Keine Entwarnung im Kampf gegen Rassismus und RechtsextremismusDer Auftritt von rund 150 Skinheads bei der diesjährigen Augustfeier auf dem Rütlihat eines klar gemacht: Rechtsextremismus ist auch in der Schweiz ein Problem,die Szene wächst. Das Ereignis rüttelte die Öffentlichkeit wach und stärkteAbwehrreflexe gegen Rechts.
Howard DuboisDie Rechtsextremen hätten mit der Rütli-Aktion ihr neues Selbstbewusstseindemonstriert, erklärt der Journalist Jürg Frischknecht, ein Beobachter der Szene, aufAnfrage. Die Situation sei ähnlich wie beim «zweiten Frontenfrühling» vor zehnJahren. Dabei waren die Buh-Rufe während Bundesrat Villigers Ansprache nur eineAktion von über 100 Übergriffen der rechtsradikalen Szene, die die Bundespolizei(Bupo) dieses Jahr registrierte; das sind doppelt so viele wie im Vorjahr. Erwähntseien die Schüsse auf das «Solter-Polter»-Haus in Bern, die Skin-Ausschreitungenam Sonnenwendfest in Burgdorf oder die Schlägerei mit Ausländern in St.Gallen.Der «harte Kern» der Rechten wuchs gemäss Bupo 1997 bis 2000 von 300 aufgegen 800 Personen an. Sie sind mehrheitlich zwischen 16 und 22 Jahren alt. DieSzene ist laut Frischknecht auch sozial breiter verankert. Sie erhalte nicht mehr nuraus unteren, ländlichen Sozialschichten, sondern auch aus dem Mittelstand Zulauf -vereinzelt auch von Frauen. In den grösseren Städten sei sie allerdings nochweniger präsent.Als Gründe für das Anwachsen der rechtsradikalen Szene nennen Experten sozialeÄngste im härteren wirtschaftlichen Verteilungskampf und Überfremdungsängsteangesichts der Zuwanderung. Begünstigt werden die Rechtsextremen aus Sicht derPolitologen durch politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen – etwa denasylpolitischen Diskurs, Populismus, und die Akzeptanz von Gewalt undNeorassismus in Teilen der Bevölkerung, wie die Bupo in ihrem «Skinhead»-Berichtfesthält.Nationale OrganisationenZum neuen Selbstbewusstsein der rechten Szene gehört laut Frischknecht auch ihreAnkündigung, sich schweizweit zu organisieren und Parteien zu gründen. So will derAktivist Pascal Lobsiger alle Skingruppen unter dem Dach einer «NationalenAufbau-Organisation» vereinen. Der Berner Skinhead David Mulas rief im Frühlingeine «Nationale Partei Schweiz» ins Leben. Wie weit diese Organisationen abertatsächlich gediehen sind, ist unklar. Es gebe bei den Skins grosse Vorbehaltegegenüber Politik und Parteien, gibt Frischknecht zu bedenken.Laut dem Journalisten Hans Stutz, der die Chronologie «Rassistische Vorfälle in derSchweiz» führt, verkehren die Skinheads vorwiegend in lokalen Cliquen. Nur dieelitären «Hammerskins» und die «Blood & Honor»-Bewegung operieren landesweitund haben internationale Kontakte.Da die Zunahme rechtsextremer Gewalt auch in anderen Ländern Europas, speziellin Deutschland (siehe Kasten unten), zu beobachten ist, stellt sich die Frage nacheiner internationalen Steuerung. Laut Hans Stutz finden auf internationaler Ebenewohl Kontakte zwischen Exponenten der Szene statt, und das Internet wurde zueinem wichtigen Kommunikationsmittel der Skins ausgebaut. Doch gebe es bislangkeine institutionalisierte Zusammenarbeit und keine gemeinsamen Projekte, soStutz.Eine Ausnahme bilden die Holocaust-Leugner, gewissermassen die «intellektuelleElite» der extremen Rechten. Sie sind international gut vernetzt und organisierensogar öffentliche Kongresse. Ihre bekanntesten Schweizer Vertreter Gaston-ArmandAmaudruz und Jürgen Graf sind unterdessen zu Haftstrafen verurteilt worden.Amaudruz‘ Fall liegt beim Bundesgericht. Graf entzog sich der Strafe durch Flucht insAusland.Massnahmen der Behörden
Die rechtsextremen Aktivitäten rüttelten die Öffentlichkeit auf und riefen die Behördenauf den Plan. Bundesrätin Ruth Metzler setzte im vergangenen September eineinterdepartementale Expertengruppe zum Thema Rechtsextremismus ein. Dieeidgenössische Kommission gegen Rassismus plant eine Hotline fürRassismusopfer. In Malters LU schlossen die Behörden einen Treffpunkt derinternationalen Nazi-Szene.Die Bundespolizei liess im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus imInternet einzelne Nazi-Websites sperren. Allerdings muss sie in diesem Bereich erstdie notwendigen Strukturen aufbauen, und es bestehen rechtliche Lücken, wie dieDiskussion eines Bupo-Positionspapiers mit Internet-Providern zeigte. Aufinternationaler Ebene beschlossen die Innenminister der Alpenländer im Herbst inKonstanz eine enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung Rechtsradikaler, und diePolizeien der Schweiz und Deutschlands vereinbarten entsprechende bilateraleMassnahmen.Zeichen setzen
Wichtiger als Behörden-Massnahmen sind laut Frischknecht die Aktionen undDemonstrationen gegen rechte Gewalt, die in zahlreichen Städten stattfanden. Damitsetze man Zeichen, dass Rechtsextremismus nicht stillschweigend geduldet oderbejaht wird.Diese Entwicklung veranlasste nach Einschätzung von Stutz viele Aktivisten, auf«Tauchstation» zu gehen. Einzelne Gruppen zerfielen, Klubräume wurdengeschlossen, Internet-Auftritte abgesetzt. Entwarnung mögen die Experten aber nichtgeben. Die Szene wachse weiter.sdaDie Skinheads sind aktiver geworden: Die Bundespolizei hat in diesem Jahr über100 Übergriffe der rechtsradikalen Szene gezählt. Der «harte Kern» der Rechten istin den Jahren 1997 bis 2000 von 300 auf gegen 800 Personen angewachsen.