Burgdorfer Einzelrichter spricht sowohl rechtsgesinnten X. als auch Vater und Sohn B. des Raufhandels schuldig
Für den Burgdorfer Strafeinzelrichter Jürg Bähler steht fest, dass der 21-jährige X. die tätliche Auseinandersetzung mit der Musikerfamilie B. im April 2006 ausgelöst hat. Dennoch verurteilt er auch Vater und Sohn B. wegen Raufhandels: diese hätten «mitgemischt».
stefan von below
Eine bedingte Geldstrafe von 45 Tagessätzen à 90 Franken (total 4050 Franken) sowie 1000 Franken Busse, umgewandelt in 40 Stunden gemeinnützige Arbeit: So lautet das Urteil für den 21-jährigen Schweizer X., das der Burgdorfer Strafeinzelrichter Jürg Bähler gestern eröffnet hat. Für ihn stehe fest, dass X. der «eigentliche Aggressor» sei, der in der Nacht vom 21. auf den 22. April 2006 den Raufhandel mit der Musikerfamilie B. in der Oberstadt ausgelöst habe. X. sei «ziemlich hässig» gewesen und habe bei der «rein zufälligen Begegnung» vor dem Restaurant Aemmi als Erster den Gürtel geschwungen – nachdem er zur Verstärkung extra noch einen Kameraden geholt hatte. Die angebliche Provokation durch die Familie lasse sich nicht beweisen.
Ausserdem sieht es Bähler als erwiesen an, dass der rechtsgesinnte junge Mann während der folgenden Auseinandersetzung mehrmals den Hitlergruss gemacht und die Frau des Musikers als «linke spanische Schlampe» betitelt hat. Deshalb wurde er nicht nur wegen Raufhandels, sondern auch wegen Rassendiskriminierung (Hitlergruss) und Beschimpfung verurteilt. Er muss Frau B. 500 Franken Genugtuung bezahlen.
Notwehr hier nicht zulässig
Handkehrum kommen auch Vater und Sohn B. nicht ungeschoren davon. Der Vater habe gleich nach X. ebenfalls den Gürtel gezogen und damit auch gegen den Kameraden des jungen Mannes geschlagen, sagte Bähler. Damit habe auch er beim Raufhandel einen «Tatbeitrag geleistet». Vater B. könne sich nicht damit herausreden, in Notwehr gehandelt zu haben, weil X. zwar mit dem Gürtel herumgefuchtelt, ihn aber nicht im eigentlichen Sinn angegriffen habe. «Wenn man nicht angegriffen wird, ist man nicht notwehrberechtigt.» Selbsthilfe, so Bähler, sei «nicht in jedem Fall erlaubt, oder nur in einem gewissen Mass».
Der Sohn B. wiederum habe bei der Auseinandersetzung sogar «ziemlich mitgemischt», indem er den Kameraden von X. ins Gesicht geschlagen habe. «Das ist nicht einfach nichts.» Unter dem Strich seien daher auch Vater und Sohn B. wegen Raufhandels zu verurteilen. Der Sohn erhält eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 30 Franken (total 600 Franken) plus 800 Franken Busse, die in 32 Stunden gemeinnützige Arbeit umgewandelt werden. Der Vater wird zu einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 130 Franken (total 1950 Franken) verurteilt.
Seine Frau und der ebenfalls angeschuldigte Freund der Familie wurden dagegen freigesprochen. Letzterer habe erst eingegriffen, als die sturzbedingten Prellungen beim Kameraden von X. bereits passiert gewesen seien. Aus dem gleichen Grund spiele es auch keine Rolle, ob Frau B. mit der Hundeleine um sich geschlagen habe, wie ein Zeuge gesehen haben wollte.
Wie die Verletzung im Gesicht von Frau B. entstanden sei, lasse sich nicht mit Sicherheit sagen. Allerdings sei naheliegend, dass sie von der Wehrmachtsschnalle am Gürtel von X. getroffen worden sei, sagte Bähler. «Das war aber sicher nicht beabsichtigt.» Da es dafür auch keine genügenden Beweise gebe, könne X. nicht wegen Körperverletzung verurteilt werden.
«Das ganze Päckli anschauen»
Die Verteidiger der Familie B. und ihres Freundes hatten in ihren Plädoyers argumentiert, der Tatbestand des Raufhandels sei gar nicht erfüllt gewesen (vgl. «Bund» von gestern). Statt einer wechselseitigen Auseinandersetzung unter mindestens drei Personen habe es lediglich mehrere «Duelle» gegeben. Diese Betrachtungsweise greife jedoch zu kurz, so Bähler. «Hier muss man das ganze Päckli anschauen.» Daher seien auch Vater und Sohn B. zu verurteilen.
Ob sie das Urteil weiterziehen werden, liessen die Parteien offen. Ein Weiterzug sei jedoch «wahrscheinlich», sagte Vater B. Für ihn sei es «dicke Post», dass er und sein Sohn verurteilt worden seien. «Damit wird ein Zeichen gesetzt, dass man sich auf keinen Fall wehren soll, wenn man von Rechtsextremen angegriffen wird.»
