Extremismus: Interview mit Urs von Daeniken

NeueLuzernerZeitung

«Nazi-Aufmärsche sind gezielt zu verbieten»

Rechtsextremismus auf dem Vormarsch: nicht nur in Deutschland, auch in der Schweiz. Der Chef der Bundespolizei ist beunruhigt und wünscht mehr Mittel.

adm. Die rechtsextreme Szene hat auch in der Schweiz eine neue Dimension erreicht. Davon ist Urs von Daeniken, Chef der Bundespolizei und damit oberster Staatsschützer, überzeugt. Im Interview mit unserer Zeitung zeigte er sich beunruhigt über eine Entwicklung, auf welche die Bundespolizei seit Jahren hingewiesen habe. «Die Bewaffnung, die Gewaltbereitschaft und die öffentliche Präsenz der Szene nehmen zu.» Mit Einreisesperren soll möglichst verhindert werden, dass ausländische Rechtsextreme in der Schweiz aktiv werden können. Gar nicht glücklich ist von Daeniken über die Aufhebung des Propagandabeschlusses. Übles Propagandamaterial sollte seiner Meinung nach – wie vor Mitte 1998 – wieder einfacher beschlagnahmt werden können.

Gesetzgebung überprüfen
Derzeit wird intern geprüft, wo im Kampf gegen Rechtsextremismus in der Schweiz noch Gesetzeslücken bestehen. Von Daeniken spricht sich allerdings nicht für ein generelles Verbot aus. Vorstellbar wäre seiner Meinung nach aber ein «gezieltes, lokales Verbot bestimmter Aktionen und Aufmärsche». Anders bei den Emblemen: «Das Hissen einer Nazi-Fahne steht für eine rassistische Gesinnung. Da muss man sich überlegen, ob das nicht unter Strafe gestellt werden sollte.» Rechtsextremismus: Bedenkliche Entwicklung in der Schweiz

«Gegen Rechts sind mehr Mittel nötig»

Der Rechtsextremismus erreicht auch in der Schweiz eine neue Dimension. Davon ist Urs von Daeniken, Chef der Bundespolizei, überzeugt. Er hält deshalb mehr Mittel für erforderlich.

INTERVIEW VON JÜRG AUF DER MAUR

Seit der von Neonazis gestörten Rütlifeier ist Rechtsextremismus in der Schweiz ein Thema. Wie dramatisch ist die Situation?
Urs von Daeniken: Die Bundespolizei weist seit Jahren in ihren Berichten auf die Gefahr von rechts hin.

Sie wollen damit sagen, dass die Beamten das Problem nicht verschlafen haben?
Von Däniken: Ja, das kann man nicht sagen. Die Behörden haben nicht geschlafen.

Und wie dramatisch ist die Situation heute in der Schweiz?
Von Daeniken: Dramatisch ist vor allem die Lageentwicklung. Die Lage selber ist ungefreut, aber die Sicherheit oder die Existenz der Schweiz sind nicht bedroht. Gefährlichkeit, Militanz und Präsenz der Szene nehmen zu. Auch bei den Mitteln ist eine erweiterte Dimension feststellbar. Schlagmittel wurden schon immer verwendet. Aber dass Sturmgewehre oder Sprengstoff eingesetzt werden, ist neu.

Ihnen macht also vorab zu schaffen, dass die Szene immer grösser wird?
Von Daeniken: Genau. Es ist die seit Jahren permanente Zunahme. Und dies sowohl in Bezug auf die Quantität als auch auf die Gewaltbereitschaft, die Schwere der begangenen Delikte, die Ruchlosigkeit der Propagandamittel oder die Möglichkeiten des Internets, das dem allem eine neue Dimension gibt. Neu ist, dass man heute zu Hunderten an eine Feier wie jene auf dem Rütli geht und national wie auch medial präsent ist.

Das heisst, die Rechten scheuen die Öffentlichkeit nicht mehr?
Von Daeniken: Ja, die rechte Szene zeigt heute viel mehr Mut, auch öffentlich aufzutreten. Rechtsextreme Gesinnung äussert sich nicht mehr im Versteckten, sondern man präsentiert sich und fühlt sich auch als politische Kraft.

Und was unternimmt die Bundespolizei?
Von Daeniken: Unsere Aufgabe ist, zusammen mit den Kantonen primär die Öffentlichkeit oder den Bundesrat zu informieren. Wir veröffentlichen Berichte. Ausserdem koordinieren wir in den Kantonen Aktionen gegen die rechte Szene. Wir helfen bei der Identifikation von Personen und Gruppierungen und führen die internationale Koordination.

Was ist das Ziel?
Von Daeniken: Um beim letzten Punkt anzusetzen: Wir treffen zum Beispiel Einreisesperren gegen ausländische Rechtsextreme, weil wir diese nicht in der Schweiz haben wollen. Ziel ist, ihnen den Aktionsradius möglichst einzuschränken.

Verstehe ich Sie richtig: Rechtsextremismus gefährdet nicht die Schweiz, dafür einzelne Bürger?
Von Daeniken:Für lokale Aktionen, für einzelne Personen oder Gruppierungen, für exponierte Andersdenkende oder anders Aussehende, aber auch für Institutionen (Asylheime) ist die Gefahr grösser .

