Fast kein Monat vergeht, in dem in der Ostschweiz nicht irgendwo ein internationales Skinhead-Treffen stattfindet. Die Rechtsextremen-Szene nutzt das geografisch ideal gelegene Dreiländereck regelmässig für ihre zweifelhaften Aktivitäten. Die Behörden scheinen gegenüber den gut organisierten Gruppen machtlos.
St. Gallen. Gemeindeammann Beda Balmer ist die Sache sichtlich peinlich. Dass seine Gemeinde Müllheim (TG) wegen eines internationalen Neonazi-Treffens innert kurzer Zeit erneut in die überregionalen Schlagzeilen geraten ist, passt dem Gemeindevater überhaupt nicht ins Konzept: «Das ist das Letzte, was wir brauchen.» In den nächsten Tagen will der Gemeinderat mit dem Landwirt, der am Wochenende im Weiler Langenhard seine Scheune 200 Skinheads aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich und England für ein Konzert zur Verfügung gestellt hat, das Gespräch suchen. Rechtlich sei der Gemeinde die Hände gebunden, weil es sich um einen «privaten Anlass» gehandelt habe. Die internationale Rechtsextremen-Szene nutzt das geografisch ideal gelegene Dreiländereck Deutschland-Österreich-Schweiz immer wieder für ihre zweifelhaften Aktivitäten und Treffs. Allein in diesem Jahr fanden auf Schweizer Seite in Mels (SG), Heiden (AR) und Müllheim (TG) bereits drei solcher Treffen statt. Aber auch im benachbarten österreichischen Bundesland Vorarlberg gibt es eine aktive rechtsextreme Szene. Im letzten August nahmen dort 250 Rechtsextreme an einem Rockkonzert teil. Und der «Liederabend», der Ende März in Heiden durchgeführt wurde, hätte ursprünglich in einem Vorarlberger Lokal stattfinden sollen. Als der Wirt mit der Veranstaltung dann nicht einverstanden war, fanden die Organisatoren im Appenzellerland ein Ersatzlokal.
Gut organisierte Skins
Vorarlbergs Sicherheitsdirektor Elmar Marent glaubt nicht an ein Anwachsen der rechtsextremen Szene. «Die Szene ist stabil, die Entwicklung nicht besorgniserregend», erklärte er Ende April dem «St. Galler Tagblatt». Dennoch behalten die Vorarlberger Behörden die Neonazis im Auge. «Es besteht wegen der geografischen Lage tatsächlich die Gefahr, dass das Dreiländereck zur Drehscheibe rechtsextremistischer Umtriebe werden könnte», warnt Marent. Wann immer die Skinheads ein grösseres Treffen organisieren und dabei realisieren, dass sie auf lokalen Widerstand stossen, sind sie in der Lage, innerhalb kurzer Zeit einen anderen Standort aufzusuchen. Nach Erkenntnissen der Thurgauer Kantonspolizei hätte das Treffen vom letzten Samstag in Müllheim ursprünglich in der Innerschweiz stattfinden sollen.
Kommunikation per SMS
Der Kreis der schriftlich Eingeladenen ist nach Angaben von Szenenkennern immer ausgesprochen klein. Die Auserwählten laden Leute aus ihrem eigenen Umfeld ein, bürgen für sie und lotsen sie an einen Treffpunkt, der nicht mit dem Veranstaltungsort identisch sein muss. Nach Auskunft von Jürg Bühler, stellvertretender Leiter des Dienstes für Analysen und Prävention im Bundesamt für Polizei (BAP), sind die Skinheads in der Zwischenzeit dazu übergegangen, für ihre Veranstaltungen gleich mehrere Säle zu reservieren. Per SMS und mobilen Telefonen würden die wartenden Neonazis dann an den Ort gelotst, wo das Treffen dann effektiv auch durchgeführt wird. Die Polizei hat bei diesem Katz-und-Maus-Spiel in der Regel das Nachsehen.
Öffentlichkeit meiden
Neonazis meiden für ihre Veranstaltungen, wenn immer möglich, das Licht der Öffentlichkeit. Sie sind streng darauf bedacht, der Polizei keine Angriffsfläche zu bieten. Für Rolf Müller, Sprecher der Thurgauer Kantonspolizei, hätten die Skinheads in Müllheim nicht gegen die Rassismus-Strafnorm verstossen. Um den rechtlichen Spielraum wüssten diese Kreise sehr gut Bescheid. Im Gegensatz zu früher, wo es immer wieder zu Randale gekommen ist, fordern die Organisatoren die Teilnehmer heute auf, gesittet, ohne Fahnen, Waffen und Alkohol anzureisen. Via Internet wird nur noch selten zu diesen Konzerttreffs eingeladen. Diese «geschlossenen Veranstaltungen» mit Eintrittskontrolle des Organisators werden dadurch für die Polizei schwerer kontrollierbar. «Qualifizierte Hinweise auf Störung der öffentlichen Sicherheit sind seltener geworden», erklärt BAP-Sprecher Bühler. Er spricht von einer gut und verdeckt organisierten rechtsextremen Szene, die kurzfristig reagieren könne, wenn ihr irgendwo ein Konzertlokal verweigert worden sei.
Ende mit dem «Gschtürm»?
Dank nationaler und internationaler Zusammenarbeit erhalte die Polizei aber in der Regel ein bis zwei Wochen vor einem solchen Treffen Kenntnis und könne ein entsprechendes Dispositiv vorbereiten. Bundespolizei und kantonale Polizeikorps beobachten die rechtsextreme Szene seit Jahren. Eine Arbeitsgruppe prüft zurzeit Möglichkeiten, wie Veranstaltungen wie jene in Müllheim in Zukunft verhindert werden können. Doch vielleicht verschwinden solche Nazitreffen bald einmal ganz. Denn je mehr davon gesprochen wird, desto schwieriger wird es für die Organisatoren, geeignete Räume zu finden. Die Bauersfrau aus Müllheim jedenfalls, in deren Scheune sich die Glatzköpfigen am Samstag getroffen haben, will mit «dem ganzen Gschtürm» endgültig nichts mehr zu tun haben.
Von Markus Rohner