentscheid.»
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