Dann unterschätzen also Politiker, die sich auf den Standpunkt stellen, man habe die Lage im Griff, die Situation?
Von Daeniken: Ich kommentiere keine Äusserungen von Politikern. Es ist letztlich ein politischer Entscheid, wie viele Mittel uns vom Vollzug zur Verfügung gestellt werden und bis zu welchem Grad Rechte von Dritten beeinträchtigt werden dürfen oder nicht. Diese Güterabwägung muss die Politik vornehmen.

Reichen Ihnen die Mittel?
Von Daeniken: Ich bin schon der Meinung, dass in gewissen Bereichen der Handlungsbereich nochmals genau abgesteckt werden muss. Es geht darum, festzustellen, ob im bisherigen rechtlichen Rahmen nicht doch mehr unternommen werden kann. Wir prüfen, wo Lücken bestehen oder wo ausländische Beispiele zeigen, dass wir mit einem verhältnismässigen Einsatz der Gesetzgebung noch zu besseren Lösungen kommen können.

Haben Sie schon konkrete Ideen?
Von Daeniken: Ich war über die Aufhebung des Propagandabeschlusses Mitte 1998 nicht glücklich. Ich bin der Meinung, dass wir übles Propagandamaterial präventiv oder administrativ einziehen können sollten, ohne den direkten Aufruf zur Gewalt daran knüpfen zu müssen.

Aber es braucht auch sonst mehr Mittel?
Von Daeniken: Wir sind mit Mitteln sicherlich nicht überreich ausgestattet. Das zeigt, dass sich bei uns nur wenige Leute mit dem Problem auseinander setzen können. Personell sind zusätzliche Mittel erwünscht. Mit mehr Leuten könnten wir auch die Kantone besser unterstützen.

Sie sprechen sich für ein Verbot der Propagandamittel aus?
Von Daeniken: Nein, ich bin nicht für ein Verbot. Heute ist es aber so, dass rassistische CDs in die Schweiz kommen. Früher konnte dieses Material direkt an der Grenze beschlagnahmt und sichergestellt werden. Heute muss dieses Material dem Richter zugewiesen werden, und es wird in der Regel nur dann eingezogen, wenn eine Verurteilung erfolgt.

Werden die Verhältnisse in der Schweiz bald so sein wie in Deutschland?
Von Daeniken: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt zwar einen Trend in diese Richtung. Aber in Deutschland wirken andere historische und gesellschaftliche Hintergründe. Dort gibt es grosse rechtsextreme Parteien. Die Schweizer Szene ist ausserparlamentarisch, fragmentierter und kleinräumiger.

Und die Gefahr, dass sich die deutsche mit der schweizerischen Szene vernetzt?
Von Daeniken: Ein Übergreifen der rechtsextremen deutschen Parteien in die Schweiz sehen wir gar nicht gerne. Genau das ist zurzeit im Gange. Eine Parteigründung unterliegt in der Schweiz aber keinen behördlichen Bewilligungsverfahren. Wir versuchen, solche Schritte wenigstens präventiv unter Kontrolle zu halten.

Hitler- und Kühnengruss auf dem Rütli: Reicht das Antirassismusgesetz?
Von Daeniken:Das Antirassismusgesetz wurde ja nicht gemacht, um das zu verhindern. Grundsätzlich sind die Erfahrungen mit dem Gesetz positiv. Schwere Fälle konnten gerichtlich verfolgt werden, rund 200 Verfahren sind derzeit hängig. Eine einzelne Person oder eine kleine Gruppe, die einen Hitlergruss macht, ist durch das Antirassismusgesetz aber nicht erfasst.

Und wenn es über hundert sind wie auf dem Rütli?
Von Daeniken: Da denke ich, dass der Antirassismusartikel erfüllt wurde. Ob er insgesamt genügt oder nicht, auch das ist wieder eine politische Frage. Ich setze mich für eine Verstärkung der Präven tion ein, weil es besser ist, vorher auf Entwicklung einzuwirken als nachher mit einem Strafartikel aufzuräumen.

Wie sieht es beim Staatsschutz aus? Wurden ihm nach der Fichenaffäre die Flügel zu stark gestutzt?
Von Daeniken: Die Flügel wurden weitgehend zu Recht gestutzt. Jetzt, zehn Jahre später, muss man das Gesetz im Lichte der heutigen Erkenntnisse neu beurteilen. Wichtig ist für uns vor allem die internationale und nationale Zusammenarbeit. Und diese ist möglich.

Wo zeigen sich aber Lücken?
Von Daeniken:Beispielsweise bei den Propagandamitteln oder bei den Abzeichen, die eindeutig für eine rassistische Idee und insofern auch für Gewalt stehen. Das Hissen einer Nazifahne steht für eine rassistische Gesinnung. Da muss man sich schon überlegen, ob das nicht auch unter Strafe gestellt werden soll oder ob wenigstens die Fahnen und Embleme administrativ sichergestellt werden könnten.

Soll neonazistische Tätigkeit im Privatbereich verboten werden?
Von Daeniken: Als letztes Mittel kann man das sicher prüfen. Ich bin eher skeptisch gegenüber der Wirksamkeit und Vollziehbarkeit eines Verbotes. Ein Verbot entspricht auch nicht dem schweizerischen Rechtsempfinden. Ich bin eher für ein gezieltes, lokales und damit verhältnismässiges Verbot bestimmter Aktionen oder Aufmärsche.