250 «Faschos» gegen 800 «Antifas»

STADT BERN / Spannungsgeladene Atmosphäre am Samstag in Bern: Etwa 250 mutmassliche rechte Störer traten an, um den bewilligten «Antifaschistischen Abendspaziergang» von mindestens 800 Linken und Autonomen anzugreifen – was die Polizei gekonnt verhinderte.

RUDOLF GAFNER

Mit der vorbeugenden Festnahme von 102 mutmasslichen Rechtsextremisten hat die Stadtpolizei Bern am Samstagabend eine Strassenschlacht zwischen Skinheads und Neonazis auf der einen und linksradikalen und autonomen «AntifaschistInnen» auf der andern Seite verhindert. Rund 250 rechte Militante seien mit der Absicht nach Bern gereist, die linke Demonstration anzugreifen, teilte die Polizei mit. Die bewilligte Kundgebung verlief sodann ohne Ausschreitungen: Polizei und Veranstaltern gelang es, auch Gewaltbereite, wenn nicht gar Gewaltsuchende auf linker Seite im Zaum zu halten – was angesichts des bereits im Vorfeld der Demonstration gefährlich aufgeheizten Klimas nicht selbstverständlich war, sondern eher als erstaunlich bewertet werden muss.

Ungewöhnliche Konstellation 
So kam es, dass der Marsch der «Antifa»-Linken unter Schutz von Polizeigrenadieren stattfand – ungewöhnliche Erfahrung vor allem für vermummte Anarcho-Autonome, die sonst immer vom «Bullenstaat» als Feindbild reden. Im Vorfeld des Umzugs hatte Nationalrat Bernhard Hess von den Schweizer Demokraten (SD) mit alarmierenden Behauptungen die Stimmung aufgepeitscht: Linke «Chaoten», so auch der «schwarze Block» aus Deutschland, seien im Anmarsch auf Bern, um das SD-Sekretariat – welchselbes sich im Bundeshaus-Ost befindet – «abzufackeln» und namentlich ihm sowie den Stadträten Thomas Fuchs (jsvp) und Peter Bühler (sd) Gewalt anzutun.
Die Polizei widerstand dem Bestreben Hess‘, die Demonstration zu verbieten, weil ein Verbot nicht verhältnismässig wäre – und wurde dafür belohnt, indem «Antifa» ihr Versprechen hielt, «kraftvoll, aber diszipliniert» aufzutreten. In einem Communiqué von gestern kündigt das «Antifa»-Bündnis an: «Wir machen weiter!»

Berns «Antifa» marschiert – 100 «Faschos» einkassiert

STADT BERN / Militant im Auftritt, doch gewaltlos und diszipliniert sind am Samstag mindestens 800 Linke und Autonome zum ersten Berner «Antifaschistischen Abendspaziergang» aufmarschiert. 250 rechte Militante, unter ihnen Bewaffnete, suchten direkte Konfrontation mit Linken, was von starken Polizeikräften indes rigoros verhindert wurde – 102 mutmassliche Störer wurden festgenommen.

° RUDOLF GAFNER

Der Friede blieb gewahrt. Die für Samstagabend in Bern befürchtete Prügelschlacht zwischen links-autonomen «AntifaschistInnen» auf der einen und «Neofaschisten» und «Patrioten» auf der anderen Seite ist ausgeblieben – dank der Stadtpolizei, die konsequent verhinderte, dass Rechtsextremisten überhaupt erst in die Nähe der bewilligten linken Kundgebung gelangen konnten.

Rechtsmilitante ohne Chance 
An die 250 rechte Militante, so die Polizei, dürften die Konfrontation gesucht haben – teils bewaffnet mit Baseballschlägern, Eisenketten und Tränengassprays. Am Klösterlistutz und auf dem Läuferplatz formierten sich 80 bis 100 Rechte, um in die Altstadt zu ziehen. In der Badgasse von der Polizei gestoppt, wollten sie via Marzili und Dalmazi ins Zentrum gelangen, doch wurden sie auf dem Helvetiaplatz von Polizeigrenadieren eingekesselt – allein dort wurden 60 festgenommen. Mutmassliche Störer, die es dann doch schafften, bis in Sichtweite der Kundgebung vorzustossen, so etwa am Theaterplatz, wurden von der Polizei fortwährend rigoros gestellt und, zum Teil in Handschellen gelegt, abgeführt. Insgesamt 102 mutmassliche Rechtsradikale wurden vorübergehend festgenommen, unter ihnen vor allem Zürcher und Ostschweizer, vereinzelt auch Basler und Süddeutsche sowie gut 30 aus dem Kanton Bern. Alle wurden in der Nacht noch wieder entlassen.

