Viele junge Rechtsextreme ändern ihre Einstellung nicht, wenn sie die Szene verlassen
TIMM EUGSTER
Eine Basler Studie hat erstmals untersucht, warum rechtsextreme Jugendliche aussteigen. Fazit: Meist liegt es am unbefriedigenden Szene-Alltag, ein Gesinnungswandel findet selten statt.
Ein rechtsextremer Jugendlicher muss noch lange keinen Glatzkopf haben und Springerstiefel tragen. «Von diesem Klischee müssen wir uns verabschieden», sagt der Basler Soziologieprofessor Ueli Mäder, der gestern mit dem Erziehungswissenschaftler Wassilis Kassis eine neue Nationalfonds-Studie über die Ausstiegsmotivation rechtsextremer Jugendlicher vorlegte. Auf einen Flyer der Forscherinnen Nina Studer, Corinne Sieber und Saskia Bollin haben sich sehr verschiedene Jugendliche gemeldet, die sich alle als rechtsextrem verstehen. Darunter solche, die ihre Gesinnung vor allem durch Musik oder sogar Esoterik ausdrücken.
Vier Gruppen. Aufgrund der Interviews mit 40 Rechtsextremen unterscheidet die Studie vier Gruppen: Erstens lose Zusammenschlüsse aus 12- bis 18-jährigen Jungen und Mädchen, die sich etwa an Bahnhöfen aufhalten, zweitens stärker politisierte und hierarchisch organisierte patriotisch-nationalistische Grossgruppen, drittens kleine, in sich geschlossene Jugendgruppen, und schliesslich Kameradschaften aus über 20-jährigen Männern mit extremen Einstellungen und oft psychischen Problemen. Mitglieder von Kameradschaften vertreten auch am stärksten sogenannte «Ungleichwertigkeitsvorstellungen», die das wesentliche Merkmal rechtsextremen Denkens sind. Diese äussern sich etwa darin, dass die Aussage «Wer gegen Asylbewerber gewalttätig wird, muss ebenso streng bestraft werden wie jemand, der gegen Schweizer gewalttätig wird» abgelehnt wird.
Die Mehrheit der «Ausgestiegenen» behält solche Einstellungen auch nach einem Austritt aus der Gruppe. «Die Gesellschaft ist vorschnell zufrieden, wenn jemand äusserlich nicht mehr auffällt», kritisiert Kassis.
Überraschend ist dieser Befund nicht, wenn man die hauptsächlichen Ausstiegsmotive betrachtet: Die wichtigsten Gründe sind emotional unbefriedigende Beziehungen, rigide Strukturen und Konflikte innerhalb der Gruppe sowie das als monoton und stressig empfundene Gruppenleben. So betonen Aussteiger, die Kameraden seien keine Freunde gewesen. Emotional befriedigendere Beziehungen mit Aussenstehenden hingegen können einen Ausstieg sehr fördern. Finden sie mit «Feindgruppierungen» wie Ausländern statt, können sie sogar die rechtsextremen Denkmuster ins Wanken bringen. Bei den stärker politisierten Gruppen gibt oft ein «Burn-out» den Ausschlag: Der hohe persönliche Einsatz gerade der Führer steht in einem immer grösseren Missverhältnis zum Ergebnis. Die politischen Ziele lassen sich in der Isolation nicht umsetzen, und Gewalt gegen Ausländer oder Linke wird als immer sinnloser angesehen, da lokale Auseinandersetzungen so nicht zu stoppen sind.
Begünstigend für einen Ausstieg wirkt der Übergang ins Erwachsenenalter, der oft mit einer Hinwendung zum Privaten und neuen Interessen einhergeht. Zentral für einen Ausstieg sind tragfähige Beziehungen zu Gleichaltrigen von aussen. Zu einer «Mässigung» beim Outfit und bei radikalen Äusserungen trägt zudem der Wunsch bei, beruflich vorwärts- zukommen. Der Einfluss der Familie dagegen ist gering. Meist beziehen weder Eltern noch Chefs inhaltlich Gegenposition zur rechtsextremen Ideologie. Gerade weil viele Gruppen nicht sehr ideologisch geprägt seien, finde nach einem Ausstieg keine genügende Auseinandersetzung und Abwendung von rechtsextremen Werten statt, sagt Kassis: «Es wird einfach als Lebensphase abgetan.»