«Wir probieren eine neue Strategie»

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«Wir probieren eine neue Strategie»

Antifa-Wochenende mit 3000 Teilnehmenden – Ausdruck eines neuen Aufbruchs und Ausbruch aus Selbstisolation

Welch Kontrast zum Debakel vom April, als der «7. Antifa-Abendspaziergang» in Gewalt unterging: Polizeilich bewilligt und gewaltfrei sind gestern 750 Antifas durch Bern marschiert – nicht auch nur eine Sprayerei gab es zu beklagen, Polizei war weit und breit keine zu sehen. Geordnet war auch das Antifa-Festival mit 3000 Gästen und amtlich genehmigter Zeltstadt.

rudolf Gafner

Beklemmend, diese Bilder – ganz still ists auf einmal in der I-fluss-Bar der Reitschule, wo am Samstag im Antifa-Workshop «Strategien gegen Rechts» eine TV-Recherche des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) über die «aufrüstende radikale Rechte» gezeigt wird. Es ist die schiere Dimension rechter Gewalt, die selbst abgebrühte Punks, die da im «I-fluss» eben noch mit Stinkefinger-Gesten und «Faschos wir kriegen euch alle»-Sprüchen die Obercoolen gaben, nachdenklich verstummen lässt. Sind doch, wie sie durch den Film erfahren, in den 15 Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung in der Bundesrepublik annähernd 100 Menschen von Rechtsextremisten ums Leben gebracht worden. Hundert Tote im nördlichen Nachbarland seit 1990, die Zahl fährt dem Schweizer Publikum übel ein – zumal auch in der Schweiz «Qualität und Anzahl von rechtsextremen Übergriffen ein erschreckendes Ausmass erreichen», wie Antifa-Aktivisten hinzufügen.

Reichlich Punk, aber kein Stunk

Gegen «ekelhaften und absolut menschenfeindlichen» Rechtsradikalismus, dessen Schweizer Gefolgschaft sich innert sechs Jahren mehr als verdoppelt habe, brauche es entschlossene Gegenwehr. Deshalb das Treffen in Bern, denn Ziel sei, regional wie überregional Antifa-Strukturen zu vernetzen. Und in der Tat sind Jugendliche aus nahezu allen Landesteilen am dreitägigen «Antifascist Festival» anzutreffen, ferner Gäste aus dem Ausland, so vorab Deutsche und Franzosen, doch selbst aus Polen sollen einige gekommen sein. Politgruppen und Szene-Clubs werben mit Infoständen, die «Skins gegen Nazis» etwa.

Vor allem aber geht auf der Bühne in der Grossen Halle der Reitschule lautstark die Post ab: Zwei Nächte lang Punk und Party, dazu Speis von einer autonomen «Volxküche» und Trank von Bars. Und ja, gebechert wird wacker, viele 16- bis 20-Jährige, dem Alkohol zugetan, tummeln sich. Trotzdem und trotz der aufpeitschenden Musik gibt es keine Zwischenfälle zu beklagen: Die Ordner der Antifa-eigenen Security, die mit ihren Walkie-Talkies samt Knöpfen im Ohr recht professionell wirken, müssen keine Streitereien schlichten und auch keine Bierleichen auflesen – und als doch einmal ein Rettungswagen gerufen werden muss, ists wegen eines epileptischen Anfalls. Auch im nahen Hirschenpark, wo Festivalvolk in einer behördlich bewilligten Zeltstadt kampiert, bleibt alles ruhig, wie OK und Stadtpolizei auf Anfrage bestätigen. Total zählt das Antifa-Festival 3000 bezahlte Eintritte – 500 mehr, als das OK erwartet hatte.