Alles unter Kontrolle 
Wären «Antifa» und «Faschos» aufeinandergeprallt, wüste Bilder gewalttätiger Eskalation wären so sicher gewesen wie das Amen in der Kirche – denn auch im linken Lager fehlte es nicht an gewaltbereiten, sich martialisch gebärdenden Militanten. Von den – laut Polizei 700 bis 800, laut Organisatoren 1500 – Demonstrierenden, die von der Heiliggeistkirche via Bundesplatz und Altstadt zurück zum Bahnhof marschierten, waren gut 100 bis 120 Vermummte, teils dem anarcho-autonomen «schwarzen Block» Zuzuordnende, von denen einige Holzknüppel mitführten.
Doch so brenzlig die Lage war, die Kundgebung verlief völlig ohne Ausschreitungen. Im Gegenteil sogar: Berns erster «Antifaschistischer Abendspaziergang» präsentierte sich den heiklen Umständen entsprechend bemerkenswert diszipliniert. Dies ist zum einen wiederum der Polizei zu verdanken, die eine ausgeklügelte Doppelstrategie aus Dissuasion und De-Eskalation anwandte: Einerseits stand pausenlos ein starkes Aufgebot bereit – andererseits hielten sich die Polizeigrenadiere diskret im Hintergrund, um Autonome nicht zu provozieren. Und bei einem Auge-in-Auge-Zusammentreffen mit einem Trupp Vermummter auf dem Waisenhausplatz übte sich die Polizei in geradezu stoischer Ruhe, liess sich durch Drohungen gegen «Bullensch . . .» nicht provozieren. Aber auch die Demonstrationsleitung tat das Ihrige, um potenzielle Gewalttäter in eigenen Reihen im Zaum zu halten. Immer wieder wurde über den Lautsprecher Disziplin gefordert: Keine Provokation gegen die Polizei, keine Einzelaktionen gegen allfällige Störer – «bei Angriffen von Faschos stehen bleiben und Ruhe bewahren», lautete die Parole, «vertraut auf unsere Selbstverteidigungsstrukturen, und im Notfall rufen wir wirklich die Polizei.» Vermummte, die auszuscheren drohten, wurden gleich von anderen Demonstranten, mitunter ebenfalls vermummten, gebremst – und so gelang es den Organisatoren schliesslich auch, den Marsch geordnet abzuschliessen.

Protest gegen rechte Gewalt 
Die vorab jugendlichen, ja teils blutjungen Demonstranten protestierten gegen «Nazis und Fascho-Skins», die 1999 im Bernbiet einen veritablen Aufschwung erfuhren, wie auch die Polizei feststellt: Drei Übergriffe gegen Hausbesetzer in Bern und Ostermundigen wurden der rechten Szene zugeschrieben, es gab Schlägereien gegen Punker, Langhaarige, Linke, Ausländer sowie gar einen Angriff mit Schussabgabe auf ein asiatisches Lebensmittelgeschäft in Biel. Skinheads traten massiert etwa in Münchenbuchsee und Wiedlisbach auf, in Biel, Stettlen und anderswo häuften sich NS-Schmierereien. Erstmals registrierte die Polizei 1998/99 auch in der Stadt Bern selber eine «gefestigte» rechtsextreme Szene, die sich etwa am Rand von Sportanlässen, wo sie Hooligans rekrutiert, manifestiert – beispielsweise mit üblen «Auschwitzgesängen». Auch der linke «Abendspaziergang» wurde bedroht; im Internet war gar anonym die Rede davon, dass «Hammerskins», organisierte NS-Ultras, nicht davor zurückschrecken würden, Schusswaffen einzusetzen. Landesweit zählt die politische Polizei an die 500 Skins, unter ihnen 300 Organisierte, so auch 50 «Hammerskins». Im Kanton Bern gibt es 60 Skinheads mit einem harten Kern von 20 «Politisierten» im Raum Bern, die strategisch-taktisch bewusst operieren.

Protest gegen «Blocher-Fans» 
Demonstriert wurde am Samstag aber auch gegen die parlamentarische Rechte, primär gegen die Schweizer Demokraten (SD) und gegen «Blocher-Fans in der SVP». Rechtspopulisten bereiteten den Boden für Rassisten und Rechtsextremisten, erklärt das «Bündnis ,Alle gegen rechts’», das die «Antifa»-Kundgebung veranstaltet hat.
Herb angeklagt wurde SD-Nationalrat Bernhard Hess (sd), der Anfang Januar mit übertriebener, ja schlicht faktenwidriger Agitation das gespannte Klima erst recht aufgeheizt hatte, um zu erreichen, dass der «Antifa»-Anlass verboten wird. Auch JSVP-Stadtrat Thomas Fuchs sprang auf Hess‘ PR-Zug auf (siehe «Bund» vom 13./18. Januar).
Die Polizei geriet darob in arge Nöte, befürchtete erst recht Eskalation. Hess – nachdem er von der Polizei gerüffelt wurde und er im «Löwen» Bümpliz beim Bier mit «Antifa»-nahen Punkern gemerkt hatte, dass man «mit denen reden kann» – schwenkte dann plötzlich um.

Flugs forderte er nicht mehr brachiale Polizeirepression, sondern städtisch organisierte «runde Tische», auf dass «Antifas» und «Faschos» gewaltlosen Meinungsstreit üben könnten; hierfür reichten die SD letzte Woche eine Interpellation im Berner Stadtrat ein.

Die Polizei hatte in «sehr intensiven Kontakten» die Veranstalter mehrmals ins Gebet genommen, um auf einen friedlichen Verlauf hinzuarbeiten. «Antifa»-seits war an der ersten solchen Unterredung auch der Rechtsanwalt und grüne Berner Stadtrat Daniele Jenni dabei.