Mit den Fahnen des Projekts «Courage» setzte der Burgdorfer Gemeinderat nach der gewalttätigen Auseinandersetzung vom April 2006 in der Schmiedengasse ein Zeichen gegen Gewalt. hansueli trachsel/archiv
Raufhandel mit politischem Nachspiel
Der Fall sorgte landesweit für Aufsehen. «Familie von Rechtsextremen angegriffen», «Familie von Jugendlichen verprügelt», «Mit Gürtel auf die Opfer eingeschlagen»: So und ähnlich lauteten nach den Vorfällen in der Nacht vom 21. auf den 22. April 2006 in der Burgdorfer Oberstadt die Schlagzeilen. Der Gemeinderat reagierte umgehend: Er organisierte eine Kundgebung gegen Gewalt, an der 500 Personen teilnahmen, liess die Fahnen des Projekts «Courage» wieder aufhängen und erliess gegen den Aggressor X. eine auf zwei Monate befristete Fernhalteverfügung, die ihm das Betreten der Oberstadt und des Wohnquartiers der betroffenen Familie verbot. Ausserdem gab der Gemeinderat dem Psychologen Allan Guggenbühl den Auftrag, die Gewaltproblematik zu analysieren und Ansätze zur Prävention zu erarbeiten. Laut Stadtpräsident Franz Haldimann (svp) werden die Resultate im Spätsommer vorliegen.
In seinem Plädoyer warf der Verteidiger von X. den Behörden vor, sie hätten aufgrund der «einseitigen Medienberichterstattung» vorschnell gehandelt und überreagiert. Sein Mandant – der rechtsextreme Musik hört und in der fraglichen Nacht einen Wehrmachtsgürtel trug – sei völlig zu Unrecht «in die braune Ecke gestellt» worden.
Haldimann weist den Vorwurf der Überreaktion «in aller Form zurück». «Was hätte man von uns gesagt, wenn wir nach all den früheren Vorfällen nicht gehandelt hätten?» Der Gemeinderat sei gezwungen gewesen, etwas zu unternehmen, und habe nichts anderes tun können. Dass sich die Wegweisungsverfügung nur gegen X., nicht aber gegen die Familie B. gerichtet habe, hänge nicht zuletzt damit zusammen, dass Vater B. in der Oberstadt gearbeitet habe. Ausserdem sei X. bereits von anderen Vorfällen ähnlicher Art her bekannt gewesen. (bwb)
KOMMENTAR
Gewaltproblem bleibt ungelöst
stefan von below
Auf den ersten Blick mag das Urteil des Strafeinzelrichters Jürg Bähler unverständlich erscheinen. Da werden Mitglieder einer Musikerfamilie auf dem Nachhauseweg in der Burgdorfer Oberstadt von jungen Männern mit Gürtel- und Fausthieben traktiert – und machen sich selber schuldig, wenn sie sich zur Wehr setzen, anstatt die andere Wange hinzuhalten.
Bei genauerer Betrachtung aber gibt es an Bählers Richterspruch nichts auszusetzen. Der erlaubten Notwehr sind zu Recht enge gesetzliche Grenzen gesetzt. Diese haben Vater und Sohn B. mit ihrem aktiven Mitwirken beim Raufhandel klar überschritten. Dass die Hauptschuld an der Auseinandersetzung bei X. und nicht bei ihnen liegt, macht der Richter mit der Abstufung der Strafen deutlich.
Ungeklärt bleibt, welche Rolle der politische Hintergrund von X. gespielt hat. Tatsache ist, dass der junge Mann zumindest Sympathien für rechtsextremes Gedankengut hegt – nur so ist zu erklären, dass er an jenem Abend einen Gürtel mit Wehrmachtsschnalle trug und mehrfach den Hitlergruss vollzog. Weitere Hinweise geben die CD der rechtsextremen Rockband Indiziert und die fragwürdigen Dokumentarfilme über den Zweiten Weltkrieg, welche die Polizei bei X. zu Hause gefunden hat.
Dass solche Leute in der Burgdorfer Oberstadt verkehren und offenbar bei Bedarf problemlos gewaltbereite Kameraden finden, die ihnen Schützenhilfe leisten, macht deutlich, dass die Emmestadt auch fünf Jahre nach der Aktion «Courage» noch ein Problem mit rechter Gewalt hat. Daran ändert auch die Feststellung des Untersuchungsrichters nichts, der vorliegende Raufhandel sei primär auf eine persönliche Fehde zwischen X. und dem Sohn der Familie B. zurückzuführen.
Insofern ist es absurd, dem Gemeinderat Überreaktion und übertriebenen Aktivismus vorzuwerfen, wie es der Verteidiger von X. getan hat. Im Gegenteil: Wenn die Stadt Burgdorf ihr Gewaltproblem in den Griff bekommen und damit auch ihr landesweites Image als Hochburg der Rechtsextremen verlieren will, müssen die Behörden in Zukunft mehr tun, als bunte Fahnen aufzuhängen und Protestkundgebungen zu organisieren. Sie müssen zumindest dafür sorgen, dass Menschen jeglicher Couleur zu jeder Tageszeit ohne Angst im öffentlichen Raum unterwegs sein können.