Erstmals seit fünf Jahren bewilligt

Laut Stadtpolizei 750 Antifas, 50 weniger als erwartet, marschieren sodann trotz prasselndem Regen am Sonntagnachmittag zum Abschluss des Festivals durch Berns Innenstadt. Auch für den «Antirassistischen Sonntagsspaziergang» wurde bei der Polizei eine Bewilligung eingeholt – es ist mithin die erste Berner Antifa-Demonstration seit dem Jahr 2000, die bewilligt und nach vorgängigem Einvernehmen im Dialog mit der Polizei stattfindet. Angeführt von einem Block schwarz gekleideter Vermummter, die wiederholt Knallpetarden abfeuern und bisweilen recht aggressive Parolen skandieren – in denen etwa «Feuer und Flamme für Ausschaffungsknäste» verlangt wird -, mutet der Aufmarsch sehr militant und für viele Passanten erkennbar nicht gerade vertrauenerweckend an. Und doch verläuft die Demonstration ohne den geringsten Vorfall, nicht auch nur eine Sprayerei, ja nicht einmal eine Kreidekritzelei ist zu sehen. Dass nicht so heiss gegessen wird wie gekocht, illustriert auch eine Szene beim Bärenplatz: Da wird eine Solidaritätsadresse von Marco Camenisch verlesen, in der Schweiz bekannt geworden als «Ökoterrorist», in ultralinken Kreisen verehrt als «politischer Gefangener». «Marco libero!» rufen die Vermummten grimmig, feiern den – immerhin wegen Mordes an einem Grenzwächter zu Zuchthaus verurteilten – Camenisch als «Sozialrevolutionär» wider das verhasste «System». Und siehe, keine zehn Meter vom schwarzen Block weg stehen Berns bürgerliche Polizeidirektorin Barbara Hayoz und Polizeikommandant Jörg Gabi, mithin Repräsentanten dieses «Systems».

Barbara Hayoz beim harten Kern

Ganz entspannt schauen Hayoz und Gabi interessiert dem Treiben zu; niemand pöbelt sie an, pfeift sie auch nur aus – obwohl die beiden völlig ungeschützt sind, denn Polizei ist weit und breit keine in Sicht. Sie hält sich unsichtbar im Hintergrund. Ein Antifa-Ordner kommentiert die Zurückhaltung mit Genugtuung; schon am Festival habe die Polizei «nicht provoziert», seien doch nie Patrouillen an der Reitschule vorbeigefahren.

Augenscheinlich gut besucht ist auch der dritte Schauplatz des Berner Antifa-Wochenendes, die Themenausstellung «Brennpunkt Faschismus» in der Galerie des Kornhauses. Mit dieser von einem nicht näher bekannten «Ausstellungskollektiv» aufwändig erarbeiteten Ausstellung spricht Berns Antifa-Bewegung erstmals direkt die breite Öffentlichkeit an – wohlweisslich findet dieser Publikumsanlass, der noch bis Ende Monat dauert, sozusagen an einem neutralem Ort und nicht etwa in der Reitschule statt.

«Barricada Paris» lieferte die Idee

Die Minne dieses Wochenendes steht in krassem Kontrast zum letzten Berner Antifa-Termin, dem in einer wüsten Strassenschlacht untergegangenen Abendspaziergang vom 1. April: Kompromisslos ging das «Bündnis Alle gegen Rechts» (BAgR) damals aufs Ganze, zog die harte Linie mit Dialog- und Bewilligungsboykott durch und beharrte dabei unversöhnlich auf Maximalpositionen wie der Forderung nach unbewilligtem Umzug durch das Stadtzentrum. Diese Konfrontationslogik geriet aber zum Eigentor, das BAgR stand auch szeneintern unter Druck – nachdem im Februar schon der Auftritt eines vermummten Schlägerkommandos bei der Reitschule Kritik ausgelöst hatte. Solcherart in Glaubwürdigkeitskrise und selbst verschuldete Isolation geraten, suchten die Antifa-Köpfe offensichtlich einen Befreiungsschlag, wofür sie plötzlich bereit waren, auf Dialog mit der Polizei und Bewilligung einzutreten.

«Wir probieren eine neue Strategie aus», bestätigt ein BAgR-Insider im Gespräch mit dem «Bund». Der 27-Jährige, dessen Identität der Redaktion bekannt ist, der aber ungenannt bleiben will, sagt, dass nach dem April-Debakel «die Stimmung aufgewühlt war», die Aufarbeitung deshalb erst letzthin wirklich angefangen habe. «Die interne Debatte läuft noch.» Die Idee, ein Festival zu veranstalten, sei nach Besuchen ähnlicher Anlässe im Ausland entstanden; vor allem das Barricada-Festival in Paris habe überzeugt.

Nun müde – rechtschaffen müde

Ob es ein einmaliger Anlass sei oder Berns Antifa-Festival wiederholt werde, bleibe zu diskutieren, sagt der BAgR-Mann. Einerseits sei die Bilanz sehr positiv, was für eine Wiederholung spreche – andererseits sei Berns Antifa an die Grenze dessen gekommen, was ihre Strukturen leisten könnten. Das sagt gestern an der Demonstration auch ein BAgR-Kollege, der nach zweitägigem Einsatz Journalisten erklärt, es werde kein Abschlusscommuniqué folgen – denn: «Mir möge itz eifach nümm. Mir si komplett düre.»