Immer wieder wird Langenthal mit Rechtsextremen in Verbindung gebracht. Zu Unrecht, klagen die Bewohner. Ein lokaler Minarettstreit wird zum Testfall.
Von Jean-Martin Büttner, Langenthal
«Sehr ruhig», sagt sie, «sehr anständig.» Paula Schaub sitzt in einem Café in der Altstadt von Langenthal. Die Fassaden schauen verlässlich, Sonnenlicht spielt in den Bäumen, Menschen flanieren durch die Strassen, ein geschrubbter Friede herrscht an diesem schläfrigen Nachmittag in der Kleinstadt am äussersten Ende des Kantons Bern mit ihren 15 000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Sehr ruhig ist es hier, sehr anständig.
Damit meint die EVP-Politikerin nicht Langenthal, wo sie am Sonntag zur Stadtpräsidentin gewählt werden will. Sondern sie meint den rechtsextremen Parlamentarier von Langenthal, dessen Wirkungslosigkeit sich umgekehrt proportional zu seiner Berühmtheit verhält: Tobias Hirschi, Strassenbauer von Beruf und Mitglied der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos). Seit seiner Wahl vor zwei Jahren war der damals 20-Jährige meistens still, obwohl er im Parlament mehr Vorstösse einbrachte als jeder andere. Um diesen Hirschi, der für eine Stellungnahme partout nicht zu erreichen ist, werde ohnehin genug Lärm gemacht, findet man in Langenthal. Die Leute hier wollen normal sein, nicht extrem. Langenthal verkörpert den Schweizer Durchschnitt dermassen mustergültig, dass die Stadt von Marktforschern in den 1980ern als Testmarkt für neue Produkte benutzt wurde.
Plötzlich sind sie da
Ist die Pnos auch so ein Produkt? Die Partei formierte sich vor fünf Jahren aus einer Gruppe von Skinheads, die in Langenthal und Umgebung in den 80er-Jahren aufgefallen waren. Einwohner wurden bedroht, Asyl Suchende zusammengeschlagen, Saubannerzüge abgehalten, das alternative Kulturzentrum wurde demoliert. Noch am vorletzten Wochenende musste die Berner Kantonspolizei ausrücken, um Besucher eines illegalen Konzertes zu kontrollieren, das von Rechtsextremen der Region organisiert worden war.
Im Alltag und auch in der Schule sei die rechte Szene nicht präsent, sagt Dominik Lüdi, ein Arzt, der sich für die lokale Kultur engagiert. Allerdings tauchten die Skins unvermittelt auf, zum Beispiel während der Fasnacht, und das könne dann sehr unangenehm werden. Linke in der Region kritisieren, dass sich vor allem die bürgerlichen Parteien zu wenig energisch gegen die extreme Rechte engagieren. Die protestieren und sagen, man wolle mit solchen Leuten nichts zu tun haben, die meisten kämen sowieso von auswärts.
Beobachtern zufolge operieren hier nicht mehr Rechtsextreme als in anderen ländlichen Zentren des Mittellandes, bloss sind sie hier aktiver. Dabei verfolge die Pnos eine doppelte Strategie, sagt Hans Stutz, Experte für Rechtsextremismus in der Schweiz: «Mal tritt sie mit Kampfstiefeln auf, mal in geglänzten Sonntagsschuhen.» Letzteres noch mit geringem Erfolg. Stadtparlamentarier Tobias Hirschi erhielt vor zwei Jahren 36 unveränderte Listenstimmen, profitierte von knapp 150 Panaschierstimmen der SVP und kam insgesamt auf 415 Stimmen bei 9000 Wahlberechtigten; viel ist das nicht. Hirschis Erfolg gründe mehr in der sehr tiefen Stimmbeteiligung als im eigenen Auftritt, glaubt Hans Stutz, die anderen Parteien hätten ihre Leute nicht mobilisieren können.
Ein Türmchen am Stadtrand
Die laufende Stadtpräsidentenwahl zeigt warum: Obwohl sich neben Paula Schaub von der EVP ein Kandidat der SP und der SVP um das Amt streiten, findet praktisch kein Wahlkampf statt. Selbst beim derzeit heikelsten Konflikt dominiert die Einheitsmeinung, nämlich beim eskalierenden Streit um ein Minarett. Dabei stammt das Baugesuch von einem Mann, der über Langenthal nur Gutes zu berichten weiss. Mutalip Karaademi ist gebürtiger Mazedonier, spricht sieben Sprachen, lebt seit bald zwei Dutzend Jahren hier und fühlt sich mehr zu Hause als in seiner Heimat. Die Leute seien sehr freundlich, sagt er. Als Ausländer habe er keinerlei schlechten Erfahrungen gemacht, er fühle sich integriert und akzeptiert.
Der 51-Jährige leitet seit 15 Jahren das islamische Zentrum von Langenthal. Es wird vornehmlich von Albanern genutzt und steht in einem schmucklosen Quartier am Stadtrand neben einer Industrieanlage. Gerne hätte man das Haus mit einem sechs Meter hohen Minarett geschmückt, ohne Lautsprecher und Muezzin selbstverständlich, mehr als sichtbares Zeichen des islamischen Glaubens. Seither sieht sich Karaademi einem wachsenden Widerstand gegenüber, der ihn ebenso überrascht wie verletzt. Evangelikale Kreise sammelten in der Gegend Unterschriften für eine Petition, sie warnen vor einer Islamisierung Europas. Obwohl nur 6 Prozent der knapp 3500 Petitionäre in Langenthal wohnen, wächst sich der Konflikt zur lokalen Polemik aus. Inzwischen wird das Baugesuch mit 77 Einsprachen bekämpft. Darunter auch von der Pnos, die auf Flugblättern mit turmhohen Minaretten gegen das Türmchen am Langenthaler Stadtrand polemisiert.
Das alles passe nicht zur Geschichte seiner Stadt, sagt Simon Kuert, Pfarrer und langjähriger Stadtschreiber von Langenthal. Hier habe die Trennung von Kirche und Staat eine lange und entschiedene Tradition. Abweichende Überzeugungen seien stets toleriert worden, auch in Glaubensfragen. Das sei mit ein Grund, warum sich die Freikirchen hier dermassen hätten entfalten können. Dieselben Kreise möchten jetzt die religiöse Freiheit, der sie ihre Existenz verdanken, für andere eingeschränkt haben. Toleranz sei hier fehl am Platz.
Mutalip Karaademi kann das nicht verstehen. Gegen den neuen Sikh-Tempel im Ort habe kaum jemand protestiert, sagt er, von Bauten der lokalen Freikirchen ganz zu schweigen. Trotz solcher offensichtlicher Widersprüche kann der Gesuchsteller nicht auf die Politik hoffen. Zwei der drei Kandidaten fürs Stadtpräsidium stehen den Freikirchen nahe, Schaub von der EVP und der SP-Vertreter. Und auch der dritte, Favorit Thomas Rufener von der SVP, mag sich nicht für die Religionsfreiheit engagieren. Stattdessen will er dem islamischen Zentrum «nahe legen», wie er es formuliert, das Baugesuch doch zurückzuziehen. Die Toleranz in Langenthal scheint dann am grössten, wenn sie nicht geprüft wird.
Die Freikirchen nutzen die Toleranz. Für die Muslime aber soll sie beschränkt